Sünde

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Mit panischen Schritten, die die Folge seines rasenden Herzens waren, lief er zu der Dusche hinüber, öffnete die Glastür und griff nach der Wärmeregelung. Augenblicklich zog er seine Hand in einer eiligen Bewegung zurück, als er das kalte Stechen des Wassers auf seiner Haut spürte, bevor er das Wasser ausstellte. Er kniete sich, ohne jegliche Gedanken an etwas anderes als ihr Wohlbefinden zu verschwenden, in die Dusche und zog das kalte Mädchen zu sich heran, die einst noch so viel Wärme ausgestrahlt hatte, dass es auch ihn aus weiter Entfernung hatte wärmen können. Zeige- und Mittelfinger legten sich an ihren blassen Hals und ließen ihn kurz erleichtert Luft holen, auch wenn das Klopfen ihres Pulses sehr schwach war. Noch war es nicht zu spät. Der Rothaarige hob ihre zierliche Gestalt in seine Arme, um sie auf den Teppich des Zimmers zu legen und legte mehrere Handtücher auf ihren Körper, damit er sie einerseits anfing zu wärmen, aber andererseits abtrocknen konnte. Er musste sich beeilen, legte Wert darauf vor allem ihre Brust zu reiben, damit sich dort die Wärme als erstes ausbreitete und als nächstes in ihre Arme fließen konnte. Ihre Klamotten hatte sie zu seinem Glück mit rein genommen, die er ihr ohne Unterwäsche an zog und sich beeilte sie wieder in seine Arme zu heben, um sie in das Bett zu bringen. Seine Bewegungen waren die ganze Zeit über gefasst und ruhig, wenn auch schnell gewesen, konnte man seinem Äußeren keine Spur der Panik ansehen, die sich in seinem Inneren ausbreitete. Er spürte bei all der Hektik nicht, wie sehr sein Herz gegen seine Rippen schlug, so verstand er einfach nicht, was Mia dazu gebracht hatte sich beinahe selbst zu töten, denn nach einem Versehen sah es nicht aus. Lag all der Schock und all die Erfahrungen der vergangenen Stunden und Tage wirklich so tief in ihren Knochen, dass sie so weit gehen wollte? Aus dem Schrank neben ihrem Bett holte er die verbliebenen Decken und Handtücher heraus, die er allesamt auf Mia ausbreitete, nur um kurze Zeit später selbst unter den Berg von Schichten aus weißen und braunen Stoff zu kriechen und das Mädchen in seine Arme zu nehmen. Sie war kalt wie der Tod selbst und er begann förmlich an zu zittern, da ihre Kälte leicht durch den dünnen Stoff seines Pullovers kroch. Er begann erneut ihre Brust zu reiben und seine Beine versuchten die ihre zu wärmen. Sein Herz beruhigte sich nicht, auch hoffte er etwas, dass es Mia zu Bewusstsein holte, wenn sie es an ihrem Ohr hören würde. Sie sollte wissen, dass er bei ihr war und sie nicht los lassen durfte, solange er da war. Immer weiter rieb er ihre Brust, ihren Rücken und versuchte ihre Beine mit seinen zu reiben. Nach nur kurzer Zeit formte sich eine leichte Schweißschicht auf seiner Stirn, so wurde ihm durch die Bewegungen und den vielen Decken unglaublich warm und die Kälte, die ihr Körper noch immer ausstrahlte, ließ sich nicht mehr spüren. Doch das hieß auch, dass Mia in seinen Armen langsam auftauen würde und wie freute er sich darauf all seine Wut und seine Furcht vor dem, was hätte geschehen können, an ihr auszulassen. Aber nein, das sollte er nicht tun, auch wenn er ein gutes Recht dazu gehabt hätte. Was fiel ihr ein, so eine Aktion zu starten? Was hätte er gemacht, wenn er auch nur zwei Minuten länger gewartet hätte? Oder noch schlimmer: wenn sie alleine nach Amerika gegangen wäre. Sie wäre nie wieder zurück nach Japan gekommen. Aber seit wann war Mia so schwach, dass sie sich selbst dem Tod auslieferte, wenn sie so viel zu verlieren hatte? Es war nicht ihre Art, denn egal in welcher Lage, sie konnte immer rational denken. Aber es war nicht rational den Tod als Ausweg zu sehen. Das konnte alles nur ein Versehen sein, auch wenn es nicht darauf hinwies. Er verlangsamte seine Bewegungen und fühlte mit zwei Fingern ihren Hals ab. Ihr Puls war mittlerweile wieder normal, stetig und deutlich zu fühlen, auch konnte er ihre Körperwärme wieder aufnehmen, die sich allmählich breit machte. Seine Bewegungen stoppten aber nicht, so begann er nur langsamer zu arbeiten. Er hörte mit einem Mal ihren Atem an seiner Brust; vermutlich war sie nun am schlafen. ,,Was machst du nur für Sachen?'', fragte er das schlafende Mädchen in seinen Armen, als sich auch sein Puls langsam beruhigte. Waren Ärzte überhaupt um diese Zeit erreichbar und wo war das nächste Krankenhaus? Er würde sie definitiv ein Mal zur Kontrolle hergeben müssen, wenn er sicher gehen wollte, dass sie keine Schäden davontragen würde. Irgendwann war die Hitze für ihn beinahe unerträglich, so entschied er sich dazu die ersten zwei Decken wieder zu entfernen und entfernte seine Beine von ihren, um sie aus dem Bett hängen zu lassen und etwas abzukühlen. ,,Was soll ich nur mit dir machen? Wie soll ich dich jemals wieder alleine lassen, wenn ich nicht sicher sein kann, dass du wieder normal handeln kannst?'' Das Mädchen in seinen Armen bewegte ihren Kopf, was ihn dazu veranlasste kurz still zu bleiben, aber das Reiben fortzuführen. Er hörte sie etwas murmeln und streckte seinen Kopf zu ihr hinab. ,,Mia?'', ,,Karma.'' Ihre Stimme war brüchig, so schien sie viel Energie aufwenden zu müssen, um überhaupt seinen Namen sagen zu können. Dennoch ließ er nun am Ende seiner eigenen Kraft den Kopf nach hinten fallen und schloss die Augen. Eine Lawine an Sorge war soeben von seinen Schultern gefallen und präsentierte das, was darunter lag: Wut. ,,Mia, wieso machst du so was?'' Als er spürte, wie sie ihren Kopf zu ihm hinauf drehte öffnete er die Augen und schielte in ihre rot/violetten Augen, die erschöpft zu ihm auf sahen. ,,Ich wollte kalt duschen. Ich hab mich nicht danach gefühlt, dass ich jegliche Wärme verdiene. Dann habe ich mich auf den Boden gesetzt und wurde ganz müde. Ich hatte nicht vor, so lange dort zu bleiben, aber die Müdigkeit..'',verstummte sie und legte zitternd ihre Arme um seinen Körper. Er rollte missbilligend seine Augen. Es war nicht gewollt gewesen, sie war tatsächlich einfach nur eingeschlafen. Vor Erleichterung drückte er sie feste an sich und murmelte in ihr dichtes Haar hinein. ,,Du dummes Ding. Ist dir bewusst was hätte passieren können, wenn ich nicht nachgeschaut hätte?'', ,,Es tut mir Leid, dass ich dir Sorgen bereitet habe.'' Sein Herz schmerzte bei ihren Worten, so wollte er nicht, dass sie sich nun um Karma sorgte, doch dieses Mädchen dachte einfach immer als erstes an andere und was sie selbst ihnen an tat. Dabei bereicherte sie sein Leben so oft, auch wenn zwischendurch so etwas passierte. ,,Es muss dir nicht Leid tun. Ich weiß nur nicht wie ich mir verziehen hätte, wäre ich zu spät gekommen.'', ,,Du kannst nicht zu spät kommen, Karma.'', kam es sanft von ihr und eine zarte Hand legte sich blind auf seine Wange, weshalb er die Augen öffnete und ihren Worten lauschte. ,,Du bist mein Ritter in strahlend weißer Rüstung. Ich bin bei niemandem besser aufgehoben als bei dir. Deswegen habe ich erst so kalt geduscht, weil ich wusste, dass du da bist. Sonst hätte ich so etwas nicht gemacht. Du bist intelligent, hast ein gutes Zeitgefühl und achtest auf deine Freunde.'' Er seufzte tief bei ihren sonst erfreulichen Worten, so entfernte er die Handtücher und warf sie neben dem Bett auf den Boden, sodass er danach die Lampe neben dem Bett ausschalten konnte. Karma legte erschöpft seinen Kopf auf ihren und seufzte ergeben. ,,Was ist, wenn ich mal nicht da sein kann?'', ,,Dann verspreche ich, dass mir nichts passieren wird.'' Einige Minuten lang lauschte er ihrem Atem, war sich auch sicher, dass sie bereits wieder eingeschlafen war, während er keine Ruhe bekommen konnte. Die Angst, dass sie jederzeit aufstehen konnte und sich in die nächste Dummheit stürzte lag schwer auf seinem Herzen. Es bedrückte ihn, dass sie so ein Vertrauen in ihm hatte und gleichzeitig machte es ihn froh, dass sie so etwas nur tat, wenn er in der Nähe war. Aber was wäre gewesen, wenn er eingeschlafen wäre? Eine viel zu lange Zeit beschäftigte er sich mit den typischen ,,was-wäre-wenn''-Fragen und kam auf keinen Entschluss. Es ergab auch keinen Sinn weiter darüber nachzudenken, das einzige richtige würde sein, mit ihr am nächsten Tag ausgehend mit ihr darüber zu reden. Ein leises Seufzen entkam ihm, während seine Hand unnachgiebig sanft durch ihr Haar glitt, das allmählich trocken wurde. ,,Ich kann dich nie wieder gehen lassen, wenn ich nicht sicher bin, dass du in Sicherheit bist.'' Er hatte ihrer schlafenden Gestalt so vieles sagen wollen. Wie sehr er sie schätzte aber hasste, wenn sie so etwas tat. Was für eine Angst er um sie hatte, die permanent vor der Tür zu stehen schien, aber wie er gleichzeitig liebte, dass sie nicht wie jede andere war. Er liebte es sie so zu halten, sie beinahe seins nennen konnte, auch wenn er weit davon entfernt war, so etwas sagen zu können. Er liebte sie. Das war es, was er ihr am meisten sagen wollte. Immer und immer wieder wollte er es ihr ins Ohr hauchen, damit sie mit diesem Wissen in den Schlaf driftete und von ihm träumte, ihn im Schlaf feste bei sich hielt, leise scharchend gegen ihn lehnte und er all das nutzen konnte, um sie damit aufzuziehen und ihr süßes Gesicht sah, das sie machte, wenn sie verlegen war. Dieses Mädchen hatte ihn von Anfang bis zum Ende hin entzückt. Dabei war es noch gar nicht das Ende, wie er wusste und er hoffte auch, dass es nicht in naher Zukunft kommen würde. ,,Fuck..'', entfuhr es ihm leise, aber umso frustrierter bei seinem Gedankenschwall und er presste das Mädchen in der Flut der Angst fester gegen sich, versuchte ihr all die Liebe zu zeigen und die Wärme zu geben, die er aufbringen konnte, auch wenn er selbst keine Wärme mehr haben würde. Er würde vermutlich alles für dieses Mädchen aufgeben. Und das dünne Band zwischen ihr und seiner Vernunft schien immer dünner zu werden. ,,Karma..'' Als er die liebliche Stimme des Engels in seinen Armen hörte spitzte er seine Ohren und fuhr fort durch ihr Haar zu streicheln.
,,Ich wollte mir die Haare schneiden.'', ,,Hm?'' Überrascht von dieser Aussage, so hatte er mit wirklich allem gerechnet außer dem, verschwanden seine Augenbrauen hinter seinem roten Haar und er hörte sie leise lachen, beinahe unhörbar. ,,Ich wollte mir die Haare kurz schneiden, weil sie mich an alles erinnert haben, was ich erlebt habe. Schon immer hatte ich lange Haare und um alles zu vergessen, wollte ich sie loswerden.'' Während seine Hand durch das präsente, angefeuchte Haar fuhr kam ihm nur eine Frage in den Sinn:,,Wieso hast du es nicht getan?'', ,,Wie gesagt: ich habe alles mit ihnen erlebt. All die Erinnerungen. Ich konnte es nicht wegen dir. Ich habe mich mit den langen Haaren in dich verliebt. Ich möchte sie gar nicht los werden und auch diese Erinnerung verlieren, weil ich der Meinung bin, dass diese Erinnerung jede andere in den Schatten stellt.'' Das Gefühl in seiner Brust war unbeschreiblich, so hatte sie soeben eines der süßesten Geständnisse gebracht, die er je gehört hatte. Es ging zwar um etwas banales wie einen Haarschnitt, aber sie wollte die Länge behalten, weil es sie an ihn erinnerte. Er atmete schwer aus, so machte sich auch gleichzeitig ein drückendes Gefühl breit. Nicht nur in Karma hatte sie sich mit den langen Haaren verliebt.. ,,Sag so etwas nicht.'', kam es dunkel von ihm, schnitt seine Stimme durch die Stille der Dunkelheit und er spürte, wie sich Mia anspannte und die Stimmung mit einem Mal zusammenbrach.

Just let go.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt