Rot und Blau

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Mit weichen Augen sah er auf die große, ungleichmäßige Narbe hinab, die die sonst reine Haut zierte und Unruhe in das gesamte Bild brachte. Der ganze Sturm, der bis eben noch in seinem Körper getobt hatte und ihn in die nächste Sünde hatte saugen wollen, war verschwunden. Hinfort getragen von dem Anblick einer Wunde, die noch größere Spuren in dem Herzen hinterlassen hat, das in dem Brustkorb des Engels unter ihm pochte. Und nur für ihn pochte, wenn er dies bemerken durfte. Umso konfuser war ihm die Situation, in der er sich nun befand. All die Monate hatte er nichts sehnlichster gewünscht, als das sich der Engel ihm hingab und er sie lieben kann, wie er es sich erhofft hatte. Allerdings kam ihm mit einem Mal nur ein Gedanke in den Sinn: das war falsch. ,,Karma?'', sprach der Engel zu ihm und der Rothaarige sah in die violett/roten Augen der Schwarzhaarigen, die unsicher mit geröteten Wangen zu ihm auf sah. Er wusste nicht, wie lange er bereits auf ihren Bauch sah, die Hände neben ihre Hüften gestemmt und sie warten ließ, aber es schien sie nervös zu machen, wie er sie anstarrte. Anders als zuvor, als sei er selbst unsicher. Dabei war er mehr als entschlossen. ,,Das ist nicht richtig.'' Er konnte sie in dem Moment hören, wie sie etwas Luft holte, offensichtlich betroffen von seinen Worten. Ein leises Lachen entfloh ihm und ergeben hob er eine Hand an, um mit dessen Fingerkuppen über die Unebenheit zu fahren. ,,Die ganze Zeit hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als das. Das du weißt, was du für mich fühlst und tatsächlich auch das hier tun zu können. Und jetzt möchte ich das hier gar nicht. Zumindest nicht so.'' Mia konnte nur die Augenbrauen zusammenziehen, konnte sich keinen Reim auf seine Worte bilden. ,,Stört sie dich?'', ,,Hm?'', sah er fragend zu ihr auf und sie deutete mit einem Blick auf ihren Bauch. Er folgte ihren Augen und lachte kurz darauf sanft, beugte sich hinab und küsste die Unebenheit. Eine so zarte Geste, dass sie Mia kurz ihre Unsicherheit vergessen ließ. ,,Nein.'', sagte er und entfernte sich mit einem warmen Lächeln von ihr, bei dem sie sicher war, dass es Eis hatte schmelzen können. Das spitzbübische in seinen Augen war für einen Moment vergangen. Sie nahm, gefangen von seinem Anblick, nur beiläufig war, wie er ihre Handgelenke ergriff, dessen Hände sich in die Bettdecke gekrallt hatten. Erst als er sanft an ihr zog verstand sie das Geschehen und ließ sich von ihm in seinen Schoß ziehen, Gesicht zu Gesicht. Liebevoll strich er über ihren Rücken und lächelte eines der liebsten Lächeln, die er zu bieten hatte und Mia wurde ganz warm ums Herz, wenn er sie so an sah. Als könne nichts in der Welt ihnen etwas an haben. ,,Eine Narbe macht dich nur schöner, weil es zeigt, dass du nicht perfekt und trotzdem hier bist. Bei mir.'' Seine Hand verlor sich in ihrem Nacken und er zog sie in einen innigen Kuss, den sie schwach erwiderte, als die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu tanzen begannen. Erneut überraschte es sie, wie ruhig und romantisch dieser Teufel mit rotem Haar sein konnte. Es wirkte so gar nicht wie er und doch waren diese Worte von ihm nur ihr gewidmet. ,,Wieso hast du dann aufgehört?'', ,,Weil das nicht der richtige Zeitpunkt ist. Du bist so emotional, das bist nicht du. Ich befürchte, dass du nicht klar denken kannst. Und bei dieser Entscheidung möchte ich, dass du klar denkst.'' Mia senkte ihren Blick auf ihre Hände in ihrem Schoß. Wieso fühlte sich alles falsch an, was sie tat? Als könne sie nichts mehr tun, seitdem sie von ihren Eltern erfahren hatte. Ein sanftes Lachen von Karma ließ sie aufblicken. Es war ein lieb gemeintes Lächeln, das nur ihr gewidmet war, so wie er unnachgiebig über ihren Rücken streichelte, um ihr zu zeigen, dass alles in Ordnung war. ,,Jetzt schau nicht so. Ich glaube nur, dass dich der ganze Trip hier hin viel zu aufgewühlt hat. Du hast so viele Jahre ohne Zuneigung und Vertrauen gelebt, dass ich das Gefühl habe, dass du gerade alles auf ein mal möchtest und Entscheidungen triffst, die du im Endeffekt bereuen könntest.'' Tatsächlich hätte sie gerne verneint, was er sagte, so glaubte sie nichts mit ihm bereuen zu können. Doch etwas in ihr murmelte, dass Karma recht hatte. ,,Wieso kennst du mich besser, als ich mich selbst?'', ,,Irgendwer muss doch auf diesen Hohlkopf aufpassen können. Also, ist alles gut?'' Mia ließ einen Augenblick auf sich warten, versuchte nun tatsächlich auf ihr Herz zu hören, wie es viele immer als gut darstellten. ,,Nicht ganz. Ich bin unsicher, wie ich jetzt weitermachen soll. Wie ich mit der neuen Erfahrung leben soll. Ich habe meine Eltern gesehen und Amerika wieder besucht, aber ich kann noch nicht ganz sagen, wie ich dem gegenüber fühle.'', ,,Du hast alle Zeit der Welt. So wie wir zwei.'' Und mit diesen Worten nahm er sanft ihr Gesicht in die Hand und führte ihre Lippen nah an seine, als er sprach:,,Und um das von gerade eben weiter zu führen haben wir auch noch genug Zeit. Ebenso für Wiederholungen.'' Augenblicklich beobachtete er, wie seine neu gewonnene Freundin Rot um die Ohren wurde und küsste sie lachend, weil er einfach nicht sein lassen konnte, sie so zu sehen. Sie sah einfach zu niedlich aus. Auch wenn er seine Worte definitiv ernst gemeint hatte, so war der Sturm in seinem Körper abgeebbt. Als er sich wieder von ihr löste teilten sie einen Moment der Ruhe, in dem sie ihren Kopf auf seine Schulter legte und feste umarmte, als Dank und als Schutz vor weiteren Miseren. Sie war sich unsicher, wie sie über ihre Eltern denken sollte, aber sie war sich ziemlich sicher, was sie von Karma denken wollte. Und zwar, dass sie es definitiv mit ihm ausprobieren wollte, denn es fühlte sich viel zu gut an ihn jederzeit küssen zu können, als das sie diese Erfahrung missen wollte. Karma war nun ihr Freund und sie fühlte sich wohl bei dem Gedanken, auch wenn sie sich etwas fürchtete, wie sich die Beziehung in der Öffentlichkeit zeigen würde. Karma hatte begonnen sie etwas zu wiegen, während seine nackte Haut ihren Körper wärmte und in den Schlaf zu wiegen schien. ,,Möchtest du schlafen?'' Stumm nickte sie und ließ sich von ihm rückwärts sanft auf das Bett legen, eher er mit ihr unter die Decke rutschte und sie in ihre Arme zog. ,,Danke, Karma. Und es tut mir Leid. Ich hoffe, dass du niemals krank wirst und wenn, dass ich mich dann um dich kümmern kann.'', ,,Nicht so sentimental, Mia-chan. Oder möchtest du, dass ich meine Geduld doch noch verliere?'' Als Antwort vergrub sie ihr Gesicht in seine nackte Brust und tat lieber so, als habe sie nichts von alledem gehört. Mit einem Lachen küsste er ihre Stirn ein letztes Mal und löschte das Licht im Zimmer, ließen nur die letzten Raketen der Nacht das Zimmer zwischendurch erhellen.

Just let go.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt