30 Briefe an 30 Tagen

Tag 10 - Klassenkamerad

Hallo S.!

zuerst einmal muss ich mich bei dir entschuldigen. Du versuchst ständig mich anzurufen, aber ich gehe nicht ran, mit Absicht. Es ist nicht so, dass ich nicht gerne mit dir telefonieren möchte, doch sehr oft rufst du zu ungelegenen Zeiten an oder wenn wir telefonieren, dann versuchst du noch weiter das Gespräch am Laufen zu halten, obwohl es nichts mehr zu erzählen gibt. Ich will nicht unhöflich sein, möchte nicht sagen: "Irgendwie geht uns der Gesprächsstoff aus. Vielleicht sollten wir aufhören?" und hoffe, dass du von alleine merkst, dass nichts mehr von deiner und von meiner Seite kommt, aber das tust du nicht oder du ignorierst es. Ich weiß es nicht. Ich sage, ich rufe dich zurück, vergesse es aber im Endeffekt wieder. Was ich mache, ist nicht in Ordnung und es tut mir leid, wirklich! Du bist anders als andere und das hört man. Du musstest deswegen damals die Schule wechseln, wir haben dich vermisst, aber bei uns hättest du nich die nötige Förderung bekommen, also musstest du gehen. So viele Jahre sind seitdem vergangen, in denen wir unser eigenes Leben gelebt haben und dann plötzlich tauchst du wieder auf, suchst den Kontakt zu mir und die Erinnerungen kommen hoch, wie wir damals als Kinder zusammen gespielt haben, wie wir gelacht haben und Spaß hatten, wie wir uns immer gegenseitig auf unsere Geburtstage eingeladen haben. Es war eine schöne Zeit, aber sie kommt nicht mehr zurück. Du musst begreifen, dass wir uns beide verändert haben. Wir sind keine Kinder mehr, wir sind jetzt auf den Weg Erwachsene zu werden. Natürlich schwelge ich gerne in Erinnerungen, denke an die damalige Zeit zurück, aber wir können nicht da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Das funktioniert so nicht. Es ist einfach zu viel passiert. Versuch nicht an etwas festzuhalten, was nicht mehr da ist. Du tust dir sonst nur selber weh. Ich habe nichts gegen telefonieren und ich habe auch nichts dagegen, wenn wir über alte Zeiten reden, aber ich kann nicht mehr zurückgehen. Ich bin bereits meinen Weg gegangen. Ich verharre nicht und das solltest du auch nicht.

Ich hoffe, du verstehst das...

L.