Hallo Mama, hallo Papa!
Ihr seid die Menschen, die mich am allerbesten kennen. Ist ja auch kein Wunder, immerhin seid ihr meine Eltern. Ich verbinde so viel mit euch und ich habe auch so viel auf dem Herzen, das ich euch sagen möchte.
Zuerst zu dir, Mutti.
Charakterlich gesehen schlage ich mehr nach dir, das merkt man sofort. Die Eigenschaften wie "zickig", "bockig", "nachtragend" und "ehrgeizig" habe ich von dir. Du genießt ein Privileg, was keiner sonst hat: Du hast mich geboren. Aber diese Tatsache wiegt keinesfalls das auf, was in den vergangenen Jahren passiert ist. Ich habe dich sehr lieb, das steht außer Frage, aber weißt, dass ich ein Papakind bin und das aus guten Gründen. Ich bin eine schwierige Person, ihr habt es nicht leicht mit mir und ihr habt meinen vollsten Respekt, dass ihr mich die ganzen Jahre ausgehalten habt und noch immer aushaltet, auch wenn ich launisch bin, oft auch sehr verletzend bin und Dinge sage, die man im Nachhinein gar nicht mehr so meint. Du bist allerdings nicht anders. Stress und schlechte Laune tragen gerne dazu bei, dass du mich aus ungerechten Gründen zusammenstauchst und mich verletzt. Die schlimmste Zeit, die wir hatten, war in der 10. Klasse, vor zwei Jahren. Ich habe eine Deutscharbeit verhauen, die Gründe haben dich nicht interessiert. Für dich zählte einzig und allein die Note und nicht das Bemühen, dass ich darin investiert hatte. Du weißt, dass ich mit eine der besten in Deutsch bin, aber du hast nicht hinterfragt, wie dann soetwas zustande gekommen ist. Ich habe es dir versucht zu erklären, aber du hast darin nur Ausreden gesehen und Sachen gesagt die mich zutiefst verletzt haben. Sprüche wie "Mach nur so weiter und du wirst als Putzfrau enden" waren dabei nur einige von vielen. Ich habe mich in meinem Zimmer eingeschlossen, habe geweint und gelitten. Du hast deine Reaktion aber nicht hinterfragt. Im Gegenteil, du meintest, ich sollte aufhören zu heulen, weil es für dich keinen Grund dafür gibt. Warum hast du soetwas gesagt? Du weißt doch, dass ich mir immer alles zu Herzen nehme, insbesondere solche Aussagen, also warum? Du warst wütend, ich verstehe, dass du nicht willst, dass ich schlechte Noten kriege, aber all die Jahre habe ich mich alleine durchgeschlagen, habe selbstständig für Arbeiten und Tests gelernt, habe meine Hausaufgaben gemacht, während du oben im Wohnzimmer saßt und Fernsehen geguckt hast, wie jedes Mal nach der Arbeit. Wie kannst du nur so gemein sein und mit dem Finger in die Wunden bohren, obwohl du die letzten Jahre mir kaum in der Schule geholfen hast? Weißt du überhaupt wie weh das tut? Höchstwahrscheinlich nicht, sonst hättest du auf meine Frage hin, ob du mich lieb hast, nicht mit "Manchmal, wenn du artig bist" antworten. Man könnte es vielleicht noch für einen Scherz halten, wenn du dabei nicht so verdammt ernst gewesen wärst. Ich bin DEINETWEGEN zur Psychiologin gegangen, weil ich es nicht mehr ertragen habe, dass ich nur dann dein Kind bin, wenn ich auch die entsprechenden Leistungen erbracht habe. Ich habe festgestellt, dass ich gar nicht die Beste sein will. Ich habe das alles nur für dich gemacht, weil ich Angst vor deinen Reaktionen hatte, wenn ich schlechte als 3 abgeschnitten habe, wobei 3 auch schon hart an der Grenze war. Nein, ich möchte zwar gute Leistungen haben, aber ich will auch noch Spaß am Leben haben und nicht nur den ganzen Tag lernen. Du hast das akzeptiert, heute kommst du damit gut klar, aber auch nur, weil du keinen Vergleich hast. Du hast dein Abitur nicht durchgezogen, hingegen ich dabei bin nächstes Jahr die Prüfungen zu machen. Ja, ich kann vielleicht sogar von Glück reden, dass du kein Abi gemacht hast. Dann hätte sich die ganze Sache vielleicht auch nicht entspannt. Heute bin ich über früher hinweg. Ich versuche es nur noch mir recht zu machen und nicht dir. Heute bin ich glücklich, aber vergessen werde ich niemals! Nicht heute, nicht morgen und auch nicht sonst irgendwann. Körperliche Wunden verheilen, aber seelische kaum bis gar nicht. Merk dir das bitte!
Papa...
Du bist ein Vater, wie er sein sollte. Witzig, fürsorglich, aufgeschlossen, tolerant, mit niedirgen schulischen Ansprüchen, dafür aber hohen in Sachen Menschlichkeit und charakterlichen Eigenschaften. Dir war es immer von Anfang an wichtig, dass ich ein Kind werde, dass nicht verwöhnt ist (ist dir leider nicht so ganz gelungen) und Charakterzüge besitzt, die von allen geschätzt werden. Mit dir kann ich über Dinge sprechen, mit denen ich bei Mutti niemals hätte ankommen können. Natürlich bist du auch manchmal streng und nicht immer gerecht, aber du versuchst es so gut wie möglich und das rechne ich dir hoch an. Wenn ich etwas verbockt habe, dann warst du nicht wie Mama, die mich drei Wochen nicht mehr mit dem Hintern angeguckt und kein einziges Wort mehr mit mir gesprochen hat, du hast mit mir darüber gesprochen. Offen, ehrlich und manchmal auch schonungslos, womit ich nicht immer klarkam. Mama musste dich dann manchmal in die Schranken weisen, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, war es wohl besser so. Trotzdem gibt es eine Sache, die ich mich bis heute frage: Warum hast du damals Mutti nicht versucht ins Gewissen zu reden? Du wolltest unparteiisch sein, aber in diesem Moment hätte ich mir etwas mehr Unterstützung gewünscht gehabt. Du weißt genau, dass sie nicht fair war, aber hast dennoch nichts dazu gesagt. Wusstest du etwa, dass man in der Situation nicht mit ihr darüber vernünftig hätte sprechen können? Wolltest du nicht zwischen die Fronten geraten? Oder hast du es vielleicht gar nicht so erlebt, wie es wirklich war? Wie dem auch sei, jetzt ist es so oder so zu spät. Und das nicht nur in dieser Hinsicht. Gesundheitlich geht es dir nicht gut. Niemand weiß was es ist, niemand kann etwas feststellen. Du leidest. Unter den Schmerzen, unter den Stress. Du arbeitest zu viel. Arbeit im Übermaß macht krank, Papa. Wenn du früher reagiert hättest, dann würdest du jetzt nicht Schmerzen haben, müsstest jetzt nicht Tabletten nehmen, hättest du keine Therapie machen müssen. Aber es ist jetzt nunmal so... leider. Ich weiß, dass es spät ist, aber ich wünsche dir trotzdem viel Gesundheit!
Ich bin auch schon am Ende angelangt... Ich denke, es ist alles gesagt, alles getan und wenn nicht, dann ist es jetzt eh zu spät. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, auch wenn man es gerne könnte. Ich hab euch lieb!
L.
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30 Briefe an 30 Tagen
RandomDem Schwarm seine Liebe erklären, der besten Freundin für ihre Freundschaft danken, einen Fremden versuchen als Brieffreund zu gewinnen... All dies sind Dinge, mit denen ich mich hier beschäftigen werde. 30 Briefe an 30 Tagen ist ein sehr persönlich...