Tag 15 - mein Haustier

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An meinen allerliebsten Engel,

Ich glaube, nur wenige Personen aus meinem Umfeld werden wirklich begreifen, wie sehr ich und Papa dich geliebt haben... Du bist leider viel zu früh von uns gegangen, warst krank, warst mager und wir haben es nicht bemerkt. Haben den Ernst deiner Lage nicht erkannt, haben geglaubt, dass du wegen des Alters so dünn geworden bist, aber ich hätte es besser wissen müssen... Hätte früher mit dir Hilfe aufsuchen müssen, aber das habe ich nicht und als wir es dann doch haben, war es bereits zu spät. Verzeih mir Mimi... Wir wollten dich nicht leiden lassen... Hätte der Arzt uns besser über deine Überlebenschancen informiert und dir nicht gleich das Antibiotikum gespritzt ohne uns zu fragen, dann hätte ich dich gleich einschläfern lassen. Was haben wir um dich gekämpft... Du hast kaum Luft bekommen, der Arzt meinte, dass es eine Lungenentzündung sei, aber mittlerweile sind wir uns nicht mehr so sicher und vermuten, dass er deine Krankheit fehldiagnostiziert hat... Fakt ist, dass du krank warst, sehr krank... Wir nahmen dich wieder mit nach Hause, hofften auf Besserung, aber deine Atemnot wurde schlimmer, du hattest Angst, hast ständig miaut und dann, als du aus deinem Korb wolltest, konntest du deine Hinterläufe nicht mehr bewegen, robbtest dich mit den Vorderpfoten voran, hattest kaum Kraft und warst ruhelos. Ich war schon vorher mit den Nerven am Ende, aber das hat mir den Rest gegeben... Ich glaube, dass ich noch nie so viel geweint habe wie an diesem Tag. Auch jetzt kommen mir die Tränen, wenn ich daran denke. Papa kam nach Hause von der Arbeit. Eigentlich hatte er Urlaub, aber er wollte an diesem Tag eine Baustelle beenden und im Endeffekt war es auch besser so. Hätte er nicht gearbeitet, dann wären wir weggefahren und hätten dich wahrscheinlich tot irgendwo aufgefunden... Papa hat sofort erkannt, dass du keine Luft bekommst und hat Sauerstoffflaschen besorgt, um dir das Atmen zu erleichtern, dir zu helfen. Es hat funktioniert, aber nicht so richtig. Du hattest Untertemperatur, kein gutes Zeichen, also holte ich meine Heizdecke von oben und wir legten dich darauf, versuchten mit einer Spritze dir Wasser in den Mund einzuflößen, damit du nicht verdurstest... Du hattest kaum noch Kraft richtig zu schlucken. Und dann war es so weit. Du richtetest dich auf, robbtest dich weg, wohin wusstest du nicht wirklich, und bliebst dann liegen. Kraftlos, von Krämpfen geschüttelt mit Atemnot. Es war so schrecklich zu sehen, wie du zucktest, plötzlich nicht mehr atmetest und leblos liegen bliebst... Ich wäre am liebsten mitgestorben... Mimi... Zum Glück hast du Papa nicht gesehen... Er ist der gefassteste Mensch, den ich kenne und trotzdem... Trotzdem hat er noch Minuten nach deinem Tod dich weitergestreichelt, wie in Trance, als könne er nicht begreifen, dass du fort bist... Wir waren am Boden zerstört... Schließlich haben wir dich in einen Karton gelegt, mit einem Handtuch umwickelt und deiner Körbchendecke noch einmal bedeckt... Wir legten dir Spielzeug von früher mit hinein. Deinen Lieblingsspielball haben wir leider nicht mehr gefunden... Die Nacht war lang, war praktisch eine Endlosschleife... Deine Nichte Lilly war bei mir, doch auch ihre Gesellschaft verhinderte nicht meine Heulkrämpfe... Ich habe eine Stunde geschlafen... Länger nicht... Ich konnte nicht, ich war zu aufgewühlt. Ich habe Ablenkung beim Fernseher gesucht, habe Sendungen angemacht, die ich eigentlich gar nicht gucke, gucke insgesamt kaum Fernsehen, aber ich brauchte etwas anderes, worauf ich mich konzentrieren konnte. Sogar Papa ist noch in der Nacht zu mir hinuntergekommen, konnte ebenfalls nicht schlafen, obwohl er müde war... Ihn quält genauso wie mich die Frage nach dem Warum... Warum sind wir nicht früher mit dir zum Arzt gefahren? Warum haben wir nicht begriffen, was wirklich mit dir los war? Der Tod an sich ist eine unschöne Sache... Doch mich quält nicht der Gedanke deines Ablebens, sondern wie du gestorben bist, dass du hast leiden müssen... Am nächsten Morgen haben wir dich begraben. Es war wie eine richtige Beerdigung... Papa schnitt drei Rosen aus dem Garten ab, jeder von uns hat eine bekommen, die wir dann im stillen Abschied auf deinen Karton warfen. Für mich war es verständlich, dass ich weinte, als gäbe es kein Morgen mehr, aber zum ersten Mal in meinem Leben, habe ich Papa weinen und so traurig gesehen. Es war ungaublich hart dich zu begraben, aber wir wussten, dass es das Beste für dich ist. Jetzt bist du auf ewig mit der Natur verbunden, jederzeit erreichbar für Papa oder mich, wenn wir das Bedürfnis haben, mit dir zu sprechen... Mein einziger Gedanke gilt nur noch deinem Grab und wie ich es zu dem schönsten der Welt machen kann. Wir werden ein kleines Beet anlegen, sobald die Erde endgültig nachgesackt ist... Teelicht und eine kleine Katzenfigur aus Metall sind bereits vorhanden... Der Stein, der hinter deiner Erde liegt, wird bald mit deinen Initialen geschmückt sein. Wir hoffen, dass wir es einmeißeln lassen können... Mimi, mein Mädchen... Ohne dich ist die Welt nur halb so bunt, halb so froh, halb so interessant, einfach halb so schön... Wir haben Fehler begangen, die wir bereuen, aber bei deiner Nichte Lilly auf jeden Fall besser machen wollen... Nocheinmal stehen wir so etwas nicht durch... Nicht noch einmal... Dein Tod hat das Familienbild zerstört, es ist unvollkommen und hat Risse, die eine Weile brauchen, bis sie wieder repariert sind und selbst dann werden noch Spuren sichtbar sein... Ich bin momentan bei Oma und Opa... Hätte ich gewusst, dass du stirbst, dann hätte ich nicht zugesagt diese Woche von Donnerstag bis Samstag zu arbeiten. Andererseits bin ich froh beschäftigt zu sein, denn dann kann ich für kurze Zeit die Erinnerungen ausblenden... Ich habe Angst vor dem Alleinsein, daher bin ich bei meinen Großeltern... Ich habe Angst davor, wenn ich nichts zu tun habe und glaube, mir fällt gleich die Decke auf dem Kopf, denn dann bricht alles über mir zusammen und die Erlebnisse kommen wieder hoch und reißen mich erneut mit... Wir haben dich geliebt und wir werden dich auch immer lieben... Ich sage nicht "Lebe wohl!"... Für mich ist das kein Abschied für immer... Für mich ist er begrenzt, weil ich fest daran glaube, dich nach meinem eigenen Ableben wiederzusehen, gesund und munter und dann holen wir alles nach, was wir versäumt haben, versprochen!

Komm gut über die Regenbogenbrücke, mein Engel!

deine trauernde, dich ewig liebende Ziehmutter

30 Briefe an 30 TagenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt