1. Kapitel

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Billie Eilish, Kahlid - lovely☀


K a t h a r i n a

Erneut mache ich eine Drehung, bleibe stehen und mache mit meinen anderen Schritten weiter. Ich lasse mich treiben, von der Musik, die aus den Boxen dröhnt. Keine Verpflichtungen, keine Rechnungen die sich in meiner Wohnung zusammenhäufen, keine weitere Jobsuche, die sich als unnötig herausstellt, denn es ist immer wieder enttäuschend, in was für einem Kaff man im Endeffekt steht.

My love welcome home.

Das Lied endet und zufrieden steige ich aus meiner Endposition, renne auf die Trinkflasche zu und nehme einen großen Schluck vom kalten Wasser. Dann binde ich mir meine Haare erneut zu einem hohen Dutt und begebe mich wieder in die Mitte des Raumes. Meine Playlist spielt das nächste Lied mit einem tiefen Bass ab und ich schließe meine Augen und beginne mich im Rhythmus zu bewegen. Ungefähr nach der ersten Hälfte des Liedes habe ich das Gefühl beobachtet zu werden. Trotzdem bewege ich mich weiter zu der Musik, lasse mich über den Parkettboden gleiten und werde immer schneller, je nach dem, wie das Lied geht. Erst als ich wie zuvor das Ende erreiche, öffne ich meine Augen und sehe einem Mann in die Augen, der gechillt am Türrahmen lehnt.
„Wie lange beobachtest du mich schon?", frage ich ihn, als ich auf meine Sachen zuschreite, da ich einen unbändigen Durst verspüre. Der Fremde fährt sich durch seine dunkelbraunen Haare und spannt sein markantes Kiefer an. „Du bist gut", antwortet er, ohne auf meine Frage einzugehen. „Hast du vor mich zu entführen?", frage ich ihn direkt, als ich mich bücke um mein kleines Handtuch vom Boden aufzuheben. Rau lacht er auf. „Wieso sollte ich? Auch wenn du eine der talentiertesten Tänzerinnen bist, die ich kenne." Ich werfe mir das Handtuch um die Schultern, nachdem ich mir mit ihm zuvor den Schweiß von der Stirn gewischt habe. „Bin ich nicht", gebe ich zurück, denn das bin ich wirklich nicht. „Du wärst eine gute Backgroundtänzerin." „Ach, wäre ich das?" Überrascht ziehe ich eine Augenbraue nach oben. Der attraktive fremde Mann fährt sich wieder durch seine dunklen Haare. Ich erlaube mir einen Moment ihn zu betrachten. Das weiße T-Shirt spannt sich über seine breitgebauten Schultern, liegt unten zwar weniger an, da er zu den Hüften hin dünner wird, aber man kann trotzdem einen Sixpack darunter erkennen. Seine blaue Jeans ist etwas verwaschen, was ihn jedoch noch attraktiver macht. Mein Blick schweift wieder nach oben in sein Gesicht, wo sich seine dunklen, fast schon tiefschwarzen Haare, teilweise locken. Er hat einen markanten Kiefer, volle, rote Lippen, um die man einen leichten Bartschatten erkennen kann. Am meisten aber, ziehen mich seine Augen an. Sie beginnen an der Pupille in einem schönen caramellbraun und enden in einem giftigen Grün. Umrandet werden sie von dichten Wimpern. „Genug gestarrt?", fragt er und hebt dabei eine seiner buschigen Augenbrauen. Ich werde leicht rot, was aber nicht wirklich auffallen sollte, da ich nach dem Tanzen immer glühe. „Also, ähm...?" Ich warte darauf, dass er den Satz mit seinem Namen vollendet. „James. Mein Name ist James." Diesmal scheint er etwas rot zu werden, was man bei seinem dunklen Teint jedoch nicht so gut sehen kann. Er hebt mir seine Hand hin. Einige Sekunden sehe ich ihn an, bis ich verstehe warum er sie mir herhält. Schnell wische ich mir meine Hand am kleinen Handtuch um meinen Hals ab und reiche ihm ebenfalls meine Hand. „Katharina. Ich heiße Katharina." Es herrscht kurze Zeit Stille, dann meine ich: „Ich gehe jetzt duschen. Ähm... Es war...nett dich kennenzulernen, James." „Nett ist die kleine Schwester von scheiße", kann ich seine raue Stimme noch hinter mir vernehmen, als ich mich bücke, um meine Tasche aufzuheben. Mit einem Grinsen im Gesicht und der schwarzen Sporttasche über den Rücken geworfen, drehe ich mich zu James um. „Das musst du ja wissen." Damit verlasse ich den Raum und mache mich auf den Weg in die Umkleide und die danebenliegende kleine Dusche. In der Stille öffne ich meine Sporttasche, nehme mir mein Duschzeug und meine Kleidung raus, die ich zuvor getragen habe und beginne meinen Sport-Bh zu öffnen. Danach ziehe ich mir meine lange, schwarze Sporthose aus, worauf der normale Bh und Unterhose folgen. Schließlich gehe ich mit meinen offenen Haaren in die Dusche. Das Wasser hier ist nie warm, sondern kommt immer eiskalt aus der Brause. Vielleicht dachten sich die Inhaber ja, dass es besser wäre, da erstens, sie kein warmes Wasser zahlen mussten und sich somit den Boiler sparten und zweitens, weniger Wasserverbrauch entsteht, da niemand freiwillig eine halbe Stunde unter eiskaltem Wasser steht. So auch ich. Trotzdem, auch wenn das Wasser extrem kalt ist, bleibe ich noch länger unter der Dusche. Erinnere mich daran zurück, wer ich einmal war. Das kleine, lächelnde Mädchen mit einer riesigen Zahnlücke, das in die Kamera lächelt. Das Foto habe ich als Hintergrundbild in meinem Handy. Damals war ich noch süß und eine Bohnenstange, deren Ärmchen man ohne weiteres umfassen konnte. Jetzt nicht mehr. Auch wenn ich durch das Tanzen relativ muskulös bin, habe ich mit meinen zwanzig Jahren doch meine Problemzonen. Weshalb ich kurze Hosen und enge Kleider hasse. Von Röcken fange ich erst gar nicht an. Mein Bauch ist eigentlich die einzige Zone, die ich an meinem Körper nicht hasse.

Erst, als sich meine Haut schon verfärbt steige ich aus der Dusche. Ziehe mir meine Kleidung an und werfe das nasse Handtuch, zu dem anderen benutzten, in die Tasche. Ich sehe meine brünetten Haare an, die einen rötlichen Stich haben und drehe sie in meinen Händen. Es beginnen sich einige Locken zu bilden, weshalb ich entnervt aufstöhne. Von allem, was ich von meiner Mutter erben konnte, ihre grünen Augen, oder ihre eher kleinere Oberweite, stattdessen bekam ich wirklich üppige Brüste und meine stechend blauen Augen. Früher kam ich mit meinen Rundungen nicht klar, begann Diäten zu machen, wurde schließlich so dünn, sodass ich unterernährt war. Mein Verhalten kann ich heute noch nicht kontrollieren, kann ich jetzt auch nicht. Mein Blick schweift zu meinen Oberschenkeln, die trotz des Trainings, doch zu dick erscheinen. Schwer schlucke ich, versuche den Kummer zu vertreiben, das Bedürfnis, die nächste Mahlzeit auszulassen. Mein Körper ist gut so, wie er ist. Er ist schön, versuche ich mir selbst einzureden. Manchmal macht mich diese eine Stimme wahnsinnig. Diese Gedanken, die mich auf die falsche Schiene gebracht haben. „Vergiss es jetzt, reiß dich zusammen", herrsche ich mich selbst leise an. Meine Stimme hallt an den Wänden wieder und plötzlich habe ich das Gefühl, keine Luft zu bekommen. So schnell es geht, ziehe ich mir meine Schuhe an und hänge meine schwarze Sporttasche über meine Schulter. Auf meine Schuhe blickend, laufe ich plötzlich in jemanden hinein. Mich schnell umdrehend meine ich überrascht: „Was machst du noch hier?" James sieht mich an und atmet einmal tief ein, scheinbar um sich selbst Mut zu machen. „Ähem, möchtest du vielleicht einen Kaffee trinken gehen? Also mit mir?" Seine Ohren laufen etwas rot an und wieder fährt er sich durch seine Haare, wodurch sein Bizeps deutlich zur Geltung kommt, als er seinen Arm zum Kopf hebt. Lächelnd sehe ich ihn an. „Du zahlst, ansonsten kann ich mir meine Miete nicht leisten", meine ich als Scherz gemeint in seine Richtung, obwohl viel zu viel Wahrheit dahintersteckt. Dann fällt mir aber meine Sporttasche über meiner Schulter auf und meine nassen Haare, die immer noch nasse Spuren an meiner Kleidung hinterlassen. „Ich kann doch nicht so mit dir einen Kaffee trinken gehen." Mit meinem Zeigefinger deute ich auf meine Haare, Tasche und Kleidung. James verdreht seine Augen. „Ist doch egal. Gehen wir jetzt einen Kaffee trinken?" Ungeduldig sieht er mich an und erinnert mich an einen kleinen Jungen, der an Weihnachten endlich seine Geschenke auspacken möchte. Also kann ich nicht nein sagen und stimme schlussendlich zu. Im Endeffekt gehen wir in ein kleines Café, wo James mich zu einem Fensterplatz zieht. Ich lasse mich auf die kleine, schmale, königsblaue überzogene Bank nieder, gegenüber von James. Bevor ich mich hinsetze, schiebe ich die langsam schwer werdende Tasche vor mir auf die Bank. Als wir beide schließlich sitzen, James, wartet schon ganz ungeduldig, kommt eine Frau mittleren Alters zu uns an den Tisch und fragt uns, was wir bestellen möchten. James sieht mich fragend an und hebt eine Augenbraue. „Einen Cappuccino, bitte." Die Kellnerin dreht sich lächelnd in Richtung des Mannes vor mir. „Und Sie, Sir?" James lächelt die Kellnerin an. „Mir bitte einen Espresso, Lizzy." Die ältere Dame, Lizzy, wie ich jetzt weiß, sieht James lächelnd an. „Also wie immer." Dann dreht sie sich um und geht zum nächsten Tisch. „Du kennst sie", stelle ich überrascht fest. James grinst über meinen Gesichtsausruck und ich komme nicht ohnehin zu denken, dass die Grübchen in seiner Wange unwiderstehlich hervorstechen und seine weißen Zähne fast schon zu weiß und gerade sind. Zwischen meinen zwei oberen Vorderzähnen ist eine kleine Lücke, die mich immer noch stört, wenn ich lache, was ein dürftiger Grund ist, dass ich auf den meisten Fotos nur lächle. „Ich komme öfter hier her." „Das tust du tatsächlich", meint Lizzy. „Er kommt jede Woche hier her. Jede einzelne Woche", erklärt sie mir mit Nachdruck, während sie den Cappuccino und Espresso vor uns auf den Holztisch stellt. „Außerdem lief deine Musik heute im Radio. Du kannst stolz auf dich sein, Junge." Lizzy klopft ihm auf die Schulter, während ich ihn anschaue. Eigene Musik, was soll das heißen?


Your moves to my musicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt