4. Kapitel

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☀ABIR - Young & Rude☀


K a t h a r i n a

„Einen Whiskey, bitte."

Ich werde mich heute betrinken, es spricht nichts dagegen und das letzte Mal, als ich mich betrunken habe, war vor einem Jahr gewesen. Dort war ich so richtig betrunken gewesen. Nicht dieses 'ein wenig schwummrig', nein, ich hatte mich vollgekotzt. Keine Leistung, auf die ich stolz bin, jedoch hatte ich meine Gründe es zu tun. Genau wie jetzt. Den Schmerz verschwinden lassen. Das hat jetzt oberste Priorität. Der Barkeeper stellt das Glas mit der schillernden Flüssigkeit mit viel Schwung auf dem Tresen vor mir ab. Dann dreht er sich um, um seine neue Kundschaft zu bedienen. Denn obwohl das hier die totale Dreckskneipe ist, drängen sich die Menschenmassen förmlich hier rein. Schnell kippe ich mir den Drink die Kehle hinunter und kann mir nicht verkneifen, mein Gesicht zu verziehen. „Noch einen", schreie ich dem Barkeeper zu, der gerade auf der anderen Seite der Bar steht, um Bier in ein großes Glas zu füllen. Genervt schließe ich meine Augen und vergrabe meinen Kopf in meinen Händen. Bilder rasen schnell an meinem inneren Auge vorbei und vor lauter Schock, dass er immer noch in meinen Gedanken ist, öffne ich sie weit. In diesem Moment stellt mir der Barkeeper ein neues Glas Whiskey vor die Nase und ich komme nicht umhin zu denken, wie erbärmlich ich eigentlich aussehen muss.

Meine Mascara muss schon verrutscht sein und unter meinen Augen schwarze Streifen bilden und auch bei meinen Haaren sieht es nicht besser aus. Ich fasse mir kurz in das Vogelnest und bemerke, dass sie wirklich in alle Richtungen stehen. Schnell bemühe ich mich, meine Haare etwas zu ordnen, was mir aber wahrscheinlich nur eher mäßig gelingt. Als ich an mir runtersehe, wird mir erst klar, dass meine zerrissene Jeans und mein normales Top nicht für hier geeignet ist, denn sogar hier falle ich auf. In einer lauten, nach Alkohol und Zigaretten riechenden Absteiger Kneipe. Bevor ich noch weiter nachdenken kann, nehme ich schnell den Whiskey in die Hand, halte ihn an meine Lippen und schlucke das eklige Getränk runter. Vergessen hat jetzt oberste Priorität. Feigling. „Noch einer, bitte", rufe ich dem Barkeeper zu, der gerade ein weiteres Getränk zusammenmischt. Dieser nickt deutet mir, dass ich ein paar Minuten zu warten hätte. Nach dem nächsten Drink werde ich tanzen gehen, schwöre ich mir. Wieder kommen Bilder hoch, von denen ich doch geflohen bin. Wieso verfolgen sie mich immer noch?
Wieder wird ein gefülltes Glas vor mir abgestellt. Ich schaue immer noch auf meine Fingernägel, die dringend eine Maniküre bräuchten. Sie splittern schon ab und das hellgrau in denen ich sie lackiert hatte, ist nur noch zur Hälfte vorhanden. Der Barkeeper vor mir, der keine Anstalten macht zu gehen, ist aber der eigentliche Grund, weshalb ich gerade jetzt auf meine Nägel schaue.
„Miss, ich weiß, dass sie sich vorhaben zu betrinken, wie alle diese Menschen hier. Nur sehen sie so aus, als würden sie vor etwas flüchten." Seine Entdeckungen lassen mich aufschauen. „Ach, dann sehe ich also so fürchterlich aus?" Der Barkeeper vor mir beginnt schief zu grinsen. „Sie sehen nicht fürchterlich aus. Nur verzweifelt. Fürchterlich verzweifelt." Nun muss, trotz diesem in die Brüche gegangenen Tag, auch ich grinsen. „Man schafft es nicht vor seinen eigenen Gedanken wegzurennen. Das ist der Grund, wieso ich hier bin und weshalb mein neuer bester Freund, der hier ist." Ich deute mit einer Hand auf den Whiskey und mit der anderen fahre ich mir in meine Haare. „Die Liebe?", fragt der Mann hinter dem Tresen und ich komme nicht umhin trocken aufzulachen. „Die ist es doch immer. Genau wie das Vertrauen... Also, wieviel soll ich zahlen?" „Das geht auf das Haus." „Sowas von nicht. Also wie viel?" Ich ziehe aus dem Mittelteil meines BHs genügend Geld hervor. „Hier." Das Geld lege ich vor den fremden Mann, dem ich seit einem Jahr mehr Gefühle von mir erzählt habe, als ich es irgendjemanden tat. Eingeschnappt nimmt er mein Geld an sich, zählt es ab und gibt mir die Hälft der Geldscheine wieder zurück. „Das reicht." Provozierend hebe ich eine Augenbraue, was er mir gleichtut. Schließlich atme ich seufzend aus, trinke in zwei Zügen meinen Whiskey aus und stelle das Glas zurück auf den Tresen. „Es war mir eine Freude, fremder Barkeeper." Lächelnd drehe ich mich weg und verschwinde in der Menschenmenge.

Zwischen den schwitzigen Körpern sich fallen zu lassen ist schwer, vor allem, wenn die schlechteste Musik auf dem ganzen Planeten gespielt wird. Genervt schließe ich meine Augen und beginne mit dem Rhythmus der Musik meine Hüften zu bewegen. Nach einiger Zeit folgen meine Hände, bis ich schließlich eines mit der Musik bin und mich von der Melodie treiben lasse. Der Alkohol in meinem Körper hilft mir ein wenig etwas von meinen Gedanken abzulegen und meine Bewegungen lassen mich das Übriggebliebene abschütteln. Vergessen. Das werde ich jetzt tun. Vergessen.

Erst nach einigen Stunden zwischen den sich bewegenden Körpern, bin ich bereit die andere Hälfte meines Geldes rauszuwerfen. Weiter zu vergessen. Ich setze mich gerade wieder auf einen der Barhocker, als mich jemand anspricht.
„Darf man der jungen Frau etwas ausgeben?"
Ich schaue schnell zu der Stimme, erkenne einen großgewachsenen Mann und obwohl er nicht meinem Beuteschema gehört, lächle ich ihn an. Zögernd zucke ich mit den Schultern und fahre mir durch meine Haare. Feigling, spukt das Wort wieder in meinem Kopf umher.
„Einen. Sie können mir einen ausgeben." „Was möchten Sie?", fragt mich der blonde Surfer Boy mit einem Grinsen im Gesicht. Lachend atme ich aus. „Sie sind der Profi hier. Was glauben Sie, was ich möchte?" Der Blonde mustert mich und ich komme nicht umhin mich selbst zu fragen, warum er in diesem Club gerade mich ausgesucht hat. Seine blauen Augen scheinen mich fast aufzusaugen, als wollten sie die tiefsten Geheimnisse meiner Seele entdecken.

„Also?", frage ich ihn, um meinen Körper nicht von seinen Augen aus der Fassung bringen zu lassen. „Sie sehen so aus, als würden sie gerne ein Bier haben", merkt der Fremde selbstbewusst an. Ich beginne zu grinsen und schüttle leicht den Kopf, während ich mir auf meine Lippe beiße. „Fast. Ich trinke heute kein Bier, auch wenn ich es gerne trinke. Also, versuchen Sie es erneut." Das kindliche Strahlen in seinem Gesicht kehrt wieder zurück, dass sich kurz davor aus seinem Gesicht gelöst hatte, als ich verneint habe. „Irgendeinen speziellen Drink?", fragt er mich und ich muss den Kopf wieder lächelnd schütteln. „Geben Sie mir einen Whiskey aus und ich bin zufrieden mit Ihnen." „Sie haben vor sich zu betrinken", stellt der Sunny Boy nun ernst fest, das Grinsen scheint aus seinem Gesicht gewichen zu sein. Ich mache eine auslandende Bewegung und lasse meinen Blick über das Lokal schweifen; meine Hand folgt dieser Bewegung. „Was glauben Sie, was alle diese Menschen heute vorhaben?" Der blonde Mann vor mir lehnt sich in meine Richtung. „Sie haben vor Spaß zu haben", erklärt er mir ernst.
Leicht schüttle ich den Kopf, nun auch ernst. „Stimmt. Sie haben alle vor Spaß zu haben. Mit oder durch Alkohol. Es läuft alles auf das Gleiche hinaus." Ich lehne mich mit einem provozierenden Lächeln zurück. „Genau das Gleiche habe ich heute nämlich vor. Spaß haben."

Nun lächelt der Surfer Boy wieder. „Dann sollte ich Ihnen doch einen Drink ausgeben." „Wenn Sie so nett wären." Ich weiß, dass ich schon angetrunken bin, denn ich hätte niemals irgendwen nüchtern für mich in einer Kneipe bezahlen lassen. Ich weiß, dass das heute entweder auf eine sich übergebende Katharina oder auf eine Katharina mit einem Sunny Boy im Bett enden wird. Ich weiß so viel und trotzdem brauche ich es, weil ich auch weiß, dass ich vergessen möchte. „Eine Whiskey und ein Bier, bitte", ruft er den gleichen Barkeeper, den ich heute schon auf die Nerven gegangen bin. Der Mann hinter dem Tresen, der gewisse Ähnlichkeiten mit dem Sunny Boy aufweist, dieselben blonden Haare und hellblauen Augen, mustert den Surfer Boy kritisch. „Falsches Opfer, John", stellt der Barkeeper fest. Kritisch beobachte ich die Beiden. „Mein Leben, Scotty. Meine Entscheidungen", bellt der fremde Mann neben mir zurück. Bevor die Beiden weiter diskutieren können, entscheide ich mich dazu einzuschreiten. Ich lehne mich ein wenig über den Tresen und meine: „Also Scotty", dabei spreche ich seinen Namen provozierend aus. „Bekomme ich heute noch bitte einen Whiskey? Danke." Ich klimpere ein wenig mit meinen Wimpern und der Barkeeper, Scotty, dreht sich genervt um und holt die Gläser um die Getränke zusammen zu mischen. „Hier ist dein Whiskey", sagt er laut und stellt das Glas fast schon mit Gewalt vor mir ab. „Ich kann nicht glauben, dass du so ein Idiot bist, John", beginnt der Barkeeper los zu poltern. Er öffnet gerade die Flasche mit Bier und möchte sie auf den Tresen abstellen, während ich den Whiskey unter einem Zug austrinke. „Es hat mich gefreut, John", erkläre ich ihm, als ich aufstehe. „Und natürlich, Scotty. Einen schönen Abend, wünsche ich noch." Mit diesen Worten verschwinde ich aus der überfüllten Bar und drängle mich durch die schwitzende Menschenmenge. Als ich draußen stehe, atme ich einmal tief die kalte Nachtluft ein und möchte Anstalten machen zu gehen, als mir schlecht wird. Schnell drehe ich mich zu einer Straßenlaterne neben mir und übergebe mich über sie.

Scheiße, das war wohl doch ein wenig zu viel Whiskey für mich.

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