8 - Die Flucht des Drachen

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Gefährliche Freundschaft
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Kapitel 8

Das Dorf lag schon lange hinter ihnen und nach einer langen Zeit hatten sie auch die höchsten Häuser des Dorfes nicht mehr sehen können. Ursprünglich wäre es möglich gewesen, auf die Entfernung noch die Spitze des Uhrenturmes zu erkennen, doch dieser war ja eingestürzt. Bisher waren sie noch niemanden über den Weg gelaufen, was wohl schlichtweg daran lag, dass das nächste Dorf in der anderen Richtung lag und keiner den langen Weg bis zu dem weit entfernten Dorf im Westen auf sich nehmen wollte.

Während des langen Marsches hatten sowohl Vin als auch Atlas sich in Schweigen gehüllt, aber nun, da die Sonne schon seit längerer Zeit hinter dem Horizont abgetaucht war, beschlossen sie, eine Pause einzulegen. Diese schien besonders dem Drachen gutzutun, dessen Wunden ihm noch immer wehtaten. Auch Vin begrüßte die Rast, waren sie doch die ganze Zeit gegangen und hatten nicht einmal etwas gegessen zwischendurch. Atlas hatte noch viel länger als sie nichts zu sich genommen. Der Drache musste unglaublichen Hunger schieben!

Schnell versuchte sie, ihm klarzumachen, dass er sich etwas zu fressen suchen konnte, wenn er wollte und dies ließ sich der Drache nicht zweimal sagen, allerdings funkelte er sie vorher noch einmal an, da sie ihn seiner Meinung nach herablassend behandelt hatte. Er lief den Abhang, auf dem sie gerade standen, ein wenig hinkend hinunter und steuerte dann zielstrebig eine der Kuhfarmen an. Vin indes blickte sich um. Bis auf die Farmen unter ihnen, wo der Drache nun nach Milch und Fleisch suchte, waren keine Häuser zu sehen. Weit und breit waren nur Felder und Wiesen und Wälder. Der Hügel, auf dessen Gipfel Vin sich nun hinsetzte, ragte aus diesen hervor.

Vin beobachtete das Himmelszelt, während sie auf die Rückkehr des Drachens wartete. Viele Sterne waren nicht zu sehen, denn einige Wolken hatten sie davor geschoben. Dennoch genoss sie es sehr, für einen Moment alleine zu sein, nur auf dem Rücken zu liegen und sich in aller Ruhe die Sterne anzusehen. Sie dachte an ihr Haus. Es war mittlerweile einige Meilen entfernt und bereits jetzt zerriss sie das Heimweh, aber noch mehr war sie besorgt um Zara. Ob es ihr gut ging? Vin hatte sie nicht gesehen seit sie den Uhrenturm gestürzt hatten.

Ihre Gedanken schweiften zu dem blauen Drachen. Ob sein toter Körper noch immer auf dem Marktplatz lag? Wahrscheinlich. Vin konnte sich nicht vorstellen, dass jemand ihn entfernt hatte, zum Einen, weil der Drache groß und schwer war und zum Anderen war sie sich sicher, dass nicht ein einziger Dörfler sich darum scheren würde, was mit dem Leichnam des Drachens passierte. Irgendwann würden sie ihn wohl wie wegschleifen, da er den Markt einschränkte, und entsorgen wie einen Gegenstand, nicht wie ein Tier, wie ein Lebewesen. Oder aber der Drache würde dort liegen bleiben, auf ewig als Abschreckung oder Ziel des Spotts dienend.

Das Mädchen wurde aus ihren Gedanken gerissen, als es neben sich ein leises Schnaufen hörte. Der Drache war wohl zurückgekehrt und erschöpft, da er trotz seiner Wunden gelaufen war. Sein Maul war sauber. Insgeheim dankte Vin es ihm, denn sie hätte nur ungern gesehen, wie Blutspritzer und Milch an seinem Maul klebten. Sie selbst verspürte keinen Hunger, wusste aber, dass sie etwas essen müsste, sobald die Sonne aufgegangen war. Doch für diesen Moment dachte sie erst einmal nicht an Essen.

Atlas legte sich neben sie und hob dann ebenfalls seinen Blick gen Himmel. Eine Zeit lang schwiegen die beiden, so ungleichen, Lebewesen, bis Atlas' Stimme in ihrem Kopf ertönte: Woher weißt du meinen Namen? Vin erstarrte. Ursprünglich hatte sie geplant, den Drachen mit dem Wissen über seinen Namen zu ärgern, doch dann war die Flucht dazwischen gekommen. Nun wollte sie aber nicht verraten, dass sie den blauen Drachen getroffen hatte und sich an dessen Tod schuldig fühlte. Deswegen schwieg sie.

Dann, nach einiger Zeit, drehte Vin sich ein wenig zu ihm um und stützte sich auf ihren Ellenbogen. Der Drache beachtete sie nicht weiter und blickte in die Ferne. Ganz langsam, vorsichtig und leise streckte Vin einen Arm aus und berührte mit ihren Fingern sachte einige der dunklen Schuppen an seinem Hals, dort, wo sie von kleinen, weißen Spritzern gesprenkelt waren. Sie waren warm, nicht wie die des blauen, dessen Schuppen kalt gewesen waren. Die Wärme spendete ihr Trost und sie wollte, dass ihre Berührung auch den Drachen ein wenig tröstete.

Der Fall des Drachen [1] - Gefährliche FreundschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt