35: Alte Wunden und Ängste

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Disse:
Ich öffnete meine Auge und blinzelte der Sonne entgegen, die durch das offene Fenster in mein Schlafzimmer schien. Wie immer im Sommer, schlief ich mit offenem Fenster, sonst würde ich es hier drin, bei dieser Hitze nicht aushalten. Ich blieb erstmal einen Moment regungslos in meinem Bett liegen und lauschte den Möwen. Ein Geräusch, das ich jeden Morgen hören könnte. Ich brauchte etwas Zeit um festzustellen, was heute für ein Tag war. Spieltag! Am liebsten würde ich mich nochmal umdrehen und eine Stunde weiterschlafen. Aber mein Zeitplan ließ das leider nicht zu. Ich hatte meinen Morgen bereits fest geplant. Erst würde ich bei der Uni vorbeifahren und da noch ein paar Dinge wegen meinem Studium klären, anschließend werde ich zu Haley fahren. Ich wusste zwar, dass es ein Risiko war, denn sie hat bereits erwähnt, dass ihre Eltern nicht gerade davon begeistert sind, dass sie Kontakt zu mir hat. Aber das war mir in diesem Fall egal. Wenn sie sich nicht bei mir meldet, dann komme ich eben zu ihr. Die Ungewissheit, was mit ihr ist frisst mich von innen heraus auf. Ich muss es einfach wissen. Ich hatte keine Lust, dass mich dieses Thema weiterhin belastet, und ich womöglich meine Chance, mich heute bei dem Spiel präsentieren zu können, vermasseln würde. In der Startformation stand ich schon mal nicht. Wie so oft, musste ich mich hinter Lukas und Niko einreihen, die eben auch die besseren Trainingsleistungen einbrachten. Auch wenn ich nach außen hin immer den Anschein machte, dass ich eiskalt wäre und jede Kritik an mir abprallt, wie Regentropfen, wenn sie auf den Regenschirm fielen. Nein, Kritik ließ mich nicht kalt. Im Gegenteil! Sie schneidet tiefe Wunde in meinem Herzen. Ich wusste selbst, dass ich unter meinen Erwartungen zurückgeblieben bin. Nach meiner ersten Saison in Kiel, die besser als erwartet lief. Vor allem die Zeit bis zur Winterpause, war so ziemlich meine beste sportlich gesehen. Ich hatte mich in kurzer Zeit in die Startformation gespielt, wurde in den Nationalkader für die Europameisterschaft im Januar gerufen. Von einem unbeachteten Spieler von TUSN Lübbecke zur Deutschlands Hoffnung. Diese Spiele haben die Erwartungen enorm nach oben getrieben. Nicht nur die Fans, sondern auch die Medien hatten hohe Erwartungen gehabt, denen ich aufgrund meinem Verletzungstief nicht mehr nachkommen konnte. Rio war so ziemlich der Tiefpunkt in meiner Karriere gewesen. Nach meinen zwei Kreuzbandrissen dachte ich, dass das so ziemlich mein Tiefpunkt gewesen ist, doch nach Rio war ich noch weiter in ein Loch gefallenen, aus dem ich nur mit viel Willenskraft wieder hinausgekommen bin. Die schlimmste Worte die ein Spieler hören sind sind, wenn dir die Ärzte nicht versprechen können, ob du wieder in der Möglichkeit sein wirst, auf der Platte zu stehen. Diese Worte reißen dich auf den Boden. Du fragst dich, ob es sich überhaupt lohnt zu kämpfen, wenn niemand dir versprechen, kann wieder deine größte Leidenschaft auszuüben. Nach einem OP-Marathon, vier Monaten Reha, viel Geduld und Kampfgeist, hatte ich mich zurück aufs Spielfeld gekämpft. Doch meine Spielzeiten hielten sich in Grenzen. Andere hatten meinen Platz eingenommen. Ich musste lernen zu akzeptieren, dass zwei zwanzig jährige Spieler besser waren als ich. Auf jeden Fall keine leichte Situation, wenn man eh kaum Selbstbewusstsein mehr besitzt. Jedes Mal wenn ich das Spielfeld betrete, ist es in meinem Hinterkopf. Die Angst erneut sich zu verletzen. Ich musste lernen mit dieser Angst zu leben. Mit der Angst, dass es jeder Zeit vorbei sein kann. Bis ich langsam wieder mein Selbstbewusstsein aufgebaut hatte, brauchte seine Zeit. Nicht nur die Trainer, sondern auch die Fans wurden mit der Zeit ungeduldig. In den Medien muss man sich Schlagzeilen wie: THW-Hoffnung bleibt hinter seinen Erwartungen zurück: Wird Disse wieder zünden? In der Abwehr konnte ich schnell wieder an neuen alten Leistungen angreifen, doch über die Saison schleppten sich Ellenbogenschmerzen. Dadurch musste ich immer auf Sparflamme trainieren. Am Ende einer harten, gebrauchten Saison, folgte dann eine erneute OP, in der Hoffnung in der nächsten Saison, endlich durchstarten zu können? Doch das Leben meinte es anders für mich. Die Zeit bis ich wieder bei alter Wurfstärke war, schleppte sich und ich würde immer mehr zu einem Abwehrspezialisten. Ich wollte nie ein Abwehrspezialist werden, sich im Angriff, war ich teilweise einfach nicht zu gebrauchen. Durch etwas Glück im Unglück musste ich bei Nordderby in der Champions League in Flensburg für Niko ran, der sich im Training am Tag davor verletzt hatte ran. Meine Motivation war groß gewesen. Ich hatte meine Chance gewittert. Spielte ein überragendes Spiel. War das Eis wieder gebrochen? Sieben Tage später die gleichen Voraussetzungen wieder in Flensburg diesmal in der Liga. Ich durfte von Anfang an ran. Alfred hatte mir das Vertrauen gegeben, ich wollte ihn nicht enttäuschen. 27 Minute noch wenige Minuten bis zur Halbzeit. Angriff. Eine einfache Kreuzung. Ein Schubs in der Luft. Unkontrollierte Ladung. Knie verdreht! Ich wusste sofort! Feierabend! Ein weiterer Tiefschlag. Nach jedem Aufstieg folgte ein Abstieg, der mich wieder auf den Boden der Tatsachen riss. Mit der Zeit fängt man an sich selbst zu Hinterfragen. Hat das alles noch Sinn? Bin ich einfach zu schlecht? Wäre es besser für mich, aufzugeben? Doch dann hältst du wieder diesen Ball in deiner Hand und weißt wieder wozu du geboren wurdest. Und alle Zweifel sind Schnee von gestern. Dich packt neue Motivation. Für diese Saison hatte ich mich das Ziel gesetzt, wieder beweisen zu können, dass ich diesen Platz verdient habe. Ich hatte bis jetzt eine gute Vorbereitung gespielt. Bei Flensburg-Cup 4 Tore im Nordderby. Aufsteigende Tendenz. Doch persönliche Dinge, bremsen mich. Die Sache mit Lukas hatte Spuren hinterlassen. Da läuft sie mir vor die Autotür. Anfangs wusste ich diesen Zufall nicht zu schätzen, doch wenige Stunden später, als sie in der Halle saß und gedankenverloren aufs Spielfeld starte. Hatte es sich angefühlt, als wären wir bestimmt für einander. War sie meine Rettung? Was sie ein Zeichen, dafür, dass ich es schaffen kann? Ich wusste zwar nicht, was dies alles zu bedeuten hatte, das einzige was ich wusste, dass sie eine Bereicherung für mein Leben ist. Wir sind beide in einem Tief, begegnen  uns. Das kann doch nur ein Zeichen sein, dass wir einander brauchen um aus diesem Loch zu kommen, oder? Doch dann dies am Sonntag. Was wollte das Leben den noch von mir? Anscheinend hat es Freude daran, mich leiden zu sehen. Wollte es mir jegliche Hoffnung nehmen? Ich musste es einfach wissen. Lohnt es sich noch zu kämpfen?

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