49: Gefühlschoas

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Askja:
Immer wieder hallten die Worte meines Vaters in meinem Kopf wieder, während ich star geradeaus starrte und die Informationen, die ich gerade bekommen hatte, versuchte zu verarbeiten. „Haley, du bist nicht unsere Tochter, wir haben dich adoptiert", wieder und wieder hörte ich diesen Satz. Ich befand mich in einer Art Trancezustand, indem ich nicht wusste, ob das was ich gerade gehört, der Wirklichkeit entsprach. Hatte ich das richtig verstanden. Bin ich wirklich adoptiert? Wer sind dann meine Eltern? Wo komme ich her? Wieso haben meine Eltern mir das nie erzählt? War mein ganzes Leben eine einzige Lüge? Bin ich überhaupt die, für die ich mich gehalten habe? Was wäre aus mir geworden, wenn ich nicht adoptiert worden wäre? In meinem Kopf wimmelte es nur von Fragen. Ich war erschlagen von dieser Tatsache. Ich spürte die Hand meines Vaters, die sich auf meinen legte. „Haley, es tut mir leid, wir hätten es dir viel früher mitteilen sollen, dass sie nicht deine leiblichen Eltern sind und Luke nicht dein Bruder", in seiner Stimme schwang Reue und Trauer mit. Er war den Tränen sehr nahe, dass spürte ich. Die Realisation, dass Luke nicht mein Bruder war, traf mich härter als erwartet. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Nacheinander kullerten sie an meiner Wange hinunter und tropften auf meine nackten Beine. Wortlos zog mich mein Vater in seine behutsamen und beschützenden Arme. Auch er schluchzte vor sich hin. Was das für eine Last für ihn gewesen sein muss, dies die ganzen Jahre mit sich herumzutragen? Immer mit der Angst verbunden, ich hätte diese Geheimnis lüften können. Jetzt fügten sich die einzelnen Puzzleteile wieder zusammen. Deswegen hatte er immer darauf geachtet, mit wem ich Kontakt habe. Deswegen hatte er mich so kontrolliert. Auf einmal erinnerte ich mich an etwas. An einen Traum, denn ich hatte, während ich nach meinem Unfall im Koma gelegen habe:

Flashback:
Auf einmal tauchten Bilder auf, welche ich noch nie zuvor gesehen habe. Ich hatte weder eine Ahnung, woher diese Bilder waren und was sie bedeuten sollten. Das einzige was ich identifizieren konnte, war die Flagge von Island. Ich nahm auf einmal Stimmen wahr. Stimmen die ich noch nie zuvor gehört hatte. Die eine würde ich einen älteren Mann zu ordnen, die anderen einem jungen Mann und einer jungen Frau. „Ihr könnt sie mir nicht wegnehmen", bettelte die Frau. „Du bist 20 und bist bereits zum zweiten Mal schwanger", es war die tiefe Stimme, des Älteren. „Es war ja so nicht geplant, Papa", verteidigte sich der Jüngere. „Du bist neunzehn", schrie ihn sein Vater an. Die Frau sagte nichts und schaute nur beschämt zu Boden. „Papa, wir schaffen das schon", sagte der Jüngere optimistisch. „Wie denn? Ihr habt beide keinen Job, seid Studenten und hab zwei kleine Kinder, wie soll das gehen. Der Kleine war ja noch ok, aber jetzt das! Habt ihr noch nie etwas von Verhütung gehört!", er war so aufgebracht. „Wir bringen sie aber nicht um", sagte die Frau zum ersten Mal etwas. „Nein, Schatz, wir werden sie nicht abtreiben", versprach ihr Freund ihr, dass sie um das Baby kämpfen werden. „Es gibt zwei Optionen: Ihr gebt sie zur Adoption frei, oder ihr landet alle vier auf der Straße", drohte sein Vater. Er war ein herzloser Mensch. „Papa das kannst du nicht machen! Du kannst sie uns nicht wegnehmen", flehte er seinen Vater an, doch der bleib eiskalt. Er verließ das Krankenhauszimmer. „Wie wollen wir das Gisli erklären?", schluchzte die Frau. „Beruhige dich, wir schaffen das schon", redete der Mann beruhigend auf sie ein. „Er hat sich so auch seine Schwester gefreut", erinnerte sie ihn. „Wir müssen ihm leider sagen, dass du sie verloren hast", fasste er einen Entschluss. „Du stimmst ihm jetzt nicht ernsthaft zu", sie war aufgebracht. „Wir haben keine andere Wahl, wie sollen wir die beiden am Leben halten ohne Studienabschluss ", merkte er an. Dann wurde alles wieder schwarz.

Die ganze Zeit hatte ich mich gefragt wieso Gisli in diesem Traum vorgekommen war und was dieser Traum zu bedeuten hatte, jetzt erinnerte ich mich an das was mein Vater mir gerade erzählt hatte, dass ich adoptiert war. Habe ich in diesem Traum meine Eltern gesehen? Wer war die dritte Person? Und bedeutete das dann, dass Gisli mein Bruder ist? „Papa, kann ich dich mal was fragen?", wollte ich wissen, wobei mir zum erstmal auffiel, dass es seltsam war, dass ich ihn Papa nannte, obwohl er nicht mein Vater war? „Ja, alles", meinte er und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Wer sind meine Eltern und wieso habt ihr mich adoptiert?", platzte es aus mir heraus. Ich konnte diese Fragen fuhr mehr für mich behalten. „Kann ich dir das heute Abend in Ruhe erklären", schlug mein Vater vor. Ich nickte. „Ich muss nämlich noch ein paar Dinge regeln", erklärte er mir. Ich nickte. Ich sollte mich vielleicht auch mal umziehen. „Was ist mit Disse?", fragte ich besorgt. „Ich weiß es nicht?", antwortete mein Vater achselzuckend. „Darf ich?", begann ich. „Ja, du darfst zu ihm", antwortete mein Vater. Ich fiel ihm um die Arme. „Weißt du was, auch wenn ich nicht deine Gene habe, den Dickschädel habe ich von dir", grinste ich. Auch er musste schmunzeln. „So muss es wohl sein", lachte er. „Ich werd euch immer lieben und ihr werdet immer meine Eltern bleiben", versicherte ich ihm. Dann drückte er mich noch fester an sich. „Danke, ich bin so stolz auf dich", flüsterte er. „So ich zieh mich mal dann an", entschied ich. Viktor nickte und verließ das Badezimmer. Fassungslos betrachtete ich mich im Spiegel. „Ich bin adoptiert!", diese Worte sprach ich leise vor mich hin. Irgendwie schockierte mich dies gar nicht mehr. Ich war sogar froh, dass ich es jetzt wusste. Auch wenn ich den Drang verspürte meine wahren Eltern kennenzulernen, wollte ich meine Familie garantiert nicht aufgeben. Ich hab Zeit sie kennenzulernen. Ich muss jetzt nichts überstürzen. Heute Abend wird mir Papa alles erklären. Ich freute mich bereits darauf zu erfahren, wer meine Familie ist und wie das damals alles abgelaufen ist. Es waren so viele unbeantwortete Fragen. Seufzend machte ich mich fertig. Ich entschied mich für eine schwarze Hotpants und ein weißes T-shirt. Frisch geduscht ging ich dann nach unten zum Frühstückstisch. Ich spürte wieder das Knurren in meinem Bauch. Hunger! Ich hatte die letzten Tage nichts gegessen. Umso mehr aß ich jetzt. „Wenn es Haley heute wieder besser geht, können wir an den Strand gehen", fragte mein kleiner Bruder. „Ich muss nachher noch in die Arbeit", erklärte mein Vater. „Ich muss leider auch noch ein paar geschäftliche Dinge erledigen", meinte meine Mutter. Sofort schaute er mich auffordernd an. Eigentlich wollte ich zu Disse und schauen wie es ihm ging, aber dem Hundeblick von meinem Bruder konnte ich nicht wiedersehen. Ich konnte auch noch gegen Abend bei ihm vorbeischauen. „Von mir aus gerne", strahlte ich. „Du bist aber vorsichtig, und ihr geht nicht ins Wasser. Normalerweise würde ich es ja erlauben, wenn Haley dabei bist, aber du sollst noch keinen Sport machen", gab meine Mutter die Regeln fest. „Ich kann auf meinen Körper hören. Wir fahren heim, wenn es mir zu viel wird", versprach ich. „Gut, dann euch einen guten Nachmittag", meinte mein Vater der seinen letzten Schluck Kaffee trank. Dann gab er uns allen einen Kuss, bevor er dann außer Haus ging. Kurz darauf fuhr sein Wagen von der Einfahrt. „Ich hol dann meine Badehose", quiekte Luke aufgeregt und verschwand nach oben. „Du bleibst aus der Sonne", schärfte meine Mutter ein. „Ja", ich verdrehte die Augen. Sie meint es ja nur gut, aber manchmal nervte das echt. Wenige Minuten später wartete ich dann fertig angezogen auf meinen kleinen Bruder, damit wir los zum Strand konnten. Unter meinen weißen T-shirt zeichnete sich mein türkisfarbener Bikini hervor. Damit niemand meine Narbe am Hinterkopf sah, trug ich einen Sonnenhut. Ich schaute auf die andere Straßenseite und stockte, als ich ihn aus dem Haus gehen sah. Was machte er hier? Beschattete er mich? War er doch nicht der für den ich ihn gehalten habe? Er hatte mich noch nicht bemerkt. Soll ich ihn rufen? Oder lieber nicht? Es ging ihn ja gut, wenn ich das von hier aus beurteilen konnte. Dann traf sein Blick meinen und er blieb wie angewurzelt stehen. Wenn Blicke Worte sprachen, dann hätte dieser kurze Blickkontakt allein tausend Worte gesagt. Doch als wir gerade einen Schritt aufeinander zu machen wollten, wurden wir unterbrochen.

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