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Lukas Graham - Love Someone

Kursiv = Flashback

Mal wieder wachte ich in dem Krankenzimmer auf. Ich glaube, ich war in den letzten paar Tagen so oft ohnmächtig geworden, und danach in einem Krankenzimmer gewesen, wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Mir ging es recht gut, als ich mich aufsetzte, und die Decke des Bettes zurückschlug. Keine hämmernden Kopfschmerzen, genauso wenig wie irgendwelche anderen Anzeichen einer Überanstrengung.
Als ich schließlich aufstand und an mir hinunter schaute, atmete ich vor Erleichterung etwas auf, da mich nicht schon wieder jemand umgezogen hatte, sondern ich immer noch meine Klamotten von unserem Partyabend anhatte.
Mit beschwingtem Schritten ging ich nun an das Fenster gegenüber mir und entdeckte, dass die Fensterbank davor groß genug war, um mich darauf zu setzen.
Als ich es mir auf der Bank gemütlich machte und mich an die Wand hinter mir anlehnte, schaute ich aus dem Fenster und bemerkte komischerweise erst jetzt, dass es regnete. Die Tropfen schlugen an der Scheibe auf, und verursachten somit ein regelmäßiges, hämmerndes Geräusch. Die Bäume vor dem Fenster schwankten mit dem starken Wind und der normalerweise blaue Himmel war verdeckt von grauen, regenschweren Wolken. Ein Grollen des Donners riss mich aus der Regelmäßigkeit des Regengeräuschs und ich musste daran denken, wie viel Angst ich früher vor Gewittern hatte. Als ich klein war und - genau so wie jetzt - aus dem Fenster geschaut hatte, und ein Weltuntergangswetter mit Donner und Blitzen geherrscht hatte, hatte ich mich vor Angst unter meiner Bettdecke versteckt. Dann kam immer mein Vater in mein Zimmer, schlug die Decke so weit zurück, dass gerade noch mein Kopf herrausschaute, legte sich neben mich, und begann mir vorzulesen. Er erzählte mir von Drachen und Prinzessinen, von Zauberern und Geheimagenten, von Pferden und Göttern. Und irgendwann hatte ich nicht mehr das bedrohliche Dröhnen des Donners in meinen Ohren sondern nur noch seine Stimme, die mich in so viele verschiedene Welten entführte.

"Als die Ferien einmal begonnen hatten, ging es Ron und Harry einfach zu gut, um lange über Flamel nachzudenken. Sie hatten den ganzen Schlafsaal für sich, auch im Aufenthaltsraum war viel mehr Platz als sonst, und sie konnten die guten Sessel am Kamin belegen. Da saßen sie stundenlang und verspeisten alles, was sie auf eine Röstgabel spießen konnten: Brot, Pfannkuchen, Marshmallows, und schmiedeten Pläne, wie sie es anstellen könnten, dass Malfoy von der Schule flog." Während ich meinem Vater zuhörte, kuschelte ich mich enger an seine Brust. Es war schon später Abend und durch mein Fenster konnte ich sehen, dass es schon dunkel draußen war. Meine Bettlampe war die einzige Lichtquelle in meinem Zimmer, und sie tauchte alles in ein warmes Licht, sodass meine Augenlider immer schwerer wurden. Die weiche Stimme meines Vaters, der das leiser werdende Grollen des Donners und den plätschernden Regen in den Hintergrund rücken ließ, wurde immer leiser. Kurz bevor ich vom Schlaf übermannt wurde, spürte ich noch die Finger meines Vaters, wie sie eine Strähne meiner dunklen Haare aus meinem Gesicht strichen. Kurz darauf spürte ich noch seine Lippen, wie sie einen Kuss auf meine Stirn drückten. "Gute Nacht, meine Kleine."

Ich merkte, dass ich angefangen hatte zu weinen, als mich meine salzigen Tränen an den Lippen trafen. Schnell wischte ich sie weg und legte den Kopf in meine Hände, um mich zu beruhigen.

Man, scheiße! Warum musste ich bloß weinen? Bevor ich wieder zurückgekehrt war, hatte ich doch nie geweint. Ich war nicht in Tränen ausgebrochen, nur weil es draußen regnete. Warum war ich nur so schwach?

Alle anderen dachten immer, ich hätte ein Herz aus Eis. Als ich noch in Manchester wohnte, oder in den anderen Städten in denen ich die letzten zwei Jahre gelebt hatte, ließ ich niemanden an mich heran. Alle Menschen denen ich begegnete dachten, ich wäre arrogant, gefühlskalt, unnahbar oder alles zusammen.

Ich ließ niemanden in mein Herz - niemanden, außer vielleicht Sam.

Doch das war der Weg den ich gehen musste um zu überleben. Ich hatte dicke Mauern um mich herum errichtet, und nichts mehr zugelassen. Keine Freundschaften - bis auf diese eine Ausnahme - keine Menschen, nichts.
Und auch mir selbst hatte ich keine Gefühle erlaubt.

Und unter diesen Gefühlen war auch die Trauer um den Tod meines Vaters, die ich einfach nicht zuließ. Doch jetzt spürte ich, wie langsam jeder Backstein aus meiner selbsterrichteten Mauer fiel. Und somit kamen auch wieder meine Gefühle hoch.

Und jetzt, hier in einem bescheuerten Krankenzimmer mitten auf Hawaii, weinte ich um meinen Vater. Ich weinte, wie ich es noch nie in meinem Leben getan hatte. Ich weinte, bis meine Haut in meinem Gesicht rot und angeschwollen war. Ich weinte, bis der Stoff meines Pullis durchtränkt mit Tränen war, weil ich ihn gegen meine Augen presste. Ich weinte, bis keine Tränen mehr übrig waren, und ich in meiner Brust wieder diese bekannte, allumfassende Leere wahrnahm.

○ ○ ○

Hey!
Ich weiß, ziemlich gefühlsduselig, doch ich denke dass die Trauer um ihren Vater noch nicht zum Ausdruck gebracht worden ist.

Eigentlich wollte ich das Kapitel zu einem Lani-erzählt-Jake-von-ihrem-Vater-und-muss-heulen-Kapitel machen, aber das Kapitel hat sich irgendwie anders entwickelt, und ich bin trotzdem zufrieden damit.

Das Buch hat jetzt übrigens nur noch 5 Kapitel und dann ist es zu Ende!

Becks

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