Mit zitternden Knien besteige ich das Flugzeug und reiche der Stewardess mein Ticket. "Gerade aus, Reihe E links. Einen guten Flug Mr. Park!" Ich nicke leicht lächelnd, wobei es eher gezwungen aussieht. Und das ist es ja schließlich auch.
Ich lasse mich auf meinem Sitz fallen, meinen Blick aus dem Fenster gerichtet. Mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis ich wieder in ein Flugzeug steigen kann. Bis ich meine Angst und Trauer überwunden hatte. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, als die Fluggäste aufgefordert werden, sich anzuschnallen und vorne die Sicherheitsbelehrung durchgeführt wird. Ich schalte ab. Schließlich haben diese Sicherheitsvorkehrungen meinen Yoongi nicht retten können.
Ich werde mich für immer an seinen Gesichtsausdruck erinnern. Der Lärm, der im Flugzeug herrschte, der Pilot, der über die Lautsprecher bekannt gab, dass eine Turbine ausgefallen war. Yoongi hat nach meiner Hand gegriffen, er hat sie so fest umklammert, dass ich den Druck immer noch spüre. Ich erinnere mich an seine Augen, die mich mit so einer Todesangst angesehen haben, wie ich es noch nie zuvor bei ihm gesehen habe. "Wir werden abstürzen", hatte er immer und immer wieder gesagt, und ich verlor in dem Moment so viele Tränen. Yoongi drehte meinen Kopf zu sich, als ich spürte, wie das Flugzeug immer schneller Richtung Boden flog. "Ich liebe dich Jimin, ich liebe dich so sehr.", weinte Yoongi. Es war ein Abschied. Ich hatte es in diesem Moment gespürt. Ich dachte, wir überleben diesen Sturz nicht. Und dabei hatten wir doch noch so viel vor, ich wollte noch so viel mit Yoongi erleben, Erinnerungen mit ihm sammeln und ihm noch so vieles sagen. Doch in diesem Moment viel mir nichts ein.
Und diese Angst, die ich damals verspürte, ist immer noch in mir.
"Sehr geehrte Fluggäste, ich begrüße sie zu unserem Flug von Los Angeles nach Incheon. Unsere Flugzeit beträgt circa 14 Stunden, ich wünsche eine angenehme Reise." Eine angenehme Reise. Die hatte man uns auch damals gewünscht.
Als ich im Krankenhaus erwachte, wusste ich nicht, was geschehen war. Mein einziger Gedanke gilt Yoongi. Doch als Taehyung neben meinem Bett stand, und weinend den Kopf schüttelte, wünschte ich, ich wäre gestorben. Ich war einer der fünf einzigen Überlebenden des Absturzes, und jede Sekunde seither verfluchte ich alles und jeden dafür. Ich hatte Yoongi verloren. Ich hatte meinen Freund verloren, meine zweite Hälfte, meine Familie. Ich hatte mit ihm alles verloren, und mit seinem Tod, hat er auch mich mitgenommen. Ich hasste mich dafür, dafür, dass ich seine letzten Worte nicht mehr erwidern konnte. Ich wollte ihm sagen, wie sehr ich ihn liebe, wie viel er mir bedeutet... Und jetzt kann ich das nicht mehr. Yoongi ist tot.
Ich krame in meiner Tasche, bis ich ein schon angeranztes Notizbuch heraushole und es aufschlage. Vorsichtig streiche ich über die beschriebene Seite, es ist Yoongis Handschrift. Ich beginne, mir die Liste durchzulesen, und mit jedem Punkt, kommt mir eine andere Erinnerung hoch.
Swag Master Yoongi's Bucket List
· Monatelang gehen. Oder Fahrradfahren. Von A nach B oder durch ein Land
· Nach Hawaii fahren und dort für einige Wochen oder Monate bleiben
· Jede Ecke von Südkorea erkunden
· Für mindestens drei Monate durch Neuseeland reisen
· In Australien tauchen
· Auf den Philippinen tauchen
· Nach Portugal fahren
· Mit Kanye West mal ein Bier trinken gehen
· Meinen Traummann finden
· Den Südpazifik besegeln
· Einen Tag ohne Jins Puns leben
· Mindestens einen Monat Englischsprachkurs in Amerika
· Englisch komplett fließend sprechen und verstehen
· New Orleans besuchen
· San Francisco besuchen
· Eine NGO gründen und damit Minderheiten helfen
· Roadtrip durch Kalifornien
· Alte Musikdateien auf Soundcloud hochladen
· Ein Tattoo
· Eine Woche kein iPhone
· Ein Monat kein Internet und iPhone
· Eine Musikfirma gründen
· Einmal DJ auf einer Party sein und meine eigenen Songs spielen
· Das größte Basketballspiel der Welt mit Jimin besuchen
· Das perfekte Bett finden
Ja, es ist Yoongis Bucket List, alles Dinge, die er vor seinem Tod noch machen wollte. Keiner konnte wissen, dass er ihn schon so früh holen sollte... Vollkommen in meiner Trauer und Verzweiflung hatte ich diese Liste gefunden, und ich wusste, Yoongi würde glücklich sein, wenn er das alles erleben würde. Er könnte in Frieden ruhen. Und ich wusste, dass Yoongi noch bei mir war, also packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg. Ich erfüllte jeden Punkt auf dieser Liste, ich reiste durch Neuseeland, trank mit Kanye West ein Bier, konnte jetzt fließend Englisch sprechen und verstehen und kannte Amerika nun so gut wie Korea. Ich blickte auf meinen Arm, auf dem ein Tattoo zu sehen war. Yoongis Namen mit Musiknoten. Er liebte die Musik, er lebte die Musik. Deswegen hatte er auch eine Musikfirma gegründet, noch ganz frisch, sie war erst drei Monate alt bei seinem...Tod. Und nun leitete ich diese, obwohl ich nicht mal annähernd das Talent von Yoongi besitze.
Ich muss mir die Tränen verkneifen, als ich mich in den Sitz zurück lehne. Ich werde nie so jemanden wie ihn finden, ich werde nie so eine starke Liebe und Verbindung zu einer Person aufbauen können. Yoongi war mein Ein und Alles auf dieser schrecklicher Welt, und eigentlich möchte ich mich jeden Augenblick meines Lebens von der nächsten Klippe schmeißen. Aber Yoongi würde das nicht wollen. Er würde wollen, dass ich lebe und atme. Ich werde ihn für immer lieben, und nie den Kampf aufgeben. Ich werde für Yoongi, für uns, weiter leben.
Aber als ich meinen Kopf wieder senke, und den letzten Punkt auf seiner Liste lese, kann ich nicht anders, als stumm in Tränen auszubrechen. Denn es ist der einzige Punkt, den ich nicht erfüllen kann, die einzige Sache, mit der ich Yoongi nicht glücklich machen kann.
· Jimin heiraten
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