Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war es bereits spät am Nachmittag. Der Kopf tat mir noch immer weh und ich schwitzte. Es war stickig hier im Schlafzimmer und ich riss das Fenster auf. Frische Luft strömte hinein und ich atmete durch. Ich fühlte mich benommen. Der Abend war super schön mit meinen Freundinnen, aber dass ich Frau Sturm getroffen hatte, brachte mich durcheinander. Ich verstand nicht, wie ich so darauf so krass reagieren konnte.
Ich suchte mir frische Kleidung zusammen und ging dann unter die Dusche. Ich drehte das Wasser auf kalt und schrie auf. Jetzt war ich wenigstens wach. Dann drehte ich weiter und heißes Wasser prasselte auf meinen Körper. Schon viel besser. Ich schloss die Augen und hing meinen Gedanken nach. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn Frau Sturm jetzt zu mir in die Dusche steigen würde. Wie sie mich anlächeln würde. Wie ihre Lippen schmeckten. Wie ich sie an die Wand drückte. Über mich selbst erschrocken, drehte ich das Wasser ab und verließ die Dusche mit einem Kopfschütteln.
Das könnte doch nicht wahr sein. Ich suchte Ablenkung und räumte die Wohnung auf. Doch am frühen Abend musste ich mir eingestehen, dass nichts half. Sie war ununterbrochen in meinem Kopf und ich konnte es nicht abstellen. Es war so lächerlich. Als ich mich gerade auf die Couch setzte, drehte sich der Schlüssel im Schloss. Jette. Sie kam ins Wohnzimmer und ich gab ihr einen Kuss.
»Wie war der Film?«, wollte ich von ihr wissen und sie antwortete: »Wir haben mehr erwartet. Er war ganz ok, aber empfehlen würde ich ihn nicht.« Ich nickte. Sie setzte sich und fragte neugierig: »In welchem Club hast du Frau Sturm denn getroffen?« Als wieder ihr Name fiel, setzte mein Herz für einen Moment aus. »Ähm, ich weiß gar nicht mehr genau, wie der hieß. P10 oder so?« Sie überlegte kurz, dann erwiderte sie: »Du meinst bestimmt den P11.« Ich zuckte nur mit der Schulter. »Kann sein.« Ihr Gesicht veränderte sich, aber ich konnte nicht deuten, was es bedeutete. »Ich bin in meinem Zimmer, wenn du mich suchst.« Noch immer etwas geschafft und müde nickte ich. »Alles klar. Ich sage dir Bescheid, wenn das Abendbrot fertig ist.« Dann ging sie und ich blieb mit meinen Gedanken zurück.
Seufzend erhob ich mich und bereitete das Abendbrot vor. Ich holte Brötchen aus dem Gefrierschrank und schob sie in den Ofen. Ich kochte uns dazu eine leckere Suppe und ebenfalls eine Kanne Tee. Als alles fertig war, rief ich sie. Sie kam sofort und erschrocken ließ ich fast die Teller fallen. Ihre Augen waren rot. Sie hatte geweint. »Ich habe gar keinen Hunger«, brummte sie verstimmt und blieb stehen. »Du musst aber etwas essen. Iss bitte nur ein Brötchen, ok?« Widerwillig stimmte sie zu. Ich ließ sie aufessen, dann sagte ich: »Jette, ich mache mir etwas Sorgen um dich.« Sie blickte auf und in diesem Moment tat sie mir so unfassbar leid.
»Es ist alles so unfair«, flüsterte sie plötzlich und ihre Augen füllten sich sofort mit Tränen. Mein kleines Mädchen war das erste Mal verliebt und das sehr unglücklich anscheinend. Jeder hatte diese Erfahrung sicherlich gemacht, aber es bei dem eigenen Kind zu sehen, war noch eine andere Sache. Ich stand auf und sagte sanft zu ihr: »Komm mal bitte mit.« Sie folgte mir wortlos und wir setzten uns auf die Couch. »Möchtest du mir von ihm erzählen?«, fragte ich vorsichtig und nahm sie in den Arm. Sie wirkte so zerbrechlich. Es brach mir selbst fast das Herz. »Ich weiß gar nicht, was ich erzählen soll. Ich kenne ihn... aus der Schule. Er weiß nichts von meinen Gefühlen. Aber ich weiß, dass er nichts von mir möchte.« Laute Schluchzer drangen aus ihrem Mund und behutsam streichelte ich ihr über den Arm. »Das erste Mal verliebt sein ist immer besonders. Entweder besonders toll oder besonders schmerzhaft. Aber woher möchtest du wissen, dass er dich nicht auch toll findet, wenn er es nicht weiß?« Sie schnaufte. »Ich... ich weiß es einfach, ok?« Stumm nickte ich. Dann antwortete ich fragend: »Ist Paula auch in ihn verliebt?« Sie hielt inne und erwiderte: »Ja, ist sie. Aber er möchte auch nichts von ihr.« Was sollte ich sagen? »Hat er denn eine Freundin?« Ihr Blick war traurig. »Ich glaube schon.« Danach wechselten wir nicht mehr allzu viele Worte, sie hatte für heute genug gesagt.
Sie ging duschen und schlüpfte danach ins Bett. Ich räumte die Küche auf und danach ließ ich mich wieder auf die Couch fallen. Unbewusst öffnete ich WhatsApp. Ich klickte »Helene Sturm« an und betrachtete wieder eine Weile ihr Profilbild. Sie hatte etwas an sich, was mich nicht losließ und ich fühlte mich total dämlich, weil ich das überhaupt dachte. Aber sie war wunderschön. Ein anderes Wort fiel mir nicht ein. Die schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Ich klickte zurück und las nun noch einmal ihre Nachricht. Plötzlich kam sie online und vor Schreck wäre ich fast auf das Zeichen für den Videoanruf gekommen. Peinlich, dachte ich und schloss schnell den Chat. Genug Aufregung für heute. Ich stand auf und klopfte kurz an Jettes Tür. Dann betrat ich das Zimmer und sie drehte den Bildschirm des Laptops schnell weg.
»Was machst du denn da?«, wollte ich von ihr wissen und ging auf sie zu. Sie fühlte sich total ertappt und stammelte: »Nichts, ich habe nur... also nichts.« Ich drehte ihren Laptop ein Stück und sah viele Bilder. Im ersten Moment konnte ich nicht zuordnen, warum sie mir so bekannt vorkamen, doch dann wurde es mir schlagartig bewusst. »Wo hast du die her?«, flüsterte ich etwas schockiert und Jette rollte mit den Augen. »Man, Mama. Viele Clubs laden danach Bilder ins Internet. Guck. Hier.« Sie zeigte es mir. Sie hatte auch Bilder von uns Mädels gefunden. Ich verabschiedete mich für heute von ihr, flitzte schnell zurück ins Wohnzimmer und schnappte mir meinen Laptop. Ich redete mir ein, dass ich mir nur die Bilder meiner Freundinnen und mir ansehen wollte, doch die Wahrheit war, dass ich auf Bilder von Frau Sturm hoffte. Das war doch krank. Ich kam mir vor wie eine Stalkerin, aber auch nur der Gedanke daran, dass sie auf den Bildern zu sehen war, hellte meine Stimmung auf.
Ich scrollte durch die Galerie und fand zuerst unsere Mädelsgruppe. Wir kannten uns alle schon ewig. Teilweise sogar aus der Schulzeit und hatten ein tolles Verhältnis zueinander, auch wenn es schwierig war, alle mal zusammen zu treffen, denn jeder hatte natürlich mittlerweile ein eigenes Leben mit vielen Verpflichtungen – Partner, Kinder, Haushalt, Arbeit. Ich war sehr erstaunt, dass es am Samstag doch so spontan geklappt hatte und sogar alle kommen konnten. Ich scrollte weiter und mein Herz blieb stehen.
Da sah ich sie. Frau Sturm. Sie saß lachend am Tisch und redete mit Herrn Meyer. In meinem Körper zog sich alles zusammen. Auf der einen Seite, weil mich ihr Lächeln wieder einmal umhaute und auf der anderen Seite, weil er sie zum Lachen brachte. Ich war eifersüchtig. Oder? Aber auf was sollte ich eifersüchtig sein? Ich kannte sie doch gar nicht und hatte kein Recht dazu. Gott, ich verhielt mich wie ein Teenager. Doch trotzdem sah ich dieses Bild bestimmte zehn Minuten an und brannte es mir ins Gedächtnis. Ok, weiter. Auf den folgenden Bildern sah man sie nicht mehr, was ich ziemlich schade fand.
Mein Herz fing plötzlich an zu rasen und ich hatte keine Ahnung, warum es das tat. Doch nur wenige Sekunden später wurde es mir klar. Mein Herz hatte es vor mir gesehen. Ich hätte das Bild fast übersprungen, aber irgendetwas hielt mich doch davon ab. Es war ein komisches Gefühl. Ich betrachtete es näher. Es zeigte meine Gruppe und mich auf der Tanzfläche, wie wir ausgelassen tanzten. Aber etwas war anders als auf den anderen Bildern. Schräg rechts von mir stand Frau Sturm auf der Tanzfläche. Ungefähr 2 Meter entfernt. Das hatte ich gar nicht mitbekommen. Die Aufnahme war von 02:34 Uhr. Da war sie also noch da gewesen. Aber das war nicht mal das, was ich merkwürdig fand an dem Bild. Merkwürdig war, dass sie reglos dort stand und in meine Richtung starrte. Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Was hatte das zu bedeuten? Bildete ich es mir nur ein? War es Wunschdenken? Aber das Foto war doch ein Beweis dafür, oder? Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte und sah mir noch die anderen Bilder an. Einige Minuten danach war sie von der Tanzfläche verschwunden und sie tauchte auf keinem Bild mehr auf. Ich hatte alle akribisch untersucht. In mir blieben viele offene Fragen zurück und das Schlimme daran war, dass ich sie nicht einfach fragen konnte und wahrscheinlich niemals eine Erklärung dafür finden würde.
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Herzgeflüster || gxg
RomanceHanna ist eine alleinerziehende Mutter. Ihre Tochter Jette steckt mit ihren 14 Jahren mitten in der Pubertät und ständig gibt es Ärger in der Schule. Am Anfang des Schuljahres prügelt sie sich auf dem Pausenhof und ihre Lehrerin, die Hanna noch nich...