Kapitel 28

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Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Herr. Ich wollte mich gerade vorstellen, da sprang die Haustür auf und Helene kam auf uns zugelaufen. Sie hatte ihre Schuhe und ihre Jacke in der Hand. Ich legte einfach auf. Ich wusste, dass das nicht in Ordnung war, aber musste mich jetzt voll und ganz auf Helene konzentrieren. Sie riss die Autotür auf und in diesem Moment kam Herr Meyer aus der Tür gesprintet. Er hatte nur noch seine Unterhose an und sein Gesicht war zornig und wutentbrannt. Mit schnellen Schritten kam er auf uns zu und im letzten Moment zog Helene die Tür zu und ich fuhr los. »Das war knapp«, hustete sie und atmete schwer. »Fahre schneller.« Ich fuhr immer geradeaus. Aus der Stadt heraus. An einer verlassenen Bushaltestelle hielten wir an und ich sprang aus dem Auto. Sie stieg ebenfalls aus und wir fielen uns in die Arme.

»Ich bin so froh, dass es dir gut geht«, weinte ich und küsste sie. Auch Jette war ausgestiegen und starrte uns an. »Es ist alles gut. Wir müssen uns jetzt um das Bild kümmern.« Jette kam auf uns zu. Dann umarmte sie uns plötzlich beide. Ich empfand so viel Zuneigung in dieser Sekunde. Was hatte ich da nur für ein tolles Mädchen? Es war so schön, wie sie mit Helene umging. Das hätte ich niemals erwartet. Und auch Helene war ihr gegenüber so offen. »Am besten löscht du das alleine, Jette«, meinte Helene und überreichte ihr das Handy. Dankbar blickte sie Helene an und nahm es entgegen. Kurze Zeit später gab sie es zurück. »Es ist alles gelöscht. Hoffentlich gibt es keine Kopie.« Wir hatten es geschafft.

»Was ist passiert?«, wollte ich wissen. Ich war noch immer besorgt. »Hat er dich angefasst?« Sie schüttelte den Kopf. »Lasst uns zu mir nach Hause fahren. Dann erkläre ich euch alles. Aber erst bringen wir das Handy zurück und werfen es in seinen Briefkasten. Nein, ich habe eine bessere Idee. Wir bringen das Handy in die Schule. Ich lege es ihm ins Fach. Und morgen gehen wir beide zum Direktor und melden es.« Sie nickte Jette zu. Wir fuhren los. Sie hatte einen Schlüssel für die Schule, deshalb war es kein Problem. Ich war mittlerweile etwas durchgefroren. Auch wenn es im Auto relativ warm gewesen war. Im Lehrerzimmer stand eine Flasche Glasreiniger. Mir kam eine Idee. »Ich weiß nicht, ob das hilft. Aber wische das Handy mal damit ab, falls er die Polizei informiert. Vielleicht verwischen wir so etwas die Fingerabdrücke.« Sie folgte meiner Anweisung. Als wir das Handy abgeliefert hatten, machten wir uns auf den Weg zu Helene.

Dort brühte sie uns Tee auf. Es war schon spät, aber an schlafen war nicht zu denken. Ich musste erst ihre Geschichte hören. »Wir haben uns in der Bar getroffen, aber das habt ihr ja gesehen. Wir haben uns unterhalten, aber ich hatte nie die Chance, ihm das Handy zu entwenden. Ich musste mir schnell einen neuen Plan überlegen und dann fragte er mich, ob wir nicht zu ihm fahren wollen. Ich habe freudig zugestimmt. Es musste ja alles normal aussehen.« Was hatte diese Frau nur für meine Tochter und mich in Kauf genommen? Unfassbar. »Ich säuselte ihm verschiedene Dinge vor und sagte ihm, dass ich ihn verführen würde. Er hatte sich entkleidet, nur seine Unterhose noch anbehalten. Ich habe ihn auf das Bett geschubst und ihm gesagt, er soll die Augen schließen. Ich habe diese kurze Ablenkung genutzt und mir seine Hose gefischt, die auf dem Boden lag. In der Tasche war sein Handy. Ich habe es genommen und ihm weiterhin Dinge gesagt. Er ist voll darauf reingefallen. Dann bin ich losgelaufen, habe meine Sachen geschnappt und den Rest der Geschichte kennt ihr ja. Dann kam er mir nach.«

»Es tut mir leid, dass du das alles über dich ergehen lassen musstest. Auch seine Küsse«, fing ich an, aber sie unterbrach mich. »Es ist vorbei, Hanna. Wir vergessen das. Das Bild ist gelöscht. Ich hoffe nur, dass der Direktor uns auch glaubt. Wir haben ja jetzt keine Beweise mehr.« Jette warf ein: »Doch, das Bild ist noch in meinem Postausgang. Aber er könnte natürlich denken, dass ich es ihm geschickt habe und er nichts dazu gesagt hat oder es selbst gelöscht hat.« Ich seufzte. »Wir bekommen das hin«, machte Helene ihr Mut. »Er hätte es vielleicht melden sollen, dann wären seine Chancen besser gewesen.« Dann klingelte es plötzlich an der Tür. »Ich glaube, es ist die Polizei.« Jettes Augen weiteten sich. »Du sagst nichts«, flüsterte ich ihr zu und Helene öffnete die Tür. Kurze Zeit später standen zwei Polizisten in der Tür und stellten sich vor.

Herr Meyer hatte die Polizei gerufen und gemeldet, wir hätten ihm das Handy geklaut. »Warum sollten wir das getan haben?«, fragte Helene gespielt geschockt und schlug die Hand vor den Mund. »Er hat angegeben, den Abend mit Ihnen verbracht zu haben.« Souverän erwiderte sie: »Ja, das stimmt. Wir waren zusammen in einer Bar. Rein freundschaftlich. Er ist ein Kollege von mir.« Die Polizisten tauschten einen Blick aus. »Er hat angegeben, dass sie ihn verführen wollten.« Sie lachte auf. »Ich? Ihn verführen? Ich kläre sie gern einmal auf. Herr Meyer hat seit geraumer Zeit Interesse an mir, aber erstens bin ich lesbisch und zweitens ist sie meine Freundin.« Sie nickte in meine Richtung. »Welchen Grund also sollte ich haben, ihm das Handy zu klauen?« Sie spielte ihre Rolle glaubwürdig gut. »Sie können gern meine Wohnung durchsuchen. Sie werden nur nichts finden.« Einer von ihnen räusperte sich, dann sagte er: »Nein, schon in Ordnung. Tut uns leid für die Störung. Wir würden trotzdem gern ihre Daten aufnehmen.« Wir erledigten das und dann waren sie verschwunden.

Siegessicher grinste Helene. »Er kann nichts machen. Sonst müsste er zugeben, dass er das Bild von dir erhalten hat und dass das der Grund ist. Er hätte das Bild löschen müssen, was das Schwein nicht getan hat. Er hat es als Druckmittel eingesetzt und dafür wird er seine Strafe bekommen.« Jette gähnte. »Ich glaube, wir gehören ins Bett.« Ich wollte Helene ungern alleine lassen. Wer weiß, ob der Verrückte hier auftauchen würde? Jette mischte sich an: »Vielleicht wäre es besser, wenn du mit zu uns kommst.« Erstaunt sahen wir beide sie an. »Schaut doch nicht so. Sie muss doch nicht alleine hier übernachten. Ich weiß doch jetzt Bescheid.«

Sie packte ein paar Sachen zusammen und nahm ihre Schultasche, dann gingen wir zum Auto. Es war noch viel kälter als zuvor, aber die Aussicht, mich bald mit Helene ins Bett zu kuscheln, ließ es mich aushalten. »Ich werde mir morgen übrigens freinehmen. Ich komme mit zum Direktor.« Jette warf mir einen dankbaren Blick zu. Zu Hause gingen wir alle drei duschen und machten uns dann bettfertig. Es war für alle ein langer Tag gewesen. Ich brachte Jette noch ins Bett und gab ihr einen Stirnkuss. So wie wir es immer gehandhabt hatten. »Gute Nacht. Mache dir keine Sorgen. Alles kommt wieder in Ordnung.« Dann ging ich ins Schlafzimmer. Die Tür war einen Spalt breit geöffnet. Helene zog sich gerade um.

Leise öffnete ich die Tür. Ich schlich mich von hinten an sich heran und küsste ihren Nacken. Sie drehte sich mit einem glückseligen Lächeln um. Dann fanden unsere Lippen zueinander. »Es bedeutet mir so viel, dass du hier bist.« Sie nickte, dann schlang sie ihre Arme um meinen Hals und zog meinen Kopf dichter zu ihrem. »Ich liebe dich so sehr. Noch nie habe ich jemanden so geliebt wie dich.« Es verschlug mir die Sprache. »Geht mir auch so.« Dann kuschelten wir uns ins Bett und ich genoss ihre Nähe. Morgen würde sich hoffentlich alles klären.

Plötzlich wurde es heller im Raum. Helene hatte eine Nachricht erhalten. Sie schnappte sich ihr Handy und ich sah die Nachricht in ihren Mitteilungen. Sie war von einer unbekannten Nummer. Anscheinend hatte Herr Meyer sich bereits ein neues Handy zugelegt. Er schrieb: »Das hast du nicht umsonst gemacht.« Sie legte das Handy zur Seite und drehte sich dann wieder in meine Richtung, sodass unsere Nasenspitzen sich fast berührten. »Nein, das habe ich bestimmt nicht umsonst gemacht. Das habe ich für die Liebe meines Lebens getan.«

Herzgeflüster || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt