Sie lebte! Das waren die ersten Gedanken, dir mir durch den Kopf schossen. Sie war bei Bewusstsein. Aber was tat er ihr an? Plötzlich hörten wir schleichende Geräusche hinter uns. Es war die Polizei. Zum Glück. Ich zog Jette und Helene zur Seite und dann rissen sie die Tür auf. Das grelle Licht des Raumes blendete mich. »Nein«, brüllte Paulas Mutter in einer Lautstärke, die alles in mir gefrieren ließ. Ich konnte nichts sehen. Die Polizei stürmte in den Raum, der anscheinend ziemlich groß war. Dann erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf den Boden. Es war tatsächlich der gleiche wie auf dem Bild. »Hände nach oben«, rief ein Polizist und dann sah ich ihn. Herr Meyer stand mitten im Raum. Er war nackt und seine Erektion konnte man nicht übersehen. Er war nur zwei-drei Meter von Paula entfernt. Auch sie war untenrum nackt. Sie lag dort so hilflos und verängstigt, dass es mir das Herz brach.
Ihre Eltern stürmten in den Raum und auf sie zu. Die Polizei nahm ihn fest, dann wurde er abgeführt. Er ging an uns vorbei und wieder blitzte in seinem Gesicht dieses ekelhafte »Gilderoy Lockhart Grinsen« auf. Ich konnte es nicht ertragen. Wir warteten vor dem Raum. Wir wollten ihnen nun erst einmal Zeit für sich lassen. Ich schloss Jette in meine Arme. »Ich bin so froh, dass wir sie gefunden haben. Zum Glück konntest du dich an den Raum erinnern«, sagte ich erleichtert und sie schniefte: »Ja, zum Glück.« Wir wussten nicht, was er ihr angetan hatte, aber sie lebte. Das war die Hauptsache. Ich sah, wie Paula sich ihre Hose schnell anzog und dann weinend in den Armen ihrer Mutter lag.
Helene streichelte mir zärtlich über den Rücken. »Ich gehe mal zu Paula«, entschied Jette und dann war sie verschwunden. »Wir haben es geschafft, Hanna.« Ich drehte mich zu Helene um und endlich spürte ich wieder so etwas wie Glück. Ich ließ meinen Gefühlen freien Lauf und ganze Sturzbäche schossen aus meinen Augen. Sie hielt mich die ganze Zeit über in ihren Armen. Ihre Nähe tat mir unglaublich gut. Als ich mich beruhigt hatte, schob sie mich ein Stück von sich weg. Wir sahen uns in die Augen, dann küssten wir uns. Ihre Küsse gaben mir Kraft. Ich wollte einfach nur noch nach Hause. Es war schon spät und ich war plötzlich todesmüde.
Ich sah noch einmal in den Raum hinein, dann traf mein Blick auf Paulas Mutter. Sie blickte mich überglücklich an, dann stand sie auf und kam direkt auf mich zu. Sie umarmte mich fest. »Danke, ich danke euch für alles, was ihr für uns getan habt«, murmelte sie mir ins Ohr. Als wir uns voneinander lösten, fragte ich: »Wie geht es ihr?« Sie erwiderte: »Den Umständen entsprechend gut. Sie hat eine kleine Platzwunde an der Stirn.« Mir brannte eine Frage auf der Zunge, aber ich traute mich nicht, sie zu stellen. Anscheinend deutete sie meinen Blick richtig, denn sie sagte: »Nein, körperlich fehlt ihr sonst nichts. Er wollte, aber wir sind gerade rechtzeitig gekommen.« Oh, Gott. Zum Glück. Ich umarmte sie noch einmal, um ihr etwas Kraft zu spenden. »Wir fahren jetzt trotzdem mit ihr ins Krankenhaus, um sie durchchecken zu lassen. Es wird wohl eine Weile dauern, bis sie es verarbeitet hat. Aber wir geben ihr die Zeit und werden für sie da sein.«
Dann kam mir plötzlich ein Gedanke. »Wie hat er es geschafft, dass sie zu ihm geht? Sie war doch zu Hause?«, fragte ich und sie nickte. »Er hat ihr eine Nachricht geschrieben, dass wenn sie nicht sofort rauskommt, er das Bild in der Schule veröffentlichen wird. Sie hat auf ihn gehört und er hat sie niedergeschlagen. Sie hatte Panik.« Was in ihr in den letzten Stunden vorgegangen sein muss? Ich konnte es mir nicht ausmalen. Dann machten wir uns alle auf den Weg zu den Autos. Helene fuhr uns nach Hause. Sie und Jette waren für den Rest der Woche freigestellt und ich nahm mir Urlaub. So konnten wir die ganze Sache besser verarbeiten.
»Bleibst du bitte wieder hier?«, fragte ich Helene und sie erwiderte zärtlich: »Natürlich bleibe ich.« Erleichtert sagte ich: »Danke. Ich schaffe das ohne dich nicht.« Als wir zu Hause ankamen, rief ich direkt Philipp an. Es war zwar spät, aber ich musste ihm alles berichten. Ihm fiel sofort ein Stein vom Herzen. »Danke für deinen Anruf, Hanna«, sagte er zum Schluss, dann legten wir auf. Es würde alles wieder gut werden, wenn wir uns erst einmal erholt hatten. Wir mussten alle noch eine Aussage machen und dann würde Herr Meyer seine gerechte Strafe erhalten.
Als wir uns irgendwann ins Bett kuschelten, schmiegte ich mich fest an Helene. Ich hörte ihren Herzschlag. Er ließ auch mein Herz schneller schlagen. Ich liebte alles an dieser Frau, sie war einfach nur wundervoll. »Morgen bleiben wir den ganzen Tag im Bett, ok? Die Welt ist so grausam. Ich möchte einfach nur hier mit dir liegen und nichts machen.« Sie erwiderte liebevoll: »Wenn du das willst.« Dann küssten wir uns. Meine Augen waren tonnenschwer. Ich merkte, wie ich langsam in den Schlaf glitt. Helene streichelte mir behutsam über den Arm. Das war schön. »Hör nicht damit auf«, murmelte ich noch, dann schlief ich endgültig ein.
Am nächsten Morgen erwachte ich sehr spät. Ich fühlte mich besser als gestern Abend, doch trotzdem saß noch immer der Schreck in meinen Knochen. Ich sah zur Seite. Wo war Helene? Ich legte meine Hand unter ihre Decke. Sie war kalt. Sie musste also schon eine Weile wach sein. Ich setzte mich auf und streckte mich. Dann ging langsam die Tür auf und Helene kam mit einem Frühstückstablett ins Zimmer. »Was wird das?«, fragte ich sie verwundert und sie erwiderte mit einem Lächeln im Gesicht: »Du wolltest doch heute nicht das Bett verlassen. Keine Sorge, Jette habe ich auch eins ins Zimmer gebracht. Sie ist bestens versorgt. Ich habe schon mit ihr geredet. Sie steckt es ganz gut weg. Es wird sicherlich noch eine ganze Weile dauern, bis wir alle es verarbeitet haben, aber es wird alles gut werden.«
Ich war so dankbar. Sie musste das alles nicht tun, aber sie tat es einfach. »Danke«, erwiderte ich und zog sie ins Bett. Ich gab ihr einen Kuss, aber sie sagte: »Erst wird gegessen. Wir wollen ja auch nicht noch dein Bett mit Kaffee versauen. Danach sehen wir weiter.« Nach dem Frühstück musste ich unbedingt duschen. Ich fühlte mich dreckig. »Wir könnten zusammen duschen gehen«, raunte Helene mir zu und streichelte mir über den Arm. Ich überlegte. Jette war ja in ihrem Zimmer und außerdem hatte das Badezimmer eine Tür, die man abschließen konnte. Ich holte mir frische Sachen aus dem Schrank, dann schlichen wir ins Badezimmer.
Wir kicherten wie zwei Teenager und ich fühlte mich wieder etwas unbeschwerter. Dann stiegen wir zusammen unter die Dusche. Ich stellte das Wasser an. Es war eiskalt. »Ah, mach das wärmer«, japste Helene vergnügt. »Moment, er braucht ein Weilchen. Wird sofort heiß.« Wir schäumten uns gegenseitig ein und küssten uns ständig. Immer wieder beobachtete ich mich dabei, wie ich ihren Körper begutachtete. »Du weißt schon, dass ich das sehe, oder?«, lachte sie und ich erwiderte: »Tja, was soll ich sagen? Ich habe einfach die hübscheste Frau der Welt an meiner Seite.«
Als wir aus dem Bad kamen, gingen wir in die Küche. Jette saß am Tisch und grinste uns an. »Na, viel Spaß gehabt?«, wollte sie wissen und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Ich wurde rot und das brachte sie nur noch mehr zum Lachen. »Ja, danke. Den hatten wir«, erwiderte Helene lachend. Sie behandelte Jette, als würden sie sich schon zehn Jahre kennen. Als würden wir diese Gespräche schon ewig führen. Es fühlte sich gar nicht danach an, dass sie erst ein paar Tage meine feste Freundin war, sondern schon lange ein fester Bestandteil dieser Familie war.
»Papa hat mich angerufen. Er hat gefragt, ob ich heute zu ihm kommen will. Ich habe ja gesagt. Ich komme heute Abend wieder. Das ist doch in Ordnung, oder?«, fragte Jette und wartete auf meine Antwort. »Natürlich ist das in Ordnung. Aber bist du dir sicher, dass du heute nicht lieber zu Hause bleiben möchtest?« Sie schüttelte den Kopf. »Mir geht es gut, Mama. Wirklich.« Ich zuckte mit den Achseln. »Rufe aber an, wenn du etwas brauchst, ok?« Sie nickte. Dann war sie in ihrem Zimmer verschwunden. Einige Zeit später holte Philipp sie ab.
Er kam nach oben, denn schließlich wollte er meine Freundin auch mal kennenlernen. Als er die Wohnung betrat, strahlte er sie an. »Ich habe schon viel von dir gehört.« Wir unterhielten uns eine Weile, dann brachte ich ihn und Jette zur Tür. Ich umarmte beide. Er flüsterte mir ins Ohr: »Passe gut auf sie auf. Sie scheint dich wirklich glücklich zu machen.« Dann waren sie verschwunden und Helene meinte: »Wow, er ist wirklich total nett. Jetzt kann ich verstehen, warum du so viel von ihm hältst.« Dann gingen wir beide ins Schlafzimmer. Sie warf mich auf das Bett und setzte sich dann auf mich. »So, und jetzt?«, fragte sie mich mit einem breiten Grinsen. »Jetzt«, begann ich den Satz. »Jetzt genießen wir die sturmfreie Zeit, Frau Sturm.«
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Herzgeflüster || gxg
RomanceHanna ist eine alleinerziehende Mutter. Ihre Tochter Jette steckt mit ihren 14 Jahren mitten in der Pubertät und ständig gibt es Ärger in der Schule. Am Anfang des Schuljahres prügelt sie sich auf dem Pausenhof und ihre Lehrerin, die Hanna noch nich...