Am nächsten Morgen war schon Donnerstag. Die letzte Nacht hatte ich kaum ein Auge zubekommen, ich war zu aufgeregt. Ich fühlte mich wie ein Teenager und durfte das gar nicht aussprechen. Aber jedes Mal, wenn ich an den Tag im November dachte, klopfte mein Herz und ich konnte es nicht abstellen. Auch heute fragte Jette mich, ob ich sie fahren konnte und ich stimmte zu. Je näher wir der Schule kamen desto nervöser wurde ich. Gerade als ich Jette absetzte, kam Frau Sturm auf uns zu. Sie erkannte sie und winkte uns mit einem breiten Lächeln zu. Ich konnte den Blick nicht abwenden von ihrem Gesicht. In meinem Körper zog sich alles zusammen, was sich zusammenziehen konnte.
»Guten Morgen«, rief sie uns zu und blieb vor dem Auto stehen. Die Autotür war noch geöffnet und sie steckte ihren Kopf ins Auto. »Hallo Frau Rabsch, geht es Ihnen gut?«, wollte sie wissen und ich suchte nach Anzeichen in ihrem Gesicht, die mir irgendetwas über den Clubabend sagten, aber ihre Miene blieb neutral und freundlich. »Ähm... ja, danke der Nachfrage.« Sie nickte kurz. »Und geht es Ihnen auch gut?«, hauchte ich ihr zu und sie lächelte mich an und meinte: »Ja, mir geht es auch gut.« Sie blieb eine Weile stehen und Jette mischte sich ein: »Ich bin dann mal weg.« Dann drehte sie sich um und war verschwunden. »Gibt es schon etwas Neues mit Jette?« Die Stimmung war nun umgeschlagen. Es wirkte plötzlich alles vertrauter zwischen uns. Ich schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Sie ist heftig verliebt. Aber das kennen wir doch alle, oder?« Bedächtig nickte sie und stimmte mir zu, obwohl es nur eine rhetorische Frage war. Ich musste ein Schmunzeln unterdrücken.
Plötzlich fiel mir etwas ein und ich hatte das Bedürfnis, es ihr mitzuteilen. Ich wollte ihre Reaktion sehen. »Ich komme übrigens mit in die Eishalle.« Ihre Augen funkelten und grinsten mich an. »Perfekt, da freue ich mich.« Ich sah auf die Uhr und sie bekam meinen Blick mit. »Nun, ich will Sie nicht aufhalten. Der Unterricht beginnt auch gleich. Wir sehen uns.« Sie schlug die Tür leicht zu und winkte mir zu, dann drehte sie sich um und ging in Richtung Schulgebäude. Ich betrachtete sie verstohlen von hinten und mein Blick blieb an ihrem Hintern hängen. Wie sie sich bewegte, machte mich ganz verrückt. Plötzlich drehte sie sich um und grinste mich schelmisch an. Sie hatte es gemerkt, schoss es mir durch den Kopf. Schnell startete ich den Motor und fuhr los. Ich sah nicht noch einmal in ihre Richtung. Mir wurde heiß und ich ließ die Fensterscheibe runterfahren. Oh, Gott. Peinlich.
Im Büro war mir noch immer heiß. »Alles in Ordnung?«, fragte Frau Lutz etwas unsicher und ich nickte heftig. »Ja, alles gut.« Ich machte mich an die Arbeit und hatte die Situation vom Morgen fast vergessen. Aber eben auch nur fast. Was dachte sie jetzt nur von mir? Aber auf der anderen Seite... was sollte sie denn von mir denken? Ich war einfach nur die Mutter einer Schülerin. Mehr nicht. Aber wollte ich das? Wollte ich insgeheim nicht mehr sein? Erschrocken über meine eigenen Gedanken, stieß ich meine Teetasse um und der lauwarme Tee landete auf meinem Pullover. »Verflucht, so ein Mist«, schimpfte ich. Doch dann beruhigte ich mich und sagte an Frau Lutz gewandt: »Ich mache für heute Schluss. Wir sehen uns morgen.« Dann ging ich zum Auto und fuhr los.
Unterwegs fiel mir ein, dass ich noch einkaufen musste. Also fuhr ich mit meiner nassen Bluse einkaufen. Egal, der Tag war eh gelaufen. Beim Einkaufen verschätzte ich mich etwas. Am Ende hatte ich zwei volle und noch eine halbe Tüte im Auto verstaut. Wie sollte ich das alles in die Wohnung getragen bekommen? Ich musste wohl zweimal laufen. Ich seufzte. Ich hatte absolut keine Lust mehr und wollte einfach nur unter die Dusche hüpfen. Ich rief Jette an, um sie zu fragen, ob sie zu Hause war, aber sie würde erst später kommen. Sie war noch bei einer Freundin. Dann machte ich mich auf den Weg. Zum Glück konnten wir zu Hause fast direkt vor der Tür parken, dachte ich im Auto. Da war immer ein Parkplatz frei. Nur leider nicht heute. »Das darf doch nicht wahr sein«, fluchte ich laut und schlug die Hände auf das Lenkrad. Ich musste auf der anderen Straßenseite ungefähr 50 Meter entfernt parken. Vielleicht waren es auch weniger Meter. Oder mehr. Im Schätzen war ich nicht so gut.
Gerade nahm ich eine Tüte aus dem Auto, da hörte ich eine Frauenstimme. »Oh, das sieht schwer aus.« Woher kannte ich diese Stimme? Moment, das war doch... Ich drehte mich abrupt um. Frau Sturm! Vor Schreck ließ ich fast die Tüte fallen. »Ja, ich habe etwas übertrieben beim Einkaufen.« Sie grinste mich an. »Sieht man. Brauchen Sie Hilfe?« Verwirrt sah ich sie an. »Oh, nein. Danke. Sie müssen mir nicht helfen. Ich bekomme das schon hin.« Stirnrunzelnd sah sie mich an. »Ich helfe aber«, sagte sie bestimmt und ich ließ mich überreden. Schnell erreichten wir meine Wohnung. Zum Glück war hier meistens immer aufgeräumt, dachte ich. Sie sah sich interessiert um. »Wo wollten Sie denn eigentlich hin?«, entfuhr es mir und ich bemerkte, dass die Frage wahrscheinlich zu persönlich war. »Also ich meine, das war ja ein Zufall, dass wir uns getroffen haben gerade. Ein guter Zufall natürlich«, stammelte ich leicht verzweifelt.
Reiß dich doch mal zusammen, sagte ich mir selbst. »Ja, ein guter Zufall«, meinte sie und lächelte mich an. Warum spielten meine Gefühle verrückt? Warum brachte mich dieses Lächeln so aus dem Konzept? »Ich war gerade noch bei der Apotheke. Musste etwas abholen für meinen Vater.« Ich nickte nur, weil ich nicht wusste, was ich hätte sagen können. »Wollen Sie vielleicht etwas trinken? Kaffee, Tee, Wasser?« Sie überlegte. »Klar, warum eigentlich nicht? Kaffee klingt gut.« Ich zog meine Jacke aus und bemerkte, dass ich einen großen Fleck vom Tee auf dem Pullover hatte. Ich setzte das Wasser auf und ging mich schnell umziehen. »Schön haben Sie es hier«, sagte sie ganz offen. »Gefällt mir.« Ich bedankte mich bei ihr. Das war doch ein Traum, oder? Saß diese Frau hier wirklich gerade bei mir in der Küche?
Wir erzählten und plötzlich fiel mir wieder der Clubabend ein. Mitten im Satz verstummte ich. »Alles in Ordnung?«, fragte sie irritiert. Ich zögerte. Sollte ich sie fragen? »Ich habe mal eine Frage. Die ist vielleicht etwas komisch.« Sie runzelte die Stirn. »Sie können mich alles fragen.« Langsam nickte ich. »Ich habe Bilder gesehen. Im Internet. Wir waren vor einigen Wochen zusammen im P11.« In ihren Augen regte sich etwas. Ich hatte nun ihre volle Aufmerksamkeit. »Ich weiß«, flüsterte sie leise. »Und da gibt es ein Bild... Wie soll ich es sagen? Sie sehen mich ganz komisch an und in der nächsten Minute waren Sie verschwunden. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber irgendetwas daran war merkwürdig.« Sie atmete ein und aus. »Also ich habe Sie schon gesehen, aber wollte Sie nicht ansprechen. Immerhin war es ein Samstag. Aber da wollte ich es dann doch machen, aber ich habe mich nicht getraut.« Sie hatte sich nicht getraut? »Sie können mich immer und überall ansprechen. Ich hätte mich gefreut.«
Nun lächelte sie zaghaft. «Wirklich?« Heftig nickte ich. »Klar. Aber Sie hatten ja auch Begleitung.« Sie winkte ab. »Herr Meyer? Der war da schon weg. Wir sind nur Kollegen.« Empfand sie das wirklich so? »Also ich hatte das Gefühl, dass er das nicht so sieht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kann nur von mir sprechen. Für mich ist er nicht mehr als Kollege. Ich empfinde nichts für ihn.« Ihr Blick war nun durchdringlich. Ich errötete. »Ok.« Dann wechselten wird das Thema und irgendwann sahen wir beide erstaunt auf die Uhr. »Das mit der Zeit bekommen wir wohl nicht so hin, was? Die vergeht ja immer im Flug bei unseren Gesprächen«, meinte ich lachend und sie stimmte mir zu. »Ich werde auch mal gehen. Ich habe Sie lange genug aufgehalten.« Dann standen wir auf und gingen in den Flur.
Ich sagte: »Sie können mich so lange aufhalten, wie Sie möchten.« In ihrem Gesicht bildete sich wieder ein Lächeln. »Nennen Sie mich ruhig Helene, ok?« Sie stand mir so nah, dass ich ihren Atem spüren konnte. Ich schloss für einen Moment die Augen. Mein Herz raste, als ich die Augen öffnete und antwortete: »Ok, ich bin Hanna.« Regungslos blieben wir stehen. Keiner sagte ein Wort. Ich wollte sie küssen. Ich wollte es so sehr. Sie kam mir immer näher und mein Atem ging schneller. Uns trennten nur noch wenige Zentimeter voneinander. Wir sahen uns tief in die Augen. Gleich würde es passieren, dachte ich nervös. Doch dann wurde dieser magische Moment unterbrochen. Wir fuhren auseinander. Jette kam nach Hause. Sie schloss gerade die Tür auf und sah uns verdutzt an.
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Herzgeflüster || gxg
RomanceHanna ist eine alleinerziehende Mutter. Ihre Tochter Jette steckt mit ihren 14 Jahren mitten in der Pubertät und ständig gibt es Ärger in der Schule. Am Anfang des Schuljahres prügelt sie sich auf dem Pausenhof und ihre Lehrerin, die Hanna noch nich...