Kapitel 25

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»Es tut dir leid?«, flüsterte ich. »Mehr fällt dir dazu nicht ein? Es ist vorbei«, sagte ich, schaute ihr für einen Moment in die Augen und drehte mich um. Ich konnte sie keine Sekunde länger mehr ertragen. Mein Herz brach entzwei. Wie konnte ich auch denken, dass das, was wir hatten, wirklich echt war? Für mich war es das gewesen. Alles war echt. Meine Gefühle, meine Zuneigung, mein Herzklopfen. Sie griff nach meiner Hand. »Nein, bitte bleibe. Ich kann es dir erklären«, flehte sie. »Du musst mir nichts erklären. Ich habe alles gesehen. Ich lasse mich nicht verarschen«, spuckte ich ihr förmlich ins Gesicht. Sie war erstarrt. Dann fand sie ihre Worte wieder. »Bitte komme kurz rein.« Ihr Gesichtsausdruck war traurig. Ich verstand sie nicht. Sie sollte doch froh sein, dass sie nun »freie Bahn« hatte.

Ich war unentschlossen. Sollte ich wirklich reingehen? Oder einfach nach Hause fahren? Ich seufzte. »Du hast zwei Minuten.« Ein Funken Hoffnung breitete sich in ihrem Gesicht aus. Wir gingen ins Wohnzimmer. Ich konnte ihre Schlafzimmertür sehen und ein schmerzhaftes Stechen durchfuhr meinen Körper. »Möchtest du etwas trinken?« Stumm schüttelte ich den Kopf. »Deine Zeit läuft.« Wir setzten uns und ich ließ einen gewissen Abstand zwischen uns. Ich wollte sie nicht mehr berühren, aber eigentlich war es genau das, was ich wollte.

»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Um das erst einmal klarzustellen: Wir haben uns wirklich nur zufällig dort am Strand getroffen. Ich war eigentlich wegen dir da. Ich weiß, es ist albern, aber ich wollte nicht den ganzen Tag alleine zu Hause rumsitzen und dachte, vielleicht treffe ich DICH ja zufällig und wir könnten zusammen einen Kaffee trinken gehen. Aber dann kam er.« Ich verstand gar nichts mehr. Sie war wegen mir am Strand? Warum küssten die beiden sich dann? »Und er hat mich dann gefragt, ob wir einen Kaffee trinken wollen. Was sollte ich sagen? Ich war schließlich alleine. Und ich fand es dann sowieso unwahrscheinlich, dass wir uns dort treffen.« Sie atmete schwer.

»Das ergibt alles keinen Sinn.« Entsetzt sah sie mich an, dann sprach sie weiter: »Wie gesagt, wir waren Kaffee trinken. Dann haben wir beide uns getroffen und ich wollte dich am liebsten in meine Arme schließen, aber es ging nicht. Nur deshalb bin ich mit ihm gegangen. Die Situation war angespannt und dass Jette ihn gesehen hatte, machte die Sache nicht gerade leichter, weil sie wahrscheinlich denkt, dass wir ein Paar sind.« Ich unterbrach sie: »Ja, genau das denkt sie. Sie hat gesagt, dass sie sich wünscht, dass du nie hergezogen wärst. Vor einigen Stunden noch war ich anderer Meinung, aber jetzt? Was hast du mir angetan?« Ich schluchzte und sie legte ihre Hand auf mein Knie. »Fasse mich nicht an. Ich ertrage deine Nähe nicht«, sagte ich ruhig und sie zog die Hand weg.

»Hanna, denke doch sowas nicht.« Sie klang erschüttert und todunglücklich. »Pah, wie soll ich denn sowas nicht denken? Was würdest du denken?«, fauchte ich sie mit gefährlicher Stimme an. »Ich erkläre dir alles. Wirklich.« Oh, Gott. Warum hatte ich dieses dringende Bedürfnis, sie gerade jetzt zu küssen? »Ich habe ihm direkt nach dem Verlassen des Cafés gesagt, dass ich mich nicht so gut fühle. Ich wollte einfach nur nach Hause. Er hat es akzeptiert. Ich bin dann zum Auto gegangen und nach Hause gefahren. Ich weiß nicht, was genau du dann gesehen hast.« Sie blickte mich an. »Ich habe gesehen, wie er aus seinem Auto gestiegen ist und dich geküsst hat. Ach, so ganz nebenbei natürlich auch, dass du dich nicht gewehrt hast.«

Nervös fummelte sie an ihren Händen umher. »Ja, aber das ist nicht die ganze Geschichte.« Versuchte sie ernsthaft, sich rauszureden? »Scheiße«, sagte sie und fing an zu weinen. »Ich sollte nicht darüber reden, aber es betrifft uns eigentlich beide. Ich kann dich nicht anlügen.« Wovon sprach sie? Was meinte sie? »Er hat mich erpresst. Jetzt ist es raus.« Stille. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. »Womit?«, fragte ich und runzelte die Stirn. Was war das für eine Lügengeschichte? Hatte sie sich die im Vorfeld schon zurechtgelegt? »Mit Jette.« Jette? Was hatte Jette damit zu tun? »Hanna, er hat uns gesehen. Er weiß von uns. Ich weiß nicht, wann er uns zusammen gesehen hat, aber er ist in mich verliebt. Das hat er mir vor der Tür gesagt. Er hat gesagt, wenn ich seine Liebe nicht erwidere, dann wird er es ihr sagen. Und das wollte ich natürlich nicht, denn du musst das machen. Wenn sie das von ihm erfährt, was wäre dann los?«

Sagte sie die Wahrheit? »Ich habe versucht, es abzustreiten. Er kann uns nichts nachweisen. Aber ich war mir so unsicher. Ich habe nur an dich gedacht.« Ich erwiderte: »Nur deshalb hast du ihn geküsst? Weil er gesagt hat, dass er es Jette sagt?« Sie schüttelte wild den Kopf. »Nein. Er weiß, dass Jette in ihn verliebt ist. Oh, Gott. Ich hätte ihn nie so eingeschätzt.« Sie schloss die Augen. »Er hat ein Nacktbild von Jette, das sie ihm wohl selbst geschickt hat. Ich weiß nicht, ob es stimmt. Er wird es veröffentlichen, wenn ich ihm nicht das gebe, was er möchte. Ich war in diesem Moment so überrumpelt und die Situation hat er genutzt, um mich zu küssen. Ich war wie erstarrt, aber dann habe ich ihm eine geknallt und habe ihm gesagt, dass er uns in Ruhe lassen soll. Er meinte dann, dass wir es bereuen werden.«

Ich fühlte viele verschiedene Dinge. Überraschung, Ekel, Angst, Liebe. Hatte Jette ihm wirklich ein Nacktbild geschickt? Das konnte ich nicht glauben. Das war doch absurd. Aber auf der anderen Seite war sie ein verliebter Teenager. Die stellten manchmal dumme Sachen an. Wir schwiegen uns beide an. »Stimmt das?«, flüsterte ich ihr zu. Sie nickte. »Ja, ich schwöre. Das ist die Wahrheit. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe mich so getäuscht in ihm.« Wir schauten uns in die Augen. Es lag so viel Ehrlichkeit in ihrem Blick. Ich spürte, dass sie nicht log. »Es tut mir leid, dass ich so von dir dachte. Ich war nur so verzweifelt.« Sie nahm meine Hand und ich ließ es zu. »Ich verstehe das. Ich hätte auch so reagiert. Wahrscheinlich noch viel schlimmer.« Oh, Jette. Was hast du nur getan?

»Ich werde mit Jette reden und sie fragen. Und ihr von uns erzählen, bevor er es tut. Gott, er ist Lehrer und missbraucht seinen Posten. Der ist doch krank.« Ich war so wütend. »Ich weiß. Ich werde Abstand von ihm halten. So gut es eben geht. Wir müssen uns um ihn kümmern, das dürfen wir ihm nicht durchgehen lassen. Bevor er das noch mit anderen Mädchen abzieht.« Ich nickte. Ich war so froh, dass sie mir die Wahrheit gesagt hatte. »Ich hoffe, du glaubst mir das alles. Ich würde dich nicht anlügen. Ich liebe dich, Hanna.« Erstaunt sah ich sie an. Sie hatte es gesagt. Sie hatte gesagt, dass sie mich liebte. »Ich liebe dich auch.« Ein kurzes Lächeln huschte über unsere Gesichter. »Ich fahre jetzt am besten nach Hause. Vielleicht wäre es gut, wenn du mitkommst«, überlegte ich laut. Sie riss die Augen auf. »Meinst du wirklich?« Ich wusste nicht, ob es die richtige Entscheidung war, aber ich brauchte ihre Rückenstärkung.

Wir zogen uns beide an und gingen zum Auto. Kurze Zeit später erreichten wir meine Wohnung. Meine Hände zitterten, als ich den Schlüssel ins Loch steckte. Beruhigend legte sie ihre Hände kurz auf meine. »Wir schaffen das. Zusammen. Ich bin bei dir.« Dann stieß ich die Tür auf und Jette, die gerade aus der Küche kam und in ihr Zimmer gehen wollte, ließ ihren Joghurt fallen. Entsetzt sah sie uns an. »Jette, wir müssen reden.« Sie murmelte: »Scheiße.« Wusste sie, worüber wir reden wollten? Wir setzten uns in die Küche. Ich räusperte mich. Dann fragte ich sie leise: »Hast du Herrn Meyer ein Nacktbild von dir geschickt?« Ich hoffte so sehr, von ihr ein entrüstetes »nein« zu hören, doch sie sagte: »Ja.« Ich schloss die Augen. Wütend fragte sie: »Hat er es IHR erzählt? Und sie kommt damit direkt zu dir?« Sie machte eine wilde Kopfbewegung in Helenes Richtung. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn ich mit ihr alleine gesprochen hätte. Aber jetzt war es zu spät. »Ja, aber es ist anders als du denkst. Wir beide müssen dir etwas sagen.« Erwartungsvoll wechselte sie einen Blick zwischen Helene und mir. Wie sollte ich anfangen? »Frau Sturm, also Helene, ist nicht mit Herrn Meyer zusammen.« Sie lachte verächtlich. »Das könnt ihr mir nicht erzählen. Er steht doch total auf sie. Und sie wäre schön blöd, nicht auch auf ihn zu stehen. Ich meine, er ist einfach perfekt.« Ich wollte kotzen. Er war alles andere als perfekt, aber sie war jung, verliebt und etwas naiv. Ich musste etwas nachsichtig sein.

Ich wollte darauf antworten, aber Helene mischte sich ein. »Nein, Jette. Erstens ist er nicht mein Typ und zweitens bin ich lesbisch.« Jette fiel alles aus dem Gesicht. »Sie verarschen mich doch, oder? Und was hat das mit meinem Bild zu tun?« Sie klang ehrlich überrascht. Man merkte, dass sie nicht wusste, ob es eine Lüge oder doch die Wahrheit war. »Es stimmt«, ergänzte ich und legte meine Hand auf Helenes Hand, die mich nun liebevoll ansah. »Helene liebt Frauen. Und ich auch. Jedenfalls eine. Jette, ich liebe Helene. Jetzt ist es raus. Ich muss es dir sagen. Und nun werde ich dir gleich erklären, was es mit deinem Bild zu tun hat.« Dann war der Raum plötzlich von einer Stille erfüllt, wie ich sie noch nie zuvor gehört und gefühlt hatte.

Herzgeflüster || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt