Kapitel 2

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Dann sah ich mich weiter um: Mein Bruder, ein weißes, kahles Zimmer, ein paar Krankenschwestern. Aber wo war meine Mutter? "Warte mal. Zach! Wo ist Mum?"


Gegenwart:

"Es geht mir nicht viel besser als vor 3 Monaten. Dieses Gefühl eine geliebte Person zu verlieren kann man einfach nicht beschreiben. Es ist als ob man seine Stützräder am Fahrrad verliert. Man kann irgendwie fahren lernen, aber man hat Angst zu fallen. Es ist als ob dir jemand die Brust aufschneidet und dein Herz rausreißt. Ich habe einfach die Standhaftigkeit verloren." Ich schluchzte. Und dann lief mir eine Träne die Wange runter. Ich hatte nicht mal bemerkt dass ich angefangen habe zu weinen. "Danke Eliana", sagte eine ruhige Frauenstimme, die versuchte nett und intensiv auf uns einzureden nur damit wir nicht an einem Nervenzusammenbruch sterben würden oder sowas in der Art. Ich sah mich um. Es war ein düsterer Raum. Nicht vom Aussehen her, nein, es war hell hier drin. Weiße Wände, hellbraune Stühle, auf denen man sich fühlte wie in der 2. Klasse und sogar die Therapeutin war weiß eingekleidet. Aber die Stimmung in diesem Raum war furchteinlösend dunkel.  

Nach dem Tod meiner Mutter bei unserem Autounfall ist mein Bruder ebenfalls abgehauen. Er meinte, dass er es nicht aushalten würde und Abstand braucht. Er kommt wohl ganz nach meinem Vater, nicht mal zur Beerdigung ist er gekommen. Ich bin weiter in die Schule gegangen, aber irgendwann haben mich meine zwei besten Freundinnen hierher geschickt. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich verschloss mich zuhause und die beiden hatten Angst um mich. Ich war 2 Monate hier eingewiesen und jetzt ging ich drei mal in der Woche in eine Psychotherapie. Ich denke, ich brauche das irgendwie. Ich hab keine Ahnung wie es mir ansonsten gehen würde. Ich glaube ich würde mit meinem Leben ansonsten nicht mehr klarkommen. Ich bewundere diese Therapeuten wirklich. Ich sah weiter in die Runde. Um mich rum saßen noch acht andere, fünf Mädchen und drei Jungs. Ich kannte nur zwei von ihnen. Einmal Emma, sie war genau wie ich ein paar Monate hier eingewiesen und ging jetzt nur noch zur Therapie. Und ein Junge, Sebastian, er war schon sehr lange hier. Sebastian hatte Depressionen, eben schon sehr lange und wurde immer wieder erneut zum Arzt geschickt, da er oft gewalttätig wurde. Emma hat ebenfalls ein Elternteil verloren. Ich verstand mich deshalb sehr gut mit ihr. Wir haben oft über unsere Probleme geredet, sowohl in der Sitzung als auch Privat in der Klinik. Ich sah mehr nach rechts. Ein neuer. Er war hübsch. Er hatte dunkelbraunes Haar und als er seinen Kopf hob um anfangen zu reden blickte ich in seine Augen. Wunderschöne grüne Augen. Er sah ebenfalls in die Runde und unsere Blicke trafen sich. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich ihn schon eine ganze Weile anstarrte und deswegen lächelte er mich verlegen an. Mir war das schon etwas peinlich aber ich hörte gespannt zu, als ihn die Therapeutin fragte, was in seinem Leben passiert ist, dass er nun hier war. Die selber Frage wie immer eben. 

"Meine Geschichte ist lang. Bei mir wurden schon als Kind chronische Schmerzen in meinem Rücken festgestellt. Mich hat das mein ganzes Leben so krass belastet, sodass vor drei Jahren Depressionen bei mir diagnostiziert wurden. Ich hab mich reingesteigert, hatte Angstzustände und alles was eben dazugehört. Vor 3 Monaten bin ich dann an einem Abend zu einem Bahngleis etwas außerhalb von Berlin gefahren und wollte mich vor einen Zug schmeißen. Doch meine Freundin hatte es irgendwie mitbekommen. Sie rief sofort die Polizei und die hat mich ins Krankenhaus und dann in eine andere Psychiatrie geschickt. Meine Freundin hat mich verlassen, meine Eltern kommen immer noch nicht ganz damit klar und da ich alleine wohne halten sie sich möglichst von mir fern, da sie mich für verrückt halten. Eigentlich müssten sie sich um mich kümmern aber naja. Jetzt bin ich hier. Und ich hoffe dass ich irgendwannn wieder normal leben kann. Ich bin ein Außenseiter, ein Psycho eben." Es war so still in diesem Raum wie lange nicht mehr. Wie schon gesagt hier ist es düster und kalt und auch ruhig. Aber jetzt. Ich hatte das Gefühl es war so leise, dass ich die Träne hören konnte, die Finn die Wange herunterlief. Selbst Frau Schulze, unsere Therapeutin war so geschockt dass sie nur ein stotterndes "Danke" herausbrachte. So eine heftige Geschichte hatte ich hier noch nie gehört. Bis jetzt waren hier Leute, die an einem Verlust litten, oder sexuell belästigt oder wenns ganz schlimm kam Drogenjunkies waren. Aber ein Selbstmordversuch? Das ist ein ganz anderes Level. Er tat mir leid. Er konnte ja, laut seiner Geschichte, nicht einmal was dafür. Er war der letzte gewesen der heute sprach. Unsere Therapeutin sah mal wieder zu uns in die Runde und verabschiedete sich. Wie vorhin schon erwähnt bin ich im Großen und Ganzen schon froh dass ich hier bin, aber es ist immer das gleiche. Jedes mal erzählt jeder seine Probleme und seine aktuelle Situation. Es regt echt langsam auf. Nach der Rede von Finn hatte ich irgendwie ein komisches Gefühl im Bauch. Alleine deswegen, weil mir jetzt noch mehr bewusste wurde, dass es Menschen gibt, die noch viel schlimmeres durchmachen mussten als ich. Und selbst ich halte meine Probleme schon fast nicht mehr normal, also ohne Therapie, aus. Ich verzog unwillkürlich mein Gesicht, weil ich mir in diesem Moment den Schmerz den dieser Junge fühlen musste vorstellte. Aber ich glaube ich war mit meinem Gefühl nicht annähernd an der Realität. Wir standen alle auf und stapelten die Stühle, die in der Mitte des Raums standen. Ich war gerade dabei meinen Stuhl auf einen anderen zu stellen, da sah ich dass der neue Junge schon aus der Tür ging. Und ich weiß nich wieso, aber ich hatte das Gefühl ich muss mich um ihn kümmern. Wahrscheinlich weil ich weiß wie schlimm es sich anfühlt wegen irgendeinem Grund hiersein zu müssen. Und außerdem wollte ich ihn kennenlernen. Was hatte ich denn schon zu verlieren, dachte ich damals.  

Liebe Führt Zum TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt