Kapitel 11

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"Scheiße, wir müssen doch in 2 Stunden zur Therapie." Mit diesem Satz zerstörte er ihn. Diesen magischen Moment der mich für die letzen Stunden aus der Realität verbannte. Doch jetzt holte mich der Alltag wieder ein, was meine Laune sofort verschlechterte. Jedoch war es auch das erste Mal, dass ich nicht alleine zu einer Sitzung gehen musste, was mich wieder etwas aufheiterte. 

Ich war froh, dass wir noch so viel Zeit hatten. "Ich will noch nach Hause und mich umziehen. Könnten wir auf dem Weg nach Kreuzberg bei mir vorbeifahren?", fragte ich ihn. Er sagte ja und dann gingen wir in sein Zimmer. Wir nahmen unsere Handys und ich meine Tasche. Finn holte noch Geld aus einer Schublade und dann zogen wir unsere Schuhe an und gingen aus dem Haus.Die frische Luft tat meinem Kopf sehr gut. Hätte ich wohl mal in der früh dem rummachen vorziehen sollen. Er hielt mir wie üblich die Tür vom Auto auf, was ich jetzt noch süßer fand als gestern Abend. Er startete den Motor und schon ging es los. 

Wir fuhren den selben Weg wie gestern, nur eben in die andere Richtung, was mich wieder dazu verleitete den gestrigen Abend erneut in meinem Kopf durchzugehen. Und wieder blieb ich beim Thema Kiffen hängen und meine Gedanken platzten einfach so aus mir raus: "Ihr verdrängt den Schmerz damit oder? Mit Drogen?" Ich konnte Finn nicht sehen, da ich zum nachdenken aus dem Fenster sah, aber ich hörte ihn geschockt einatmen. Dachte er ernsthaft ich hätte das vergessen? "Lia, hör mir zu. Wir hatten alle eine wirklich sehr schwere Zeit. Manche Leute kommen irgendwann mit den Verlusten oder was auch immer klar, aber manche können es einfach nie ignorieren und noch weniger einfach vergessen. Und so geht es uns eben. Ja, wir verdrängen den Schmerz auf diese Weise, weil es für uns die einzige Lösung ist, zumindest aktuell. Es ist wie mit dem Selbstmord. Du vergisst deine Sorgen für einige Augenblicke, aber im Endeffekt wird es nicht besser. Nur hat man beim Drogennehmen mehrere Leben sozusagen, weil man sich nie wirklich umbringt." Seine Worte erschütterten mich. Es ist im Grunde alles wahr was er sagt, aber trotzdem musste ich etwas dazu beitragen: "Aber irgendwann bringt man sich damit um!", schnauzte ich ihn schon fast an. "Es ist schlecht für euch!", hakte ich nach. "Es interessiert uns nicht Eliana, okay?! Wenn es dich stört mach Schluss. Nur wegen dir werde ich das nicht ändern. Ich kann es nicht anders" Er schluchzte. Weint er etwa? Ich darf das nicht. Ich darf ihm nicht vorschreiben was er tun und lassen soll. Vor allem deshalb nicht, weil wir erst 12 Stunden zusammen sind und außerdem, weil ich ihn brauche. Sonst kann ich das nämlich alles nicht. Mein Kopf einigte sich auf einen Kompromiss mit Finn: "Ich mein das doch nicht böse. Ich hab einfach Angst um dich, weil du gerade der einzige Grund für mich bist, glücklich zu sein. Aber ich verstehe das. Und ich werde dich bzw. euch nicht davon abhalten." Er nahm meine Hand und legte sie zusammen mit seiner auf meinen Oberschenkel. Ich nahm das als ein 'Danke' an. 

Schon 3 Minuten später waren wir vor meiner Haustür. Ich stieg ohne etwas zu sagen aus und schloss meine Tür auf. Mir kam ein Schwall kalter Luft, vermischt mit einem Hauch meines Parfums entgegen. Ich war zuhause. Und die Kälte in der Luft lag nicht an der Temperatur, sondern daran, dass ich wieder alleine war. Ich ging schnurstracks in mein Zimmer um vor dem einsamen Gefühl wegzurennen. Ich zog mich schnell um und dann lief ich zur Tür und schließlich in Finns Auto zurück. Als ich saß atmete ich kurz aber tief durch. "Alles okay?", fragte er mich besorgt. Ich nickte und unsere Fahrt ging noch 15 Minuten weiter. Ich hatte Recht. Der Alltag war wieder zurückgekehrt und zwar genau in dem Moment, als Finns Wecker klingelte. Jetzt waren wir wieder am mit düstersten Ort den ich kannte. Und auch ihm sah ich die Traurigkeit, oder wie auch immer man dieses komische Gefühl beschreibt, an. Wir verließen schweigend den Wagen und ich wollte schon zum Eingang gehen, als mich Finn am Handgelenk festhielt und mich zu sich zog. "Baby, es tut mir leid. Aber du kannst mich leider nicht ändern. Ich liebe dich so sehr bitte bleib bei mir. Ich brauche dich" Egal was er sagt, er berührt mich immer wieder mit seinen Worten. Ich gab ihm einen schnellen Kuss. "Ich brauche dich noch mehr. Und deswegen werde ich dich auch nicht versuchen zu ändern" , gab ich als Antwort zurück. Wir lächelten uns an und gingen dann 2 Minuten vor Anfang der Sitzung in die Klinik. 

Wir gingen flott in den Therapieraum und waren die letzten. Frau Schulze war noch nicht da, aber alle anderen sahen uns doch etwas verwundert an. Zumindest diejenigen, die regelmäßig hier sind. Wir setzten uns auf die einzigen zwei Stühle, die noch frei waren. Sie standen etwas weiter voneinander entfernt, es waren 5 Stühle dazwischen. Nur wenige Sekunden nachdem wir saßen, kam unsere Therapeutin herein. 'Hallo' , 'Wie geht es euch', 'Okay fangen wir an'. Die gleiche Prozedur wie jedes Mal. Ich kam mir vor wie bei "Und täglich grüßt das Murmeltier". Immer wieder das Gleiche von vorne. Es war dieses Mal besonders langweilig, weil kein Neuer bzw. keine Neue da war. Die 1 1/2 Stunden zogen sich mal wieder ins Unendliche.

Als wir aus diesem finsteren Bunker endlich wieder draußen waren, atmete ich erstmal durch. Es kommt vielleicht so rüber, als würde ich übertreiben, aber ich komme mir wirklich vor wie in einem Alptraum. Nicht, weil ich mir bewusst bin, dass ich sozusagen in der Klapse bin, sondern weil ich weiß warum ich hier bin. Und ich weiß warum alle anderen hier sind. Ich sah Finn aus dem Augenwinkel weggehen. Er ging auf eine Mauer zu. Auf unsere Mauer. Da, wo ich ihn das erste Mal angesprochen habe. Und das ist erst 3 Tage her, kommt mir aber vor wie 3 Wochen. Er winkte mich zu sich, da ich total in meine Gedanken vertieft war und nur zu ihm starrte. Er drehte sich eine Kippe. Ich ging zu ihm und setzte mich zu ihm. "Oh hey ich hab dich erst garnicht bemerkt", sagte er und wir beide lachten lauthals los. Er hat es sich wirklich gemerkt. Das erste was er jemals zu mir gesagt hat. Er zündete sich seine Kippe an. "Willst du auch eine?", lachte er wieder los. Aber ich lachte nicht, mein Blick wurde ernster und verzog sich zu einem grinsen. Ja, ich nickte. Dieses Mal rauchte ich mit. 

Liebe Führt Zum TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt