Und jetzt fiel mir erst auf was Lea mir vorhin eigentlich gesagt hat. Sie hat mich nicht gefragt, ob ich das will, weil sie mir einen Vorwurf machen wollte oder weil sie mich noch warnen wollte. Sie hat mir das gesagt weil es sozusagen schon feststand, wo das auch bei mir hinführt. Es führt in die Abhängigkeit.
Diese Erkenntnis musste ich erstmal verarbeiten. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber wenn das so weitergeht und das mein einziger Weg ist, den Schmerz loszuwerden, wird es vermutlich so kommen. Aber ich will das nicht, auf keinen Fall. 'Ich muss hier weg', dachte ich bei mir. Ich gab Finn einfach nur einen Kuss auf den Mund und sprang auf. Ich war zu betrunken um all meine verstörenden Gedanken in Worte zu fassen. Ich glaube keiner merkte, dass ich wirklich aus dem Haus und nicht aufs Klo oder sonst wohin verschwunden bin. Ich kam allerdings nicht weit, da ich stocksteif stehen blieb, als mir auffiel, dass ich keinen blassen Schimmer hatte wo ich war geschweige denn wo die nächste U-Bahn Station ist. Nachdem ich im Internet nachgeschaut hatte, ging ich noch drei Minuten und schon war ich da.
Als ich in Pankow wieder ausstieg, sah ich auf mein Handy und hatte 5 verpasste Anrufe von Finn. 'Hätte ich doch mit der Frage nach seiner Nummer noch einen Tag gewartet', dachte ich, rief ihn aber trotzdem zurück. Eine panische Stimme nahm ab: "Eliana? Wo bist du denn hin?", schrie er schon fast in sein Mikrofon. Doch ich konnte die Sorge in seiner Stimme hören und sagte deshalb nichts zu seinem Tonfall. Ich entschuldigte mich nur bei ihm. Ich kannte das Gefühl einfach nicht, dass sich jemand um mich Sorgen machte. "Wieso bist du denn weggegangen?", klang er jetzt noch besorgter. Ich erklärte ihm, dass ich eine Auszeit brauchte und ich wisse nicht wie lange. Er war geschockt. Verständlich, wenn vor 15 Minuten noch alles in Ordnung war und ich jetzt alleine an einer U-Bahn Station stand. Außerdem wusste er ja nicht mal, warum ich ohne die andern sein wollte, was ich ihm aber auch nicht erklären konnte.
Endlich zuhause angekommen, lies ich mich einfach auf die Couch fallen und fing an zu weinen. Mir wurde von Minute zu Minute bewusster, wie wahr das ist, was Lea gesagt hat. Ja, ich könnte einfach aufhören. Aber ich will und kann nicht. Denn wenn ich es sein lasse, dann werde ich wieder traurig und muss wieder öfter in Therapie. Ich würde vermutlich auch Finn verlieren, weil er nicht mit den Drogen aufhören würde und deshalb bald nicht mehr in Behandlung wäre und wir uns dann garnicht mehr sehen würden. Ein Teufelskreis. So wie das ganze Lebe und man selber steckt mitten drin und kommt nicht mehr raus. Es war inzwischen 19 Uhr. Die letzten Tage sind buchstäblich an mir vorbei gerauscht. Um mich abzulenken entschloss ich mich endlich mal Sally und Chloé Bescheid zu geben. Ich startete ein Gruppentelefonat und erzählte ihnen alles. Fast alles. Ich verabredete mich schließlich mit Sally für Freitag, da wir uns sonst vor den Ferien, in denen ich nicht zuhause bin, nicht mehr sehen würden. Nach dem langen Telefonat wollte ich einfach nur noch ins Bett gehen. Ich schlief sehr schwer ein, mit dem ständigen Gedanken 'was soll ich tun?'.
Als ich am nächsten Morgen in der Schule ankam, fühlte ich mich sehr überfordert. Ich wusste nicht ob es daran lag, dass ich wie immer schlecht geschlafen habe oder daran dass ich mich nicht mit meiner Entscheidung zufrieden gab. Ich habe den Entschluss gefasst heute von Finn Abstand zu halten. Aber ich wusste einfach nicht, ob das die richtige Entscheidung war. Er hat doch nichts getan. Er war so lieb zu mir und ich tue ihm so etwas an. Aber mir ist meine Gesundheit genauso wichtig und ich will wissen, ob ich es ohne ihn schaffe, den Tag zu überstehen und ohne dass ich darunter leide keinen Alkohol oder sonstiges zu haben. Ich habe die letzten 1 1/2 Wochen fast keinen Tag nüchtern durchlebt. Ich fühlte mich trotzdem, abgesehen von der Finn-Situation, nich schlecht. Im Gegenteil, mir tat es einfach gut, nicht dauernd den Verlust und meine Angst, alleine zu sein im Hinterkopf zu haben. Ich denke auch sonst nie wirklich bewusst daran, aber wie gesagt: Im Hinterkopf sind die Gedanken immer. Bei jedem Schritt, bei jedem Atemzug, bei jeder erdenklichen Situation. Ich setzte mich auf die Steintreppen und lernte. Und ich glaube ich erwartete irgendwie eine Hand an meiner Schulter, die mich aufforderte mitzukommen. Zum Kiffen. Ich ärgerte mich extrem über mich selber, dass ich diesen Gedanken hatte und dieser Selbsthass vermischt sich gerne mit meinen anderen Problemen und ist vielleicht ein Grund für meine psychische Gestörtheit.
Kurz vor Unterrichtsbeginn machte ich mich auf den Weg zum Klassenzimmer. In einem großen Gang trennten sich irgendwann die Wege von meiner Jahrgangsstufe zu der von Finn. Naja und so wie es das Schicksal eben will, lief ich Finn und den anderen quasi direkt in die Arme. Aber ich sah auf den Boden und schoss schnurstracks an ihnen vorbei in Richtung meines Klassenraum. Mir war es so unangenehm, da keiner eine Ahnung hatte, warum ich das tat. Ich bin zu feige es ihnen zu sagen. "Was ist denn nur los Lia", rief Finn mir hinterher, sodass es alle im Gang hören konnten. 'Ich weiß es doch selber nicht', dachte ich bei mir, aber ich wusste, dass diese Antwort nie und nimmer reichen würde. Und ich kann ihm auch nicht einfach sagen, dass ich Abstand brauche, aber dann bitte nur heute. Wie hört sich das denn an? Zwar war es nicht Finn der mir hinterher lief, aber ich merkte, dass sich mir jemand näherte. Es war Lea. "Was willst du denn?", fragte ich den Tränen nahe. Sie nahm mich sofort in den Arm und ich dachte mir mal wieder 'Sowas kannst du doch nicht einfach wegschmeißen'. "Ich weiß was los ist. Du hast genau das herausgefunden, was ich dir gestern gesagt habe. Also ich meine den tieferen Gedanken dahinter", sprach sie mir aus der Seele. Wie kann sie denn so genau wissen, was in mir vorgeht? Ich nickte einfach nur verzweifelt. Lea sah mich mitleidig an und fing an zu reden: "Ich weiß in was für einer schwierigen Situation du dich befindest. Aber Lia hör einfach auf dein Herz. Du hast so viel durchgemacht, da wird das bisschen Alkohol nicht mehr viel Schaden in dir ausrichten können. Ich weiß ich widerspreche mir gerade selber aber Finn leibt dich so sehr. Ich kenne ihn schon echt lange und ich habe ihn noch nie so glücklich erlebt. Ich glaube wenn ihr euch zwei habt, braucht ihr nicht wirklich noch viele Drogen." Sie lachte, vermutlich wegen dem letzten Satz. Es war ein trauriges Lachen. 'Sie hat doch auch Liam', kam es mir. Und bisschen Alkohol ist gut, ich habe die letzte Woche nichts anderes gemacht. Aber ja, sie hat im Großen und Ganzen Recht. Ich brauche und liebe Finn. Und auch zu den anderen fühlte ich mich hingezogen wie zu Seelenverwandten. Ich atmete einmal tief ein und aus und ging los, wie in Trance, in die Richtung von Finns Klassenzimmer. Er stand mit Alex, Liam und Elias vor der Tür, da noch kein Lehrer anwesend war. Ich sah ihn und erkannte die Verwunderung und Traurigkeit in seinem Gesicht. Ich kam ihm näher, immer näher. Und als ich bei ihm war fiel ich ihm um den Hals und küsste ihn. Das war es. Das war das einzige was ich brauchte. Seine Küsse, seine Umarmungen, seinen Duft, seine Nähe. Ich fühlte mich so unendlich geborgen. Ich sah ihm in die Augen und flüsterte nur "Es tut mir so leid".
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Liebe Führt Zum Tod
Teen FictionPsychoterror. Das beschreibt Elianas Situation ziemlich genau... aber denkt sie allen ernstes das dieser "neue geheimnisvolle Typ" das bessern könnte...? An ihrer Stelle hätte ich eher Angst, dass es schlimmer wird