Kapitel 8

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"Wie wäre es wenn wir alle mal bisschen über uns erzählen?", fragte er ruhig. Eigentlich hasse ich es über mich zu reden. Ich weiß nicht wieso, aber hier war es anders. Ich fühlte mich ab dem ersten Moment an wohl und hatte das Gefühl, ich würde jeden schon Jahre kennen. Und außerdem was sprach dagegen? Ich hatte eh das Verlangen mal mit anderen Leuten als mit meinen Therapeuten über mich, mein Leben und meine Vergangenheit zu Reden. 


"Und wer will anfangen?", fragte Liam. Keiner sagte was. Schließlich meldete ich mich freiwillig, da ich ja nun mal "neu" hier war. Also fing ich an zu erzählen. Und zwar alles. Von dem Moment als ich den Autounfall mit meiner Mutter hatte über die Monate voller Trauer und Einsamkeit über die nervigen Sitzungen bis hin zu dem Tag, an dem ich Finn ansprach. Alle fieberten mit mir mit und ich hatte das Gefühl, dass sie mich alle verstehen würden und dass ich ihr Vertrauen gewinnen konnte. Da ich mit der ersten Begegnung mit Finn aufgehört hatte, machte er gleich weiter und erzählte seine Geschichte. Jedoch merkte ich, dass jeder in diesem Raum einschließlich mir, diese kannte. Danach kam Liam zu Wort. "Naja bei mir fing alles an als ich 16 war. Meine Mutter hatte einen Gehirntumor und die Ärzte waren anfangs sehr zuversichtlich dass sie überleben würde. Jedoch war es dann eben doch nicht so. Sie starb als ich 17 war, ich hatte aber schon während der Zeit mit ihrem Krebs Schlafstörungen. Dann habe ich mich auf einem Selbstmordportal angemeldet und habe mit einem Mädchen geschrieben. Sie wollte mich davon abbringen mich umzubringen und sagte, dass wir das irgendwie anders schaffen könnten. Naja und ich bin echt froh, dass sie das geschafft hat, sonst wäre ich jetzt nicht hier". Als er den letzten Satz aussprach griff er nach links zur Hand von Lea und sie sahen sich verliebt an. Wie schön! Zwar eine tragische Liebesgeschichte, aber trotzdem süß die zwei. Ich verstand Liam. Ich spielte auch mal mit dem Gedanken mich umzubringen, als ich keinen Halt mehr hatte, weil meine Mutter weg war. Lea vervollständigte ihre Geschichte noch, dass sie sich ritzte und Depressionen hatte, da sie bei einen schrecklichen Todesfall zugesehen hatte. Daraufhin hatte sie eben Liam dann im Portal kennengelernt. Ohne eine Ankündigung oder etwas ähnlichem fing Elias zum erzählen an. Seine Geschichte war mal etwas neues für mich. "Ich war schlecht in der Schule, war nur noch feiern und mein Vater wurde Alkoholiker. Meine Mutter brauchte nicht lange und machte es ihm nach. Naja und eines Tages als ich mal wieder erst in der früh heimkam waren meine Sachen in zwei Reisetaschen verstaut und vor die Tür gestellt. Sie haben mich einfach rausgeworfen. Ich habe die ganze Nacht lang durchgeklingelt, aber keiner hat aufgemacht. Ich weiß bis heute nicht ob sie das nur gemacht haben, weil sie mal wieder besoffen waren oder ob sie mich einfach nicht mehr haben wollten. Ich weiß nichts. Ich bin zu Liam und Lea gezogen und bin seit dem Vorfall ein paar mal zum Psychologen aber naja, hat nicht wirklich was gebracht. Ich versuche das jetzt für mich alleine zu regeln. Nicht mithilfe von solchen Leuten. " Ich war geschockt. Seine Familie zu verlieren ist die eine Sache, aber zu wissen dass sie eigentlich noch da ist, du aber nicht zu ihr kannst, das ist eine genauso schlimme wenn nicht sogar schlimmere Situation. Ich kam mir ab Elias Erzählung etwas fehl am Platz vor. Jetzt erst merkte ich, dass alle gegenseitig diese Geschichten kannten und sie gerade nur mir erzählt werden. Das muss doch sicher nicht leicht für sie sein. Bevor ich fertig denken konnte, fing Alex schon an zu reden. Sein Leben hatte einige Parallelen zu dem von Finn und mir. Er hatte ebenfalls Depressionen und seine Eltern haben sich getrennt und er war nun auf sich alleine gestellt. Nachdem alle erzählt hatten war ich anfangs komplett überfordert. Warum haben alle hier so eine schlimme Vergangenheit? Das kann doch kein Zufall sein, oder? Und was meinten sie damit, dass sie ihre Probleme jetzt anders in den Griff bekommen hätten? Ohne zu zögern sprach ich die erste Frage aus. "Wir wohnen alle in der Nähe und haben uns entweder über die Schule oder über Therapien kennengelernt. Wir sind sowas wie unsere eigenen Psychologen, wobei wir eigentlich nie wirklich über das alles reden", gab mir Lea als Antwort zurück. Und genau das war der Punkt. Ich fühlte mich in diesem Moment echt übel, weil sie nur wegen mir wieder in ihrer Vergangenheit kramen mussten. Das sagte ich ihnen schließlich auch. "Nein wieso denkst du denn so? Du bist doch jetzt auch eine von uns", sagte Alex laut und bekam durch ein Nicken Zustimmung der anderen. Er schenkte Wein nach und holte noch etwas anderes hervor. Papes und eine Tabaktüte. Aber als er diese öffnete war es alles andere als das. Es war Gras. Und mein warmes Gefühl in meinem Körper, das ich hatte, weil alle fünf so nett zu mir waren verwandelte sich sehr schnell in Misstrauen. Wie war das mit Drogen, was mir Finn noch heute Abend gesagt hat? Nur ausprobieren? Während ich immer noch mit offenem Mund auf das Cannabis starrte, konnte ich meine Gedanken sammeln und endlich eins und eins zusammenzählen. Das ist die Sache, mit der sie ihre Probleme klären. Sie lenken sich mit Drogen ab. Alkohol und Cannabis. Alex konnte schnell bauen. "Auf unser beschissenes Leben" Er zündete den Joint sofort an, zog zwei mal daran und gab ihn dann weiter zu Elias, zu Lea, zu Liam, zu Finn und dann wäre ich dran gewesen. Aber ich tat nichts. Ich tat nichts, außer dass ich Finn einen finsteren, enttäuschten Blick zuwarf und einfach aufstand und aus der immer noch offenen Garage ging und im dunklen verschwand. 

Ich wusste nicht wohin ich ging, aber ich bewegte mich langsam und wie betäubt obwohl ich ja eigentlich abhauen wollte. Mich störte nicht die Tatsache, dass sie manchmal kiffen, aber mich nervte es, dass Finn mich angelogen hatte. Nur ein paar Sekunden später hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Wer konnte es anderes sein als Finn. Aber ich drehte mich nicht um. "Lia bleib stehen, bitte", rief er und stand jetzt hinter mir. "Wieso lügst du mich an?", sagte ich während ich mich zu ihm umdrehte. "Tut mir leid, aber wärst du sonst mitgekommen?", fragte er etwas traurig. "Ja! Wäre ich. Weil ich dir schon vorhin gesagt habe, dass es mich nicht stört, wenn man das nicht zu oft macht", antwortete ich genervt. Er sah erleichtert aus, aber gleichzeitig fühlte er sich glaube ich schuldig. Er nahm meine Hände und sah mich an. "Gib mir noch eine Chance. Es tut mir wirklich leid. Ich hatte Angst, du kommst erst garnicht mit, wenn ich dir gesagt hätte, dass wir schon manchmal kiffen." Wieso kann ich ihm nicht böse sein? Es ging einfach nicht. Er gab mir einen Kuss und wir gingen Hand in Hand zurück zur Garage. Ich war mir sicher, dass ich das richtige tat als ich ihm verzieh. 


Liebe Führt Zum TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt