Kapitel 21

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"So ist das mit den Drogen. Man hat eigentlich nur immer für kurze Zeit etwas davon, aber langfristig ist das einfach alles scheiße", erklärte er mir. Zum ersten Mal sprach er die Wahrheit aus. Und dann wurde mir endgültig bewusst in was für einer Lage ich mich befand.

Finns Zitat von gerade eben schwirrte mir immer noch im Kopf herum. Wieso sagte er mir das jetzt erst? Wenn er vor Wochen erwähnt hätte, dass das alles schlecht ist, was ich hier tue, hätte ich es eventuell nicht ausprobiert. 'Aber vielleicht wollte er ja genau das', dachte ich bei mir. Vielleicht wollte er mich da mit reinziehen, damit er nicht als einziger in unserer Beziehung von irgendetwas abhängig war. "Eliana, ist alles in Ordnung?", fragte er mich. Ich bekam nichts raus, außer ein mickriges "was soll ich jetzt tun?". Jetzt war er sprachlos und nahm mich in den Arm. Ich wurde sentimental, all meine derzeitigen Gefühle und Emotionen vermischten sich und ich fing an zu weinen. Ich sagte ja bereits, dass Alkohol mir nicht mehr half, mich nur auf die positiven Dinge konzentrieren zu können. "Du kannst wieder in Therapie gehen. Die können dir sicher helfen", antwortete er letztendlich stumpf. Ich dachte darüber nach, wie es wäre, wieder drei bis vier Mal die Woche dorthin zu gehen, mir immer das gleiche Gequatsche anzuhören und alleine zuhause zu sein. Diese Zeit ist einfach nicht schön gewesen und ich wollte sie auf keinen Fall nochmal erleben. Also nein, ich wollte nicht wieder zur Therapie. So sagte ich ihm das auch. Ich glaube er war erneut schockiert, wie schnell ich meine Meinung über die angeblich tollen Therapien änderte. Ich wusste in dem Moment einfach nicht was ich tat. Ich sah zu Elias, der gerade einen Joint fertig gebaut hatte und nahm ihn ihm aus der Hand. Ich schnappte mir ein Feuerzeug, zündete ihn an und kiffte. Ich ließ den Rauch sehr lange in meiner Lunge, atmete wieder aus und musste lächeln. Vielleicht hilft mir das ja besser als Alkohol.

So verging die Zeit wie im Flug. Die nächsten Wochen wurden immer schlimmer. Ich hielt mich mit Wein und Schnaps nicht länger auf, sondern kiffte eigentlich nur noch den ganzen Tag. Mir fiel das nicht mal wirklich auf, was ich eigentlich tat. Es wurde normal für mich. Ich hatte einige Male Sex, aber bis jetzt nicht einmal im nüchternen Zustand. Irgendwann kam es so weit, dass Finn öfter Kokain besorgen konnte. In den Momenten, in denen ich schwach wurde, kokste ich einige Male mit. Ich verstand selber nicht, warum ich das alles machte. Nur war es so: Je mehr Drogen ich zu mir nahm, desto schlimmer wurden meine Depressionen oder Angstzustände wegen meiner Mutter und meinem Bruder. Also kiffte oder kokste ich immer mehr und dann geriet das alles in einen Teufelskreis, den ich aber überhaupt nicht wahrnahm. Ich tat überhaupt nichts mehr wegen dem Genuss, sondern nur noch, damit ich den Alltag ohne psychische Schmerzen überleben konnte.

An einem Samstagnachmittag, die Kissen wurden tatsächlich mal gewaschen, lag ich auf Finns Sofa in der Garage. Noch etwas high von dem letzten Joint vor einer Stunde, aber die Wirkung ließ viel zu schnell nach. Finn sah mich und kam sofort zu mir. Ich musste schrecklich ausgesehen haben, denn seine Augen waren weit aufgerissen. "Baby, wie kann ich dir helfen?", fragte er mich und streichelte meine Wange. Ich zuckte nur mit den Schultern. Er lächelte kurz und zog ein Tütchen mit weißem Pulver aus seiner Jackentasche. 'Ja, vielleicht kannst du mir ja so helfen', dachte ich bei mir. Also rappelte ich mich einigermaßen auf, während Finn mir eine Line vorbereitete. Ich beugte mich über den Tisch, nahm einen Geldschein und zog das Kokain durch ihn in meine Nase. Es wirkte inzwischen wie eine Befreiung auf mich. Eine Befreiung von dem täglichen Schmerz, wegen dem Tod meiner Mutter und ich glaube ab diesem Zeitpunkt auch als Befreiung von den Gedanken die mir sagten, wie beschissen mein Leben war. Ich lehnte mich zurück, machte die Augen zu und war irgendwo. Der beste Rausch meines Lebens. Was war das für ein Zeug, das Finn mir da gegeben hat. Es war alles so perfekt. Ich war nicht hier, sondern irgendwo in einem besseren Leben.

Und irgendwann wurde ich vom Nachlassen der Droge wieder aus meiner heilen Welt gerissen. Es war allerdings drei Wochen später, als bei meinen ersten starken Kokainerfahrungen. Seit dem hat Finn nur noch so gutes Zeug besorgt, was meiner Gefühlswelt gerade recht kam. Ich befand mich sozusagen in einem Dauerrausch. Koks war so gut wie das einzige was mir noch half. Außer Finn. Wenn er bei mir war, war alles perfekt. Vor 2 1/2 Monaten hab ich ihn kennengelernt und ich bin so unfassbar glücklich mit ihm. Er hat mir einen Weg gezeigt, wie ich meinen Schmerz, zumindest kurzzeitig, loswerden kann. Er hat mir wundervolle Freunde gezeigt, mit denen ich mich super verstand und er war da, als ich mich alleine fühlte.
Irgendwann an diesem Nachmittag stand ich auf und ging auf die Toilette. Als ich meine Hände wusch sah ich in den Spiegel. Ich starrte einfach nur hinein, bis mir meine schrecklichen Augenringe auffielen. Ich betastete mein Gesicht weiter und ich bemerkte meine fahle Haut. Ich zog mein T-Shirt hoch und betrachtete meine hervorstehende Rippen. Ich aß kaum noch, seitdem ich mich mit andern Mitteln ablenken konnte. Ich bewegte meinen Kopf schnell, als wolle ich die Wahrheit von mir abschütteln und ging wieder zu den anderen zurück. Es ging alles zu schnell. Mir kam es vor, als hätte die erste Woche unserer Liebesgeschichte Monate gedauert. Aber die neun Wochen in denen ich jetzt schon sämtliche Drogen zu mir nahm, vergingen wie zwei. Deshalb konnte ich auch nicht glauben, dass ich schon in irgendeiner Weise abhängig war bzw. wollte es mir nicht eingestehen. Ich stellte mir wie oft die Frage, was ich hier tat, ob ich wirklich glücklich war. Ich setzte mich zu Finn. Anscheinend sah ich heute besonders fertig aus, denn er fragte mich besorgt, ob es mir schlecht ging. Ja, es ging mir schlecht. Richtig schlecht. Ich vermisste mein altes Leben so sehr, dass ich mir an mein Herz fassen musste, um mit dem Schmerz klarzukommen. Nicht das Leben vor Finn und den Drogen, sondern das Leben mit meiner Mama und meinem Bruder. Wieso ging es gerade mir so? Konnte es nicht jemand andern treffen? Aber das sagte ich ihm nicht. Vor allem nicht, solang die anderen noch hier waren. Also wartete ich. Ich wartete eine gefühlte Ewigkeit bis Lea, Elias, Alex und Liam nach Hause gingen.

Als wir endlich alleine waren, schmiegte ich mich an Finns Brust und sagte ihm, dass wir reden müssten. "Was soll ich machen?", fragte ich ihn verzweifelt. Er verstand nicht sofort, also musste ich ihm meine Gefühlslage erklären. "Ich weiß nicht mehr weiter. Irgendwie ist es inzwischen so, dass die Drogen mir nicht mehr helfen, sondern nach den paar Minuten Rausch alles nur noch schlimmer ist. Ich habe Angst, dass ich irgendwann auseinander falle, so viel habe ich abgenommen. Wie komme ich da wieder raus? Ich kann nicht einfach wieder zur Therapie, wie du das gesagt hast. Die lassen mich da nicht mehr hin, die schicken mich sofort in die Klapse." Das tat gut. Wir redeten kaum noch. Das einzige was wir machten war miteinander auf Drogen schlafen oder zusammen Drogen nehmen. Finn wurde ruhig. Zu ruhig um genau zu sein, er machte mir beinahe etwas Angst. "Ich kenne genau dieses Gefühl, Eliana", fing er an zu erzählen. "Ich hatte das vor einigen Monaten auch. Es hilft nichts mehr. Kein Alkohol, kein Weed, kein Koks. Ich konnte auch nicht mehr. Es gab keinen Ausweg mehr für mich, außer einen." 

Das konnte nicht sein Ernst sein. Will er mir gerade erklären, dass Selbstmord der einzige Ausweg ist. "Naja, der Schmerz ist durch das Adrenalin einige Minuten weg, weil man denkt, gleich ist alles vorbei." 

Wo war der Finn hin, der mir gesagt hat, dass Selbstmord nichts bringt und mich davon abhalten will. Er zog das Ganze nicht mal mehr ins negative. Ich war so schockiert, verzweifelt und traurig, dass ich nichtmal mehr weinen konnte. Mein Leben war hiermit komplett ruiniert. Danke Papa, danke Autounfall, danke Bruderherz. Ja, sogar danke Therapie. Vielleicht wäre es doch besser gewesen ich hätte das alles hier nie kennengelernt. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 30, 2019 ⏰

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Liebe Führt Zum TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt