Kapitel 17

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Ich kam immer näher und dann konnte ich schon die Eingangstür des Hauses sehen. Ich hörte Kühe muhen, Hühner gackern und in den Wiesen um mich herum die Grillen zirpen. Und als ich auf das Gelände des Hofes trat, konnte ich auch endlich das Lächeln meiner wartenden Tante unter dem Türrahmen erkennen. Doch nicht anders. Alles wie früher.


Meine Tante bewegte sich keinen Zentimeter, ich hingegen wurde immer schneller. Als ich endlich bei ihr war fielen wir uns um den Hals, als wären wir beste Freundinnen, die sich ein paar Wochen nicht gesehen haben. Ich wunderte mich immer noch über mich selber, da ich keine starke emotionale Bindung zu ihr hatte, aber ich glaube wir waren beide froh, dass wir uns als einzige Verwandte hatten. "Elli endlich bist du da", lächelte sie und musterte mich genau. "Du bist so hübsch geworden", fügte sie hinzu und ich war total aufgewühlt vor Freude. "Wie geht es dir, Tante Sophie?", fragte ich sie und stellte meinen Koffer im Flur ab. Wir unterhielten uns eine Weile, bis sie endlich mit mir rein ging. Ich wusste natürlich noch wo mein Zimmer war, aber sie begleitete mich.

Als ich in dem altbekannten Raum stand roch es nach Vergangenheit. Und zwar sehr streng. Als ich mich umsah konnte ich in meinem Bett einen Teddy sitzen sehen. Sie hat wirklich das Kuscheltier von mir aufgehoben. Ich ging total fokussiert auf darauf zu und drückte ihn an meine Brust. Ich sog den Duft ein. Ein holziger, süßer Duft drang in meine Nase und einen Hauch des blumigen Parfums meiner Mutter konnte man auch noch wahrnehmen. "Er riecht nach ihr", zitterte meine Stimme und Sophie legte mir ihre Hand auf die linke Schulter. "Deswegen liegt er ja dort." Sie machte eine lange Pause, als würden wir eine Schweigeminute einhalten. "Eliana es tut mir so leid, dass ich nicht einmal zur Beerdigung meiner eigenen Schwester gekommen bin. Ich konnte das alles einfach nicht ertragen, dass nach deinem Onkel auch noch sie gehen musste. Ich dachte ich könnte mich verstecken, aber ich wusste das klappt nicht. Und trotzdem bin ich froh, dass du jetzt hier bei mir bist." Ihre Worte ließen mich anfingen zu weinen. Ich verbinde so viel mit ihr und diesem Ort. Wahrscheinlich gilt das gleiche für sie bei mir, weswegen sie auch die letzten Monate keinen Kontakt wollte um ihren Emotionen aus dem Weg zu gehen. Wir gingen wieder aus dem Zimmer zurück ins Erdgeschoss und dann in ihre Küche. Der alte Ofen, der wunderschöne Holztisch, einfach alles hier war so wunderbar.

Die Tage vergingen hier wie im Fluge. Die ersten habe ich damit verbracht, meiner Tante im Stall zu helfen. Ich stellte erstaunt fest, dass sie inzwischen auch Pferde hielt, was mich motivierte, Reitstunden bei ihr zu nehmen. Damit verbrachte ich ebenfalls einige Tage. Es machte mir unglaublich Spaß und ich muss echt sagen, ich lernte schnell. Schon nach drei Tagen sind Sophie und ich ausreiten gegangen. Wir sind teilweise auch am Strand entlang geritten, was wirklich unvergessliche Momente waren. Ich hielt meine Füße ins Wasser und musste feststellen, dass dieses sehr frisch war. Höchstens zwanzig Grad. Ich sonnte mich in der Wiese vor ihrem Hof und genoss die freie Zeit in vollen Zügen.

Erst nach einer Woche fing ich an, wirklich an Finn und die anderen zu denken. Wir haben zwar fast täglich telefoniert, aber immer nur kurz um uns über den jeweiligen Tag zu berichten. Ich fing auch an die anderen zu vermissen und als ich so dalag und an sie dachte, holte mich mein normales Leben, mein normales Ich aus Berlin wieder ein. Ich spürte ein sehr unangenehmes Ziehen in meiner Brust und fing einfach so an zu weinen. Es störte mich jedoch weniger. Wenigstens vermisste ich Leute, die ich wiedersehen würde, nicht so wie bei meiner Mutter. Ich ärgerte mich schließlich über mich selber, da ich einfach ohne Zusammenhang an die anderen dachte. Es tat so weh. Keinen bei mir zu haben, mit dem ich über meine Probleme reden konnte. "Wie bekomme ich den Schmerz jetzt wieder weg?", flüsterte ich mir selber zu. Und natürlich kam ich nur auf eine Lösung. Alkohol fehlte mir bis jetzt hier noch nicht, aber in diesem Moment stieg mein Verlangen gewaltig an. Ich bekam einen trockenen Mund und bewegte mich schnurstracks in die Küche meiner Tante. 'Was tust du eigentlich schon wieder', fragte mich mein Unterbewusstsein. Ich wusste es nicht. Ich war wie in Trance und ging zum Schnapsschrank. Ich schraubte die Flasche mit Wodka auf und trank. Und ich trank natürlich wie immer zu viel.


Alles grau. Die hohen Häuser, der Spielplatz, die Straßen. Sogar die Luft wirkte hier grau und total undurchsichtig. Jetzt war ich endgültig wieder in meinem alltäglichen Leben hier in Berlin angekommen und saß in der Bahn zu mir nach Hause. Die letzten Tage bei Sophie waren wunderschön. Wir sind nochmal ausgeritten und haben zusammen gebacken. Der Abschied war schwer, da mein einziges Familienmitglied, dass ich noch hatte wieder weg war. Aber ich freute mich auch wieder zurück zu sein, obwohl ich ein wenig Angst hatte. Finn und ich haben die letzten vier Tage nicht telefoniert und er wirkte zudem komisch am Telefon an den Tagen davor. Ich hoffte einfach nur, das nichts tragisches passiert ist. Ich beschloss ihm eine Nachricht zu schreiben, ob es ihm denn gut ginge. Zwei blaue Haken, keine Antwort. Ich fühlte mich grausam, was habe ich ihm denn getan? Wie auch immer ich auf den Gedanken kam, ich hatte das Gefühl, als wollte er sich bei mir rächen, als ich ihn ignoriert habe. Aber das wäre zu abgefahren gewesen, deshalb schob ich diese Annahme in die Hinterste Ecke meines Gehirns.

Bis ich endgültig zuhause war, meinen Koffer ausgeräumt hatte und ich im Bett lag war es schon elf Uhr abends. Ich war todmüde von der Reise und meinen Emotionen aufgrund des schweren Abschieds und wegen Finn. Außerdem hatte ich keine Motivation um morgen wieder in die Schule zu gehen. Ich versuchte meine Gedanken aus dem Kopf zu bekommen, aber es wollte einfach nicht klappen. Und als ich einschlief war es sicher schon nach Mitternacht.

Am nächsten Morgen schlenderte ich müde vom Bad über meine Küche bis hin zur Schule. Ich hatte keine Lust aufzustehen, da es keinen Grund für mich gab hierher zu kommen. Aber dann fiel mir ein, dass ich auch Sally zwei Wochen nicht mehr gesehen habe und konnte mich doch einigermaßen aufrappeln. Jedoch konnte ich sie nicht finden. Ich lief durch das ganze Schulgebäude, da ich noch genügend Zeit hatte, aber ich konnte sie nirgends sehen. Als ich die Marmortreppe zum Altbau nach oben ging, um dort weiter nach Sally zu suchen, blieb ich ruckartig auf der vorletzten Stufe stehen. Ungefähr zehn Meter von mir entfernt standen hinter einer Wand, noch gerade so, dass ich es sehen konnte, zwei Personen. Der Junge war Finn. Er wandte mir den Rücke zu während er ein anderes Mädchen umarmte. Wer war sie? Und was machten die beiden hier ganz alleine? Ich war genervt und wollte schon losgehen und ihn zur Rede stellen, warum er mir nicht antwortet, sich aber mit andern Mädchen rumtreibt, als ich etwas erschreckendes sah. Finn gab ihr zwei fünfzig Euro Scheine und im Gegenzug nahm er ein Tütchen entgegen. Doch als ich erkannte, dass der Inhalt nicht grün sondern weiß war, fiel ich fast die Treppe nach hinten runter. Was habe ich nur getan? Wie konnte ich ihn nur alleine lassen?

Liebe Führt Zum TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt