Das Geheimnis

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Jacks Herz klopfte mit jedem Schritt, den sie machte, immer schneller. Zum Teil aufgrund ihrer Zuneigung gegenüber Rose, aber auch aufgrund der schon fast panischen Angst ihr die Wahrheit zu sagen. Sie konnte es nicht länger für sich behalten, besonders nicht, nachdem sie sich geküsst hatten.

Vor der Tür angekommen, umklammerte Jack die Mappe unter ihrem Arm und wartete darauf, dass sie sie rein bat.

»Das hier ist das Wohnzimmer«, sagte sie, und ließ Jack eintreten. Es war ungleich wie sehr sich dieses Zimmer von ihrem kleinen Abteil, welches sie sich noch teilen musste, unterschied. Die dunklen Holzwände waren prachtvoll mit goldenen Verzierungen versehen, die Möbel und die Blumen, die das Zimmer schmückten...einfach alles strahlte den Luxus aus, mit dem Rose offenbar aufgewachsen war.

»Ist das Licht ausreichend?«, fragte Rose und holte sie damit aus ihren Gedanken.

»Was?«

»Künstler brauchen doch gutes Licht«, fügte Rose hinzu und legte ihr langes Halstuch ab.

»So ist es. Ich bin es nicht gewohnt unter solchen horriblenBedingungen zu arbeiten«, antwortete sie und fingierte dabei absichtlich einen schlechten französischen Akzent, um Rose zum Lachen zu bringen und sich selbst etwas zu beruhigen. Als sie sich zu Rose umdrehte und hinter ihr ein paar Gemälde erkannte, ging sie begeistert auf sie zu.

»Ein Monet!«

»Kennst du seine Bilder?«

»Selbstverständlich«, sagte sie und kniete sich vor dem Kunstwerk hin, um es sich genauer ansehen zu können. »Sieh doch mal wie er die Farben einsetzt. Ist das nicht großartig.«

»Ja, das ist außergewöhnlich«, stimmte Rose ihr zu.

Sie war noch nie jemandem begegnet, der dasselbe Verständnis für Kunst hatte wie sie, was sie noch mehr von Rose begeisterte. Jack stand wieder auf und wandte sich ihr zu. Sie konnte nicht länger warten, sonst würde sie daran zugrunde gehen.

»Rose, es gibt da etwas, das ich dir sagen muss.«

Wie und wo sollte sie anfangen? Rose sah sie fragend an und wartete darauf, dass sie anfing.

»Das, was du jetzt von mir hören wirst, wird dich sicherlich schockieren, aber ich bitte dich ruhig und zu bleiben, ok?« Die leichte Panik war ihr bereits in ihrer Stimme anzuhören, was sie eigentlich vermeiden wollte.

»Um Himmels Willen Jack, so schlimm wird es schon nicht sein. Sag es doch einfach.«

Jack versuchte ruhig stehen zu bleiben, aber es gelang ihr nicht wirklich. Ständig verlagerte sie das Gewicht von einem Bein auf das andere, ehe sie langsam über ihren Schatten sprang.

»Meine Name ist zwar Jack, aber geboren wurde ich als Jacqueline. Ich bin eine Frau.«

Das war für den Anfang alles, was sie sagte. Sie ließ die Worte so im Raum stehen und beobachtete unsicher Rose, während sie Stück für Stück die Bedeutung ihrer Worte verstand.

Rose sagte allerdings kein Wort, sondern starrte sie nur erschrocken an, während Jack sich nicht traute auch nur irgendwas zu tun. »Du...bist eine Frau«, kam es schließlich von Rose, weniger als Frage sondern mehr als Versuch es erneut zu verinnerlichen.

Als Jack nickte, kam Rose etwas näher zu ihr.

»Und dir kam nicht in den Sinn mir das etwas früher zu sagen?«

»Ich wusste nicht wie und bei unserer ersten Begegnung hatte ich andere Sorgen.«

Rose schnaubte und schüttelte leicht den Kopf. Man konnte ihr ansehen, dass sie wütend war.

»Es gab etliche Augenblicke danach! Wir waren essen, wir haben getanzt...Herrgott ich habe dich geküsst! Warum hast du nie etwas gesagt?«

Jack musste nicht sehr lange darüber nachdenken. Sie hatte sich dieselbe Frage schon öfters gestellt, ob sie es ihr sagen sollte oder nicht.

»Ich hatte Angst. Ich war mir sicher dass, wenn ich es dir sage, du dich von mir distanzieren wirst und die Zeit, die ich mit dir verbringen durfte bedeutet mir zu viel um das aufs Spiel zu setzen.«

Einen Moment lang war es still. Rose musterte sie mit gemischten Gefühlen und Jack meinte einen Hauch von Enttäuschung erkannt zu haben. »Hältst du mich tatsächlich für so oberflächlich?«, fragte Rose schließlich um die erdrückende Stille zu durchbrechen.

»Nein, natürlich nicht. Aber ich denke, dass man dir gewisse Dinge beigebracht hat, die deine Entscheidungen nun einmal beeinflussen.«

»Wenn ich so Leben würde, wie Mutter das von mir erwartet, dann hätte ich Cal schon längst geheiratet und nicht versucht von diesem Schiff zu springen«, sie näherte sich Jack, legte beide Hände auf ihren Schultern und zwang sie, sie anzusehen. »Ich hätte zugelassen, dass Cal dich bezahlt und wäre nie auf den Gedanken gekommen dich noch einmal aufzusuchen.«

Rose zog Jack mehr zu sich und sprach so leise, als wären diese Worte nur für Jack bestimmt. »Ich hätte dich niemals geküsst und würde das auch nicht mehr tun.«

Sie überbrückte das letzte bisschen Distanz zwischen ihnen. Jack hielt unwillkürlich den Atem an, als sie ihre Lippen auf ihren spürte, als wäre es ein Traum, den sie nicht zerstören wollte. Der Moment ging so schnell, wie er gekommen war, fühlte sich aber für sie so an, als hätte er eine Ewigkeit gedauert.

»War das alles, was du mir sagen wolltest, oder gibt es da noch mehr, das ich wissen müsste?«, fragte Rose sie daraufhin mit einem verspielten Lächeln auf den Lippen. Jack wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war dieses Gespräch dutzende Male gedanklich durchgegangen und hatte sich verschiedene Szenarien ausgemalt, wobei die meisten negativ ausgingen, doch keines davon hätte sie sich so vorstellen können.

»Nein. Das war alles. Es tut mir wirklich leid, dass ich es dir erst jetzt gesagt habe«, kam es mit ehrlicher Reue von ihr.

»Schon gut. Ich kann verstehen, warum du Angst hattest, aber verheimliche mir in Zukunft nichts mehr. Dasselbe kannst du auch von mir erwarten.« Rose sah sie erwartungsvoll an, ehe Jack zustimmend nickte. Es war ein simples Versprechen, welches sie auch halten wollte. Erst dann entfernte sich Rose von ihr und ging durch eine offene Tür in einen anderen Raum, bis sie vor einem Tresor stehen blieb.

»Cal muss dieses grässliche Ding immer überall mit hin schleppen«, hörte sie Rose sagen, während sie am Zahlenschloss drehte, bis sie den Tresor öffnen konnte.

»Müsste der nicht jeden Augenblick hier auftauchen?« Der Gedanke ihren Verlobten wiederzusehen war alles andere als erfreulich, besonders jetzt, da sie auch noch in ihrem Wohnzimmer stand. So, wie sie Cal bisher erlebt hatte würde es garantiert eskalieren.

»Nicht solange noch genug Brandy und Zigarren da sind«, beruhigte sie Rose, als sie mit einer Schatulle wieder zurück kam, etwas aus ihr heraus holte und sie auf den nächstbesten Tisch ablegte. Rose schien sich so sicher zu sein, dass sie nichts zu befürchten hatten, dass sich Jack sogar ein bisschen sicherer fühlte.

Kurz darauf kam sie auch schon auf Jack zu und präsentierte ihr, was noch wenige Sekunden zuvor in der Schatulle war. Ein nicht gerader kleiner, herzförmiger, blauer Edelstein, der eingefasst war in Diamanten und an einer Kette hing, die ebenfalls aussah, als würde sie aus kleinen Diamanten bestehen. Jack stieß einen kurzen Pfiff aus, als sie das Schmuckstück in ihrer Hand begutachtete.

»Das ist sehr schön. Was ist das, ein Saphir?«, fragte sie und hielt das blaue Herz etwas höher, um es sich genauer anzusehen.

»Ein Diamant. Ein äußerst seltener Diamant«, antwortete ihr Rose, rückte etwas näher und sah Jack über die Schulter zu, wie sie mit dem Daumen über die glatte Fläche fuhr.

»Jack, ich möchte, dass du mich so zeichnest wie die Mädchen in Frankreich.«

Fasziniert von dem Herz, vernahm sie zwar Roses Bitte, jedoch begriff sie nicht die komplette Tragweite.

»Wenn ich das trage«, fügte Rose hinzu und sah von Jack, die noch immer den Blick nicht abgewendet hatte, zu der Kette.

»In Ordnung«, murmelte Jack daraufhin.

»Wenn ich nur das trage.«

Als sie diese Worte hörte, wandte sie sich von dem Diamanten ab und blickte daraufhin Rose direkt an. 

Behind the Veil (wlw)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt