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Roses Herz schlug so schnell, dass sie befürchtete, es würde bald einfach komplett still stehen. Ob es eine törichte Idee gewesen war einfach so vom Boot zu springen? Vielleicht. Aber sie hätte mit einer anderen Entscheidung nicht leben können. Egal welche Gefahren oder Konsequenzen es mit sich brachte, sie wollte bei Jack bleiben, sie konnte ihre Seite einfach nicht verlassen. Sie hatte es versucht und wo war sie jetzt? Inmitten von unzähligen Stufen, die sie weiter und weiter hoch schritten. Immerhin hatten sie Treppen gefunden, die sie weiter hoch führten. Ihr war kalt, sie fror, doch alles war egal, solange sie Jack bei sich hatte. Unermüdlich erklommen sie Stufe um Stufe und waren beide unglaublich froh, dass hier zumindest kein Wasser mehr in Sicht war. Rose wusste, dass sie allerdings früher oder später wieder darauf stoßen würden. Doch für eine Zeit lang, waren sie wenigstens sicher.
Sie waren auf einer Etage, wo kein Wasser mehr war. Sie musste sich zwar leicht nach vorne lehnen, weil das Schiff bereits so stark in Schräglage war, doch immerhin war hier nirgendwo Wasser in Sicht. Sie folgte Jack weiter, durch einen Saal, wo sie allerdings eine bekannte Person erblickte und stehen blieb. »Mr. Andrews!«, rief sie aus und die Eile war in ihrer Stimme zu hören. Er sollte weg von hier, schnell weiter, um sich irgendwie zu retten. Thomas Andrews war immer nett zu ihr gewesen und sie mochte ihn. Sie wollte nicht, dass ihm was passiert, aber so, wie er stehen blieb und die Uhr anstarrte, schien er sich damit abgefunden zu haben, was ihm wohl wiederfahren würde.
»Oh Rose«, er drehte sein Gesicht zu ihr, sah sie direkt an. »Wollen Sie nicht versuchen sich zu retten?«, fragte sie ihn, doch war ihr die Antwort bereits bewusst.
»Es tut mir leid, dass ich Ihnen kein stabileres Schiff gebaut habe Rose.«
»Es sinkt immer schneller, wir müssen uns beeilen«, sagte Jack, griff ihre Hand und versucht sie weg zu ziehen.
»Warten Sie«, bat Mr. Andrews, griff nach seiner eigenen Rettungsweste und übergab sie Rose. »Viel Glück Rose«, meinte er zu ihr aufrichtig. »Ihnen auch«, hörte sie sich selbst sagen, obwohl sie erkannte, wie irrelevant es war. Er hatte sich damit arrangiert, dass er es nicht lebend raus schaffen würde. Sie drückte ihn ein letztes Mal, ehe sie sich von Jack weiter ziehen ließ.
Auf dem Schiff war mittlerweile die Panik ausgebrochen. Menschen schrien, rannten umher, während das Bug der Titanic bereits vollständig unter Wasser war. Soweit es Rose sehen konnte, waren bereits alle Rettungsboote weg. Sie würden einen anderen Weg finden müssen.
Jack sah sich umher, versuchte sich irgendwie zurecht zu finden, als sie Rose an den Schultern fasste und näher zu sich zog. »Wir müssen so lange wie möglich auf dem Schiff bleiben«, sagte sie ihr, nahm sie wieder bei der Hand und zog sie zum Heck, welches erst zum Schluss versinken würde. Jack ging vor, zog Rose hinter sich und drängelte sich an den anderen Passagieren vorbei, die sich chaotisch über das Deck verteilten.
»Komm, klettere da rüber«, wies Jack sie an und half ihr dabei. Da das Schiff immer mehr in die Schräge gelang, mussten sie sich am Geländer festhalten und über Ebenen klettern, damit sie es bis zum Heck schaffen konnten. Rose musste aufpassen nicht auszurutschen und sich beim Gehen nach Vorne lehnen, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor. Was zuvor noch wirkte, als würde es länger dauern, passiert nun erschreckend schnell.
Massen an Menschen versuchten das Heck zu erreichten, klammerten sich an der Rehling oder drängelten sich durch. Andere wiederum versuchten ihr Gepäck zu sichern, hielten es über ihren Köpfen damit es nicht nass wurde, was Rose nicht nachvollziehen konnte. Ein lautes Knallen ließ Rose sich umdrehen. Die Stahlseile, die jeweils an den vier Schornsteinen befestigt waren, lösten sich und peitschten ins Wasser. Noch mehr panisches Geschrei war zu hören, als sich einer der Schornsteine abknickte, bis er irgendwann völlig abbrach und ins Wasser fiel, auf andere Passagiere, die bereits im Wasser waren. Rose blieb die Luft weg.
»Können Sie sich nicht etwas beeilen?«, drängte Jack die anderen vor sich auf der Treppe. Sie mussten da alle durch, wenn sie eine weitere Ebene vor wollten. Ihre Hand ließ Rose keinen Augenblick los.
Einige entschieden sich dafür jetzt schon ins Wasser zu springen, andere versuchten sich festzuhalten, konnten es aber nicht und fielen ins Wasser. Bei der Höhe ins Wasser zu fallen war für manche wahrscheinlich sogar der letzte Sprung. Jack ging unbeirrt weiter voran und Rose war ihr so dankbar dafür. Sie wusste nicht, ob sie selbst die nötige Konzentration in dieser Lage aufgebracht hätte um weiter zu gehen, den besten Weg zu finden an dem man sich festhalten konnte. Es fühlte sich fast so an, als versuchten sie einen Berg zu erklimmen, der immer Höher lag.
Sie hatten es geschafft. Vor ihnen war nur noch die Reling, die sich um das Heck bog und das ganze Schiff umrahmte. Einige hielten sich bereits daran fest, klammerten sich so fest sie konnten an das Metall, während sich dieser Teil der Titanic immer höher hob. Jack griff mit einem Arm um das Geländer und hielt Rose mit der anderen fest an sich. Sie drückte sich so fest an Jack, umarmte sie mit beiden Armen und genoss für einen kurzen Moment die Körperwärme, die durch die nassen Kleider nicht mehr so wahrnehmbar war wie sonst.
Sie versuchte die ganze Panik, das ganze Chaos um sich herum auszublenden. Wahrscheinlich würden sie beide sterben, darüber war sie sich im Klaren. Rose lehnte sich für einen Moment zurück und sah zu Jack hoch.
»Jack. Hier sind wir uns zum ersten Mal begegnet«, erinnerte sie sich mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie konnte es selbst kaum glauben, dass sie noch vor wenigen Tagen von diesem Schiff springen wollte und nun an derselben Stelle war, sich daran fest klammerte und mit allen Mitteln versuchen wollte nicht ins Wasser zu fallen. Jack beugte sich vor, küsste sie mit ihren kalten Lippen auf die Stirn und drückte sie wieder an sich.
Als sich das Schiff mehr und mehr in die Senkrechte begab, schlitterten einige über das Decke hinunter, knallten gegen andere Teile des Schiffes und fielen ins Wasser. Jack drehte sich mit ihr um, drückte sie gegen das Geländer und hielt sich links und rechts von ihr fest. »Ich bin bei dir, halt dich fest«, versicherte sie ihr und hüllte sie mit einem Arm ein. Sie an ihrem Rücken zu spüren war zwar einerseits beruhigend, doch andererseits hatte sie nun noch sehr viel mehr Angst, wenn sie fallen würde. Plötzlich gingen alle Lichter aus, es war dunkel um sie herum. Das einzige Licht, das sie nun noch hatten war der Mond über ihnen, der dank der wolkenlosen Nacht sichtbar war. Es knarzte und knallte noch mehr um sie herum, als das Schiff komplett entzwei brach. Die Titanic machte dabei Geräusche, als wäre das Schiff selbst lebendig und würde Schmerzen dabei haben, während das Holz und Metall sich teilte wie eine klaffende, offene Wunde.
Kaum, dass sie oben waren, fiel sie nun wieder gen Wasser. Rose schrie und hielt sich an der Reling fest, als das Schiff mit einer Geschwindigkeit auf die Wasseroberfläche sauste, die ihr für ein paar Sekunden die Luft aus den Lungen presste. Wellen schlugen hoch, als sie mit einem Knall auf das Meer trafen und für einen Augenblick wieder in der Waagerechten waren. Doch das hielt nicht lange an. Zwar war das Schiff gebrochen, doch war es nicht komplett zerteilt. Als die fast abgetrennte Hälfte nicht mehr zu sehen war und unter ging, zog es die andere Hälfte mit sich. Rose spürte, wie sich das Schiff wieder hoch hob, wie es ihr schwer fiel sich an dem Geländer zu halten und wie andere einfach los ließen und in den Tod schlitterten. »Wir müssen hier weg«, kam es plötzlich von Jack, die sie los ließ und geschickt über die Reling kletterte. »Gib mir deine Hand, ich zieh dich hoch!«, rief sie Rose zu, als sie auf der anderen Seite war. Rose zögerte. Sie hatte Angst sich nicht halten zu können, wenn sie jetzt los ließ. »Gib mir deine Hand! Na los!«, forderte Jack forscher, griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. Es war schwer und wäre bestimmt gefallen, hätte Jack sie nicht gehalten.
»Ich lass dich nicht los! Ich hab dich!«, wiederholte sie wieder und wieder, zog an ihr, bis sie ebenfalls auf der anderen Seite des Geländers war und hinab schauen konnte. Das Schiff stand aufrecht im Wasser wie ein Baum im Wald.

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Behind the Veil (wlw)
Fiksi PenggemarAls Rose das sogenannte "Schiff der Träume" betrat, hatte sie ihre Träume bereits begraben. Nicht mal im Ansatz hätte sie gedacht, dass sie auf der Titanic eine Begegnung machen würde, die ihr ganzes Leben auf den Kopf stellte: Jack Dawson. Doch hin...