Weil jeder Tag zählt

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Als Rose sie um ein Gespräch gebeten hatte, hatte sich Jack zwar gefragt, was wohl ihr Anreiz dafür war. Zwar hatte sie sich gedacht, dass es darum ging, dass sie springen wollte, doch war Rose eine Frau, die in mancher Hinsicht leicht zu durchschauen und in anderer Hinsicht ein völliges Rätsel war. Fabrizio würde ihr wohl nie glauben, dass sie zusammen mit Rose auf dem Deck saß und ihr die Hintergründe zu ihren Zeichnungen erzählte. Noch viel weniger würde er ihr abnehmen, dass ihr die Bilder der nackten Frauen gefielen, die ihr oftmals Probleme bereitet hatten, wenn andere der feinen Gesellschaft sie zu Gesicht bekamen.

»Sie haben Talent Jack, ganz ehrlich. Sie sehen die Menschen.«

Sie sprach zu ihr in einem anderen Tonfall als noch vor ein paar Minuten, was Jack aufgefallen war. Scheinbar war sie zu ihr durchgedrungen, was ihr vielleicht die Möglichkeit gab etwas mehr über sie herauszufinden.

»Ich sehe Sie.«

»Und?«, fragte Rose nach, wohl in der Erwartung eines Kompliments.

»Sie wären nicht gesprungen.«

Ihr Lächeln verschwand langsam von ihren Lippen, als sie wieder an jene Situation erinnert wurde. Doch es steckte noch etwas mehr hinter ihrem erschrockenen Gesichtsausdruck, was vielleicht der Tatsache geschuldet war, dass Jack sie in dieser Hinsicht durchschaut, oder vielmehr auch verstanden hatte.

Sie merkte, dass sich Rose schwer damit tat auf ihre Aussage zu reagieren und wollte es ihr ersparen. Jack wollte nicht gehen und sie wollte Rose auch nicht gehen lassen, weswegen sie kurzerhand aufstand, sachte nach ihrer Hand griff und sie ebenfalls auf die Beine zog. Obwohl sie sich kaum kannten waren sie sich auch nicht fremd, jedenfalls nicht, wenn man Jack fragte. Ihrer Ansicht nach, hatte sich Rose ihr gegenüber geöffnet und auch wenn sie selbst keine Hemmungen hatte über sich zu reden, hätte sie nicht jedem das erzählt, was sie Rose erzählt hatte. Auch, wenn es da ein Geheimnis gab, welches sie noch sehr hütete.

»Kommen Sie. Wir gehen ein Stück und vielleicht wollen Sie mir ja etwas über sich erzählen.« Sie hatte zwar schon erfahren, dass ihr eine Hochzeit mit einem Mann, den sie ganz offenbar nicht liebte, bevorstand, doch es gab sicher noch andere Dinge über sie, die nicht ganz so deprimierend waren.

Nachdem sie mehr Zeit miteinander verbracht hatten, als beiden klar war, standen sie nebeneinander an einem Geländer gelehnt, eine Etage über dem Hauptdeck und sahen den Sonnenuntergang. Jack war nicht wirklich bewusst gewesen, dass sie den gesamten Nachmittag miteinander verbracht und einfach nur geredet hatten, doch sie würde sich auch sicher nicht beschweren. Sie mochte ihre Nähe, wahrscheinlich mehr als sie sollte.

»Wieso kann ich nicht wie Sie sein Jack? Einfach auf den Horizont zugehen, wann immer mir danach ist.« Es war selten vorgekommen, dass sich jemand wünschte so zu leben wie sie. Jack war nie jemand gewesen, der sich Sorgen um ihre Zukunft machte. Sie nahm das Leben wie es kam, einen Tag nach dem anderen. Mit dieser Lebenseinstellung wurde man bestimmt kein Vorstandsvorsitzender, aber man konnte ein freies Leben führen, was sich Rose wohl sehr wünschte.

»Warum fahren wir mal nicht gemeinsam fort und sei es drum, dass wir nur darüber reden«, schlug Rose vor und verblüffte Jack damit. Es war erstaunlich gewesen, wie sehr sie sich ihr Verhalten ihr gegenüber geändert hatte. Rose war zeitweise so angespannt und darauf bedacht gewesen sich adäquat richtig und affektkontrolliert zu verhalten und jetzt sprach sie von Träumereien und Ausflügen, die sie gern gemeinsam erleben wollte.

»Nein wir werden es machen. Wir trinken Bier, wir fahren mit der Achterbahn bis uns schlecht wird und wir mieten uns ein paar Pferde und reiten am Strand. Sie müssen dann aber auch wie ein richtiger Cowboy reiten, vergessen Sie diesen Damensattel.«

Behind the Veil (wlw)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt