Die Zeit drängt

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»Hierher, mein Sohn«, wies sie der Bootsmann an, als er Jack an einem Heizungsrohr fesselte. Wie sollte sie da wieder raus kommen? Ob Rose ihr geglaubt hatte? Rose...sie musste sie unbedingt finden und mit ihr reden. »Sir! Sie werden im Büro des Zahlmeisters gebraucht, dort gibt es Probleme«, kam es hektisch von einem Crewmitglied. Bevor der Bootsmann noch etwas sagen konnte, mischte sich Lovejoy ein. »Gehen Sie ruhig, ich kümmere mich um ihn«, sagte er und zog seine Waffe. Jack wurde nervös. Mit Lovejoy allein in diesem Zimmer zu bleiben, sie gefesselt an einem Rohr...ihre Chancen sahen nicht wirklich gut aus.

»Aye. In Ordnung«, kam es vom Bootsmann nach kurzem Zögern. Er verließ mit dem anderen das Zimmer, übergab Lovejoy die Schlüssel für die Handschellen und ließ Jack mit ihm alleine zurück.


»Ladies und Gentlemen, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Treten Sie bitte hier rüber! Kommen Sie zu mir! Ich danke Ihnen, gut. Für den Augenblick bitte ich lediglich die Frauen und Kinder vorzutreten.« Rose sah sich draußen auf Deck um. Noch war kein Anzeichen von Panik in der Luft, allerdings befanden sich auch nur Passagiere der ersten Klasse hier und wurden in die Rettungsboote einquartiert. Die Frauen und Kinder traten vor und setzten sich in das Rettungsboot, während die Musiker den Hochzeitstanz spielten.

Die Rettungsboote wurden langsam gefüllt und vorsichtig dank eines Flaschenzugs mit Seilen herab gelassen. Plötzlich schoss eine Rakete in die Luft, welche den ganzen dunklen Nachthimmel erhellte.


Jack sagte kein Wort, als Lovejoy das Magazin seiner Waffe heraus nahm, sich eine Patrone griff und diese auf dem Schreibtisch neben ihm abstellte. Sofort rollte die Patrone zur anderen Seite in Lovejoys Hand. Das Schiff befand sich also schon in Schräglage, so viel war offensichtlich. Lovejoy ließ die Patrone noch ein paar Mal über den Tisch rollen, ehe er sie wieder in die Hand nahm und ins Magazin beförderte. »Weißt du, ich gehe davon aus, dass dieses Schiff sinken wird«, sagte Lovejoy, stand auf und ging langsam auf sie zu. »Man hat mich gebeten dir dieses kleine Zeichen unserer Anerkennung zu übermitteln.« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, hielt sie beinahe schon fest und boxte seine Faust so fest gegen ihren Bauch, dass sie sofort in die Knie sackte. »Mit den besten Empfehlungen von Mr. Caledon Hockley.« Jack versuchte mit tiefen Atemzügen den Schmerz zu überwinden, der durch ihren ganzen Körper pulsierte. Lovejoy entfernte sich wieder von ihr, steckte sich den Schlüssel in die Manteltasche und ließ sie allein zurück.


»Komm schon, Kleines. Du hast den Mann gehört, rein ins Boot.« Mrs. Brown ging sicher, dass alle Damen um sie herum vor ihr ins Boot steigen konnte, ehe sie selbst hinein ging. Cal hingegen, der neben Rose stand, wandte sich an das Crewmitglied im Rettungsboot. »Ist hier auch Platz für einen Gentleman?«

»Im Moment nur Frauen und Kinder, Sir«, kam es sofort zurück. Rose stand wie versteinert da. Sie sah die Rettung vor sich, wollte diese aber nicht ohne Jack ergreifen. »Sind die Rettungsboote nach Klassen unterteilt?«, fragte plötzlich ihre Mutter, die sich dann zu Rose umdrehte. »Ich hoffe nur, dass sie nicht zu voll sind«, fügte sie lächelnd hinzu und legte sich bei dem Gedanken die Hand auf die Brust, als würde es allein durch die Vorstellung empört sein.

»Oh Mutter. Halt den Mund! Begreifst du denn nicht?« Rose packte sich ihre Mutter, als wollte sie sich wach schütteln. »Das Wasser ist eisig kalt und es gibt nicht genug Boote! Nicht mal annährend!« Sie sah sich kurz um und sprach dann etwas ruhiger. »Die Hälfte der Menschen an Bord hier wird ertrinken.«

»Nicht die bessere Hälfte«, fügte Cal neutral hinzu. Entsetzt sah Rose zu Cal, als wäre sie sich nicht sicher, ob er das wirklich gerade gesagt hatte, ehe die markante Stimme von Mrs. Brown die kurze Stille, die zwischen ihnen dreien herrschte, durchbrach. »Ruth, steigen Sie ein ins Boot!« Ihre Mutter folgte, noch immer geschockt über die Tatsache, die ihr ihre Tochter gerade vermittelt hatte, ins Boot. »Dummerweise habe ich die Zeichnung nicht dabei. Die wäre morgen früh eine Menge wert«, sagte Cal mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, als er sich wieder Rose näherte.

Behind the Veil (wlw)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt