Neuanfang

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Jack konnte ihr Glück kaum fassen. Sehr viel länger hätte sie es nicht mehr überlebt, sie war sich nicht einmal sicher, ob sie es ohne Rose überhaupt geschafft hätte. Neben ihnen beiden, konnten sie noch vier weitere Passagiere aus dem Wasser retten, die gerade so am Leben waren. Jack hatte sich mit Rose zusammen in eine Decke eingewickelt, damit die anderen gerecht aufgeteilt werden konnten. Die Nacht über in diesem Boot zu verbringen war unangenehm und kalt, doch immerhin konnte sie sich nun sicher sein, dass Rose überleben würde. Mit ihr zusammen.

Sie ruderten langsam in Richtung der anderen Rettungsboote, weg von den unzähligen Verstorbenen, die im Wasser dahin trieben. Jetzt konnten sie nur noch warten, dass man sie fand und, dass eines der umliegenden Schiffe rechtzeitig auf den Notruf der Titanic gehört hatte.

»Wie fühlst du dich?«, fragte sie Rose am nächsten Morgen, die an ihr angelehnt eingeschlafen war. Ein sanftes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. Nach dem Grauen, das sie überlebt hatten, würde sie jeden Moment mit Rose auskosten. Verschlafen bewegte sie ihren Kopf, brachte sich ein eine bequeme Position, hob ihn allerdings von ihrer Schulter runter.

»Besser. Es ist immer noch kalt, aber sehr viel besser«, murmelte sie leise und schloss die Augen wieder. Jack hatte einen Arm um ihre Hüften gelegt, die Decke fest um sie beide geschlungen. Sie erlaubte sich selbst noch etwas zu schlafen. Wie lange es noch dauern würde, bis man sie fand, konnte keiner von ihnen sagen und wenn sie sich dem Schlaf hin gab, konnte sie sich wenigstens einreden, dass es so schneller ging.

Als es etwas unruhig wurde, kam Jack wieder zu sich. Sie hatte kein Gefühl mehr dafür, wie viel Zeit vergangen war, doch was sie vor sich sah brachte sie zum Lächeln. »Rose, wach auf«, sagte sie ruhig, streichelte ihr sachte über den Rücken um sie zu wecken. »Das Schiff ist da, wir kommen endlich wieder an Deck.«

Die Carpathia war wenige Meter von ihnen entfernt, umringt von den restlichen Rettungsbooten, die nach und nach aufgenommen wurden.

Sie würde später Rose fragen müssen, wie sie mit ihrer Mutter umgehen wollte. Bisher war sie noch nicht dazu gekommen mit ihr darüber zu sprechen. Ob Cal es tatsächlich überlebt hatte, wusste sie auch nicht.

Die Überlebenden wurden nacheinander aufgenommen und nach Klassen unterteilt, wohl um die Zuordnung zu erleichtern, doch dessen war sich Jack nicht sicher. Allerdings war sie auch noch zu erschöpft um sich darüber aufzuregen und so kam es ihnen wenigstens in der Hinsicht zu Gute, dass sie sich nicht um Cal oder Roses Mutter Gedanken machen mussten, da die sowieso in einem anderen Bereich unterkommen würden.

Überall auf dem Deck saßen vereinzelte Menschen auf dem Boden, eingewickelt in Decken, während das Personal mit heißem Tee ausgestattet war um die Leute zu wärmen. Rose hatte ihre Seite für keinen Moment verlassen, was Jack immer wieder zum Lächeln brachte. »Willst du nach deiner Mutter sehen?«, fragte sie sie.

Rose musste nicht lange überlegen, um darauf zu antworten. Diese Frage hatte sie sich scheinbar selbst schon oft gestellt. »Nein. Sie wird mich nur dazu bringen wollen Cal zu heiraten, sollte er es überlebt haben und wenn nicht, wird sie mich an den nächstbesten reichen Mann verschachern um sich selbst zu retten. Ich habe damit abgeschlossen und möchte endlich mein eigenes Leben beginnen«, sagte sie und schmiegte sich wieder an sie. »Mit dir.«

Kein Tee der Welt konnte in ihr so ein warmes Gefühl auslösen wie es Rose gerade getan hatte. Damit war zumindest klar, wie sie weiter vorgehen würden. Sich möglichst verstecken, nicht unter Leute gehen und definitiv nicht den Bereich der ersten Klasse betreten.

»Jack?«

Als sie eine bekannte Stimme hörte, drehte sie sich um und lächelte breit, als sie ihren Freund sah. »Fabrizio!« Ohne zu zögern stand sie auf und schloss ihn in die Arme. Sie hatte schon gedacht, dass sie ihn nie wieder sehen würde, doch scheinbar hatte er nicht weniger Glück gehabt wie sie beide. Fabrizio setzte sich zu ihnen, erzählte, wie er es auf eines der Boote geschafft hatte und dass Tommy an Deck erschossen wurde. Es tat weh, das zu hören, doch bei der Anzahl an Verstorbenen war es ein Wunder, dass sie ihren Freund nicht verloren hatte.

Als sie aus dem Augenwinkel heraus eine andere ihr bekannte Person sah, duckte sie sich schnell und Zog die Decke soweit über ihren und Roses Kopf, dass man sie von hinten nicht erkannte. »Cal ist hier«, flüsterte sie Rose zu. Er hatte es also tatsächlich geschafft sich zu retten. Eigentlich sollte es sie nicht wundern. Nachdem er sie mit einer Pistole gejagt hatte, hatte er noch ausreichend Zeit um sich einen Platz in einem der Boote zu ergaunern.

Jack und Rose hielten sich bedeckt, wichen seinem suchenden Blick aus und schafften es unerkannt zu bleiben. So würden sie sich während der restlichen Fahrt nach Amerika ebenfalls verhalten müssen, um ihm zu entgehen.

Als Rose die Hände in die Manteltaschen vergrub, verharrte sie kurz und sah Jack überrascht an. »Was ist?«, fragte sie sie und erblickte ein breites Lächeln auf ihren Lippen, als sie ihre Hand wieder hervor zog und das Herz des Ozeans in der Hand hielt. »Cal muss ihn in seinem Mantel verstaut und vergessen haben, als er mir den Mantel umgelegt hat.« Jack fuhr mit ihren Fingern über den makellosen Saphir. »Rose...dieser Klunker ist doch unfassbar viel wert. Wenn wir ihn irgendwann verkaufen können wir mit dem Geld ohne Probleme einen Neuanfang machen«, dachte sie laut nach und konnte nicht mehr aufhören zu grinsen. So gesehen hatte sie Cal für die paar Schüsse für eine lange Zeit entschädigt.

Bis sie New York erreichten, verging nicht sehr viel Zeit. Sie hatten die Tage damit verbracht zu verarbeiten, was geschehen war, auch wenn sie das noch lange verfolgen würde. Sie bekamen neue Sachen zum Anziehen und wurden in eine Liste der Überlebenden aufgenommen, wofür sie beide jeweils unterschiedliche Namen aufgeben mussten, damit weder Cal noch Ruth sie darauf finden würden.

Im Hafen von New York standen sie beide an Deck und sahen zur Freiheitsstatue hoch. Jack war wieder zu Hause in Amerika, doch fühlte es sich diesmal sehr viel besser an als früher. »Ich liebe dich übrigens auch«, sagte sie gespielt beiläufig, als sie zu Rose sah, die in Gedanken verloren wirkte. Nachdem sie das gehört hatte wandte sie sich Jack zu und lächelte sie an.

»Als wir auf dieser Holztür lagen und du dich verabschieden wolltest habe ich mich geweigert darauf einzugehen, aber jetzt ist der passende Zeitpunkt dafür«, versicherte sie ihr.

»Du wartest scheinbar immer gern ein bisschen zu lang, um mir wichtige Dinge mitzuteilen«, zog sie sie auf und lehnte sich lächelnd zu ihr, um sie zu küssen. »Ich werde mich bemühen das zu ändern«, gab sie schmunzelnd zurück, doch wusste sie bereits, dass Rose es ihr nicht übel nahm. Sie hatte noch viel Zeit vor sich, um ihr die wichtigen Dinge rechtzeitig mitzuteilen, da sie nicht vor hatte ihre Leben ohne sie zu verbringen und so, wie Rose sie in dem Moment ansah, wusste sie, dass ihr genau derselbe Gedanke durch den Kopf ging.

Behind the Veil (wlw)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt