Kapitel 13

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Ich war seid Sonnenaufgang auf den Beinen, Mara, zwei andere Frauen und Ich waren seid geschätzten fünf Stunden schon unterwegs. Mara bräuchte Heilkräuter, und die würden nur oben an der Klippe wachsen. Wir hatten bereits die Baumgrenze überschritten und die Pflanzen wurden immer mikriger, ich war gespannt, was Mara noch pflücken wollte.

Endlich. Ich sah den Horizont. Dann war da nichts, die Erde fiel zweihundert Meter in die Tiefe. Unten rauschte ein Fluss, dann erstreckten sie unendliche Weiten. Die Wolken hingen ziemlich tief, das bedeutete Regen, den der Boden schon lange nötig hat. Wenn die Wolken nicht im Weg wären, dann könnte man locker ein paar Kilometer gucken und ich hätte schon längst ausmachen können, ob in dieser Richtung die Stadt liegen könnte.

Vor dem Krieg war ganz Nordamerika in Staaten unterteilt- Jetzt waren es riesige Städte. Meine Stadt war dort, wo früher 'Charleston' in West Virginia war.

Dieser Tag war ganz sicherlich nicht zufällig ausgewählt worden, um die Kräuter zu pflücken. Hätte ich freie Sicht gehabt, dann hätte ich sicherlich die nächste Stadt gesehen.

Vor dem Krieg hatte es hier ein Nordamerika gegeben, das in Staaten unterteilt war. Meine Stadt war dort, wo früher 'Charleston' in West Virginia war. Damals hatte Charleston weit unter 50.000 Einwohner, heute weit mehr als drei Millionen. Die Dokumente die besagen, warum der Krieg ausgebrochen war, existierten nicht mehr. Heute hatten Städte keine Namen, da jede unabhängig voneinander war. Igendwo an der Westküste gibt es eine zwanzig Millionen Stadt, aber mehr wusste ich auch nicht . Die Bezeichnungen für die Gebirge und Flüsse waren geblieben, also rechnete ich, dass wir uns auf dem Alleghenygebirge befanden. Ich hatte wieder den Hauch einer Orientierung. Es stellte sich nur eine Frage, nachdem mir klar wurde, dass die Wasters mit mir weitergezogen waren, als ich ausgeknockt war: Wie viele Tage hatte ich geschlafen? Wie lange hatten sie Zeit, um weiterzulaufen? Wie viele Kilometer hatten sie geschafft?

,,Liv! Helf gefälligst mit und lass nicht andere die Arbeit machen!" rief Mara und schnell ging ich zu ihr. ,,Also, so viele Pflanzen gibt es ja hier nicht, pflücke die hier:" Mara hielt mir eine grüne, kleine Pflanze vor die Augen, die Klee ziemlich ähnelte. ,,Such die Klippe weiter oben ab, von hier aus kannst du eh nicht abhauen." Sie seufzte einmal tief, dann kniete sie sich wieder hin und suchte weiter.
Ich ging am Rand der Klippe weiter nach oben und hatte den Rand des kleinen Beutels nicht mal ein Drittel gefüllt, als mich ein leises Schluchtzen aufschauen ließ.
Etwa fünfzig Meter vor mir saß ein Mädchen, sie ließ ihre Beine über die scharfe Felskanten baumeln und schaute in die Ferne während sie unkontrolliert zitterte und weinte.
,,Hey, erschreck dich nicht. Ich bin unbewaffnet" rief ich laut und das Mädchen zuckte zusammen, ehe es zu mir sah.
,,Bitte tu mir nichts!" Sie kroch so schnell es ging von der Kante weg, rappelte sich auf und rannte auf einmal los. Ich schnitt ihr mühelos den Weg ab, warum ich sie aufhielt? Keine Ahnung.

,,Warum hast du es denn so eilig?" fragte ich sie. Sie war etwas kleiner als ich, ihre dunkleblonde, glatte Haare fielen ihr gerade so bis auf die Schultern und sie hatte ein sehr kindliches Gesicht. Ihre schmächtige Figur steckte in abgewetzten Kleidern.

,,Me- Meine Leute wurden überfallen. Wir- wir waren nur fünfzehn Stück und wir waren zu wenige. Ich- ich bin gelaufen, Tag und Nacht." ,,Waren es Was- ähm Citizens?" Ich werde mich wohl nie an den Namen gewöhnen können. ,,Nein. Aber sie hatten Waffen. Ich- Ich habe schrecklichen Durst."

,,Komm mit. Ich denke, das geht klar. Wie heißt du?" ,,Mina." ,,Ich bin Liv. und die Frau davorne ist Mara." Mina ging einen Schritt hinter mir und schwieg, als ich sie Mara vorstellte.

,,Das geht nicht. Wir können nicht noch einen durchfüttern." sagte sie schließlich und gab sich wieder dem Kräuter sammeln hin. ,,Mara, ich möchte nicht unhöflich sein, aber können wir sie nicht mitnehmen?" Ist das Mitleid? Empfindest du gerade Mitlied mit Mina? Was ist aus dir nur geworden, Valerie? ,,Dann musst du für sie Sorgen. Plane für einen weiteren Kopf mit ein, dann kann sie mit. Wir können uns jetzt auch schon auf den Rückweg machen." meinte Mara ohne Mina eines weiteren Blickes zu bedenken.

Mina sah mich erleichtert an und lächelte, ich musterte sie. ,,Liv, das ist wirklich... Da-" ,,Spar's dir. Ist okay. Ich hoffe, du bist gut zu Fuß." unterbrach ich sie eisig und schob den Beutel meinen Arm hoch.

Den ganzen Weg über sprach mal wieder keiner ein Wort und auch Mina starrte angestrengt zu Boden. Der Rückweg war viel schneller hinter uns gebracht, als ich gedacht hätte und wir schafften es noch vor Sonnenuntergang zurück ins Camp.

,,Und wie hast du dir das vorgestellt?!" rief Tyler aufgebracht, als ich mit einer satten Mina das Zelt betrat und ihm ihre Geschichte erzählte. ,,Liv, ich werde jetzt gehen, du hast schon ge-" ,,Nichts da, du bleibst!" zischte ich ihr zu. ,,Wird Zeit, das mal wenigstens einer unseren Sturkopf die Stirn bietet." ,,Wie hast du mich gerade genannt?" ,,Sturkopf, aber glaube mir, mir fallen noch tausende andere Beleidigungen ein, die auf dich zutreffen!" ich tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. ,,Du kannst nicht über alles und jeden bestimmen. So läuft das nicht, Tyler." ,,Ich kann sehr wohl über alles und jeden bestimmen. Du hast hier nicht die Regeln zu machen, Mädchen." Das reichte. Er sprach Mädchen eine Beleidigung aus und da platzte mir der Kragen. 

Ich schlug ihm mit der Handfläche auf die Wange, sodass es im Zelt wiederhallte. ,,Und, traust du dich auch Mädchen zu schlagen, du Möchtegern Macker?" Er grinste mich gefährlich an, sodass mich eine Gänsehaut überlief. ,,Ich schlage keine Mädchen. Aber du bist auch keines. Du fällst eher in die Kategorie: Aufmüpfiges Kleinkind, das hier neu hin kommt und meint, es könne von Grund auf die Regeln ändern." ,,Hier hin kommen? Hast du Lack getrunken oder was? Ist ja nicht so, als wäre ich nicht freiwillig hier, denn das bin ich weiß Gott nicht. Und damit das klar ist: Mina bleibt." Ich wandte mich zum Gehen. ,,Hat das Kleinkind etwa sowas wie Herz gezeigt?" fragte er mich in Babystimme. ,,Leck mich, Tyler." ,,Glaub mir, irgendwann werde ich das."

Ich zeigte ihm den Mittelfinger über meinen Rücken hinweg und ging aus dem Zelt, vor dem ich Mina wiedertraf.

,,Er mag dich." ,,Tut er nicht." ,,Bitte, das sieht sogar ein Blinder mit 'nem Krückstock." ,,Zeig mir einen Blinden mit nem Krückstock, der nach so einem Gespräch sagt: Tyler mag dich." Ich atmete tief durch.

Ein paar Tage, dann bin ich weg. Ein paar Tage. Nur noch. Ein paar Tage, die noch alles ändern können.

Der Anfang des EndesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt