Um sechs Uhr morgens übernahm ich jeden Morgen meine Schicht. Ja, es war eine 'Schicht', genauso wie es eine 'Arbeit' war, Miller auf Schritt und Tritt zu folgen und darauf zu achten, dass ihm keine Leute zu nahe kamen.
Die erste Woche war nur eine 'Testwoche', in der ich mich einarbeiten konnte. Ich übernahm die Schicht zusammen mit Luke, von sechs und morgens bis zwei Uhr nachmittags. Miller war ziemlich umgänglich und eigentlich in einer gewissen Weise nett, allerdings wurden wir bis jetzt in rein gar nichts eingeweiht, keine Geheimnisse oder Pläne wurden in den Meetings, auf die wir am Vormittag mitmussten, besprochen, aber das konnte ich jetzt auch noch nicht verlangen, denn man musste ja auch erstmal sehen, welches Personal wirklich geeignet ist, aber ich schätzte meine Chancen relativ gut ein.
In der Kaserne bekam ich ein eigenes Quatier, denn die Schule stand mir weiterhin zur Vefügung und ich durfte auch noch die Kurse besuchen, wobei ich allerdings darauf achtete, nicht allzu oft Tyler über den Weg zu laufen. Auf mein tägliches Training konnte und wollte ich jedoch nicht verzichten, deswegen nahm ich die Ausbildungsstunden noch zusätzlich.
Wie besprochen, unternahmen Tyler und ich dieses Wochende eine kleine Tour an der Mauer entlang. Okay. Tyler und ich. Ich und Tyler.
Samstagmorgen knöpfte ich sorgfältig meine Uniform zu und hing den Offiziersstern gerade an, dann schnürrte ich meine Stiefel und packte in den kleinen Rucksack Proviant und ein paar Messer.
***Tylers P.o.V***
Ich schirmte mit den Händen die Sonne ab, während ich ungeduldig an dem Tor wartete. Valerie bog um die Ecke und kniff die Augen zusammen. Sie war auf jeden Fall respekteinflößend. Und irgendwie wirkte sie viel älter als siebzehn. Ich winkte kurz aber verkniff mir ein Grinsen.
,,Na dann mal los." meinte sie, als sie bei mir ankam und hielt mir denn Schlüssel von einem der Trucks vor die Nase, doch ehe ich ihn greifen konnte, zog sie ihn wieder weg.
,,Nichts da, ich fahre." rief sie und schlug den Weg zum Parkplatz ein. ,,Ganz sicher nicht. Hast du überhaupt einen Führerschein?" fragte ich, doch bekam keine Antwort. War ja klar.Meine Fingerknöchel traten schon weiß hervor, als ich mich an dem Griff festklammerte, der in der Tür eingelassen war. Sie fuhr wie eine Besenkte und mein Magen hob und senkte sich, als sie aus Spaß Schlagenlinien auf der breiten Landstraße fuhr. Etwa eine Stunde hatte ich versucht sie zu überzeugen, mich fahren zu lassen, aber offenbar hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, so zu tun, als würde ich nicht da sein.
Der Straßenbelag änderte sich von Asphalt in Splitt und Valerie drosselte endlich das Tempo, als wir in das Sichtfeld der Wachen kamen, die vor- und auf der Mauer postiert waren.Aus den Augenwinkeln beobachtete ich sie, genauso wie sie mich beobachtete, wenn ich nicht hinschaute. Es war wie ein Katz und Maus Spiel. Blieb nur die Frage, wer die Maus ist. Mit einem Ruck stellte sie den Wagen am Rand ab und schlug die Tür hinter sich zu, sodass der ganze Truck dröhnte.
Wie ich es hasste, wenn ich Leuten hinterher laufen musste. Aber sie war nunmal die Rang Höhere, die das recht hatte, nach den Geschehnissen zu fragen. Die Wachen salutierten höflich vor ihr. ,,Im Namen der Republik." sagte sie laut und die Wörter klagen einfach nur kalt und rau, sodass keiner wagen würde, zu wiedersprechen. ,,Gibt es besondere Vorkomnisse an der Nordmauer?" ,,Es wurden ein paar der Außenlebenden am Waldrand gesichtet, Ma'am." erklärte einer. ,,Unbewaffnet?!" ,,Soweit wir erkannt haben, schon, Ma'am. Kaum haben wir die gesehen, waren sie auch wieder weg. Wir haben es natürlich trotzdem gemeldet, Ma'am." ,,Sehr gut. Vielen Dank." nickte Valerie und die Patrouille salutierte eifrig. ,,Wir haben zu danken, Ma'am." schleimte der Eine noch, ehe wir uns auf den Weg zum Truck machten.
,,Das ging ja leichter als gedacht." meinte ich leise, als ich einen Schritt zulegte, um vor ihr an der Fahrertür zu sein, doch sie packte mich am Handgelenk. ,,Vergiss nicht, wer die Schlüssel hat." feixte sie und klopfte sich auf die Hosentasche. ,,Ich kann nicht mit dir fahren, sonst muss ich mich übergeben, bei deinen... Nennen wir es 'Fahrkünsten'." versuchte ich, sie in eine kleine Streiterei zu verwickeln. Vor zwei Wochen hätte es mich angenervt, mich mit ihr herumschlagen zu müssen, aber jetzt wünschte ich mir nichts weniger, als wieder mit ihr zu diskutieren.
Sie wirkte manchmal meilenweit weg, aber höchst wahrscheinlich galten ihre Gedanken nicht mir, sondern dieser 'Mission' oder wie es eher heißen sollte: 'Verhinderung eines Krieges, in der das Militär zu Supersoldaten wird und den Kontinent erobern will'.
Verdammt, hatte ich schon gesagt, dass diese Uniform an Valerie echt heiß aussah?
***Valerie P.o.V***
Ich spürte die ganze Zeit seinen stechenden Blick auf mir. Es war ein Fehler, mit ihm zu fahren, denn der Drang, mit ihm zu reden, ihn zu berühren, war übermächtig. Als ich, schon fast aus Reflex, sein Handgelenk gepackt hatte, prickelte mein ganzer Arm. Das war einfach nur schwachsinnig und naiv.
Zu gerne wollte ich die Information, die uns der Wächter gegeben hatte, sorgfältig in meinem Gehirn einspeichern, aber es wurde einfach wieder durch diese unnötigen 'Tyler-Gedanken' überlagert. Wieso habe ich mich nur zu dem Kuss hinleiten lassen? Das brachte mich alles völlig durcheinander.
Ich startete den Motor und war froh, das Gaspedal einfach durchdrücken zu können, auf dieser Straße zumindest. Auf allen Wegen, die von der Mauer aus gingen, herrschten keine Geschwindigkeitsbegrenzungen, Gott sei Dank.
,,Wie weit sind es zu dem größten Stützpunkt an der Ostmauer?" durchbrach Tyler die Stille und kurbelte das Fenster bis zum Anschlag nach unten. ,,Wenn wir das Tempo halten, etwa zwei Stunden." ,,Wir haben doch Zeit, kannst du dann nicht ein bisschen langsamer fahren?" mir gefiel es, dass ich etwas herausgefunden hatte, womit ich ihn aufziehen konnte. Das er ausgerechnet die Geschwindigkeit nicht abkonnte, wunderte mich schon ein bisschen. Es passte irgendwie nicht zu ihm. ,,Val, es bringt nichts, wenn du auf einmal nicht mehr mit mir redest. Wir können die Sache von mir aus vergessen, aber bitte antworte mir wenigstens auf einfache Fragen." verlangte er und seine Stimme klang ziemlich eisig, was mir ein umwohliges Gefühl in der Magengegend bereitete.
Von mir aus können wir die Sache vergessen. Wenn das nur so einfach wäre. Wieso konnte ich die Geschehnisse meiner Vergangenheit so gut unter den Teppich kehren, aber einen Kuss nicht? ,,Gut, ich versuch's. Ich will nicht langsamer fahren, weil wir dann die ganze Sache noch mehr in die Länge ziehen." ,,Wenigstens eine ehrliche Antwort." murmelte er und ließ einen Arm aus dem Fenster hängen.

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Der Anfang des Endes
RomansaValerie ist Soldatin und als einziges Mädchen bei der Bundeswehr, so beschützt sie die Einwohner ihrer Stadt, die trotz der hohen Mauer immer wieder Angriffe der Außenlebenden erfahren müssen. Ihre Familie ist bei einem Angriff brutal ermordet worde...