Kapitel 18

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Die vier Messer steckten genau in der Mitte jedes Kreidekreuzes. Ich hatte es also ganz und gar nicht verlernt. Messer waren immer schon meine Lieblingswaffen gewesen. Tyler hatte es auch ziemlich drauf, aber nicht ganz so gut wie ich.

Jetzt bestand er darauf, dass ich mit seinem Bogen schoss. Wir hatten zwar auch Training damit gehabt, aber nur ein halbes Jahr und nicht so intensiv, also legte ich einen Pfeil an die Sehne und spannte sie. Ich kniff ein Auge zu und viesierte das oberste Kreuz an, dann ließ ich los.

Der Pfeil schlug etwa zehn Zentimeter darüber ein. ,,Tja, das war wohl nichts. Wäre das Kreuz ein Kopf gewesen, dann wäre der Pfeil jetzt weg." ,,Das weiß ich selbst!" zischte ich und Tyler hob die Hände. Ich legte noch einen Pfeil ein, der das Kreuz ganz knapp verfehlte, beim Nächsten traf ich immerhin die rote Linie.

***Tylers P.o.V***

Dieses Mädchen war beeindruckend. Da hatte die Regierung wirklich etwas nahezu Perfektes ausgebildet, und die Regierung wollte es auch wahrscheinlich so schnell wie möglich wieder zurück haben.

Ich konnte nicht aufhören, sie zu beobachten, denn nichts, wirklich nichts schloss auf ihre Persönlichkeit zurück. Sie war kalt, ließ nichts auf sich sitzen und tat sich ziemlich schwer mit Freundschaften. Das war's auch schon. Aber es musste etwas geben, was dafür verantwortlich war und ich wollte es herausfinden, denn irgendwie wollte ich ihr vertrauen können und anders herum natürlich ihr Vertrauen gewinnen.

Ich sah zu, wie sich ihre Muskeln unter dem schwarzen Tanktop spannten, wenn sie die Sehne anzog. Um nichts auf der Welt wollte sie ihre halbhohen Springerstiefel weggeben, genauso wenig wie ihre Cargohosen, außer wenn gerade Waschtag war, dann trug sie eine abgeschnittene Jeans von Mary.

Ihre dunklen Haare bewegten sich im Zopf hin und her, wenn sie sich aufregte, dass sie wieder daneben gertroffen hatte. ,,Komm, ich zeig's dir nochmal." setzte ich an. ,,Nein! Ich kann das schon, wenn du mir ein bisschen Zeit lassen würdest." unterbrach sie mich und bedachte mich mit einem kalten Blick aus ihren blauen Augen.

Zeit, Zeit brauchen wir doch alle. Ich wusste, dass ich bald heiraten musste, damit ich den Stamm ganz anführen konnte. Paul musste seine Stelle bald abgeben, denn er war nicht mehr ganz so in Form. Er war zwar mein Vater, aber ich habe ihn immer mehr als ''Mitmensch'' angesehen.

Er drängte mich manchmal dazu, mir jetzt endlich ein Mädchen auszusuchen, mit dem ich dann Kinder kriegen sollte. Die Wahl war eigentlich ganz leicht, ich hätte nur den Namen ''Mary'' sagen müssen und schon war alles geregelt.

Die freundliche, hübsche Mary hätte ich genommen, wenn Valerie nicht hier wäre. Ich wollte Valerie zwar nicht zur Frau nehmen (Denn mit so einem Kotzbrocken könnte ich auf keinen Fall mein Leben verbringen), aber sie reitzte mich mehr, als Mary, die sich mir schon die ganze Zeit an den Hals schmiss.

Außerdem würde Valerie nicht einfach so abhauen können, denn wir waren in den fünf Tagen fast 170 Kilometer weit gelaufen und sie wusste nicht mal annähernd ich welche Richtung ihre Stadt lag.

Ich trat hinter sie und führte mit meinen Händen die ihren. Sie roch nach Wald, nach frischer Luft und ein bisschen nach Schweiß, was mir aber nicht das geringste ausmachte. Valerie seuftzte genervt, als ich ihr half, aber sie ließ es immerhin zu, womit ich schon fast nicht gerechnet hätte. Der Pfeil schlug genau in den Mittelpunkt des Kreuzes ein und ich grinste sie an.

,,Habt ihr Gewehre oder Pistolen?" fragte sie mich und stemmte die Hände in die Hüften. Ich musste schon zugeben: Sie war echt heiß und ich musste mich dazu zwingen, ihr nur ins Gesicht zu schauen. ,,Schon, aber wir können hier doch nicht schießen, dass ist viel zu laut." ,,Keine Schallgedämpften?" Ich schüttelte den Kopf und sie wandte sich dem letzten Pfeil zu, der- welche Überraschung- genau ins Ziel traf.

,,Hast du irgendwelche Schwachpunkte?" wollte sie wissen und strich sich ein Strähne aus der Stirn. ,,Als ob ich dir das freiwillig sage." ,,Kannst du mir wenigstens sagen, warum du die Stadt verlassen hast?" ,,Sagen wir mal... Ich bin hinter das Geheimnis gekommen. Oder zumindest glaube ich das." ,,Und das vermeintliche Geheimnis wirst du mir wahrscheinlich nicht erzählen, richtig?" ,,Richtig."

,,Tyler, ich muss wieder zurück. Ich hätte niemals gedacht, dass ich das sagen würde, aber: Wenn ich nicht bald gehe, dann werden die nach mir suchen, und dann wird das ganz bestimmt nicht mehr so lustig, als wo meine Einheit euch angegriffen hat." Ich ließ ihre Worte auf mich wirken... Wo sie recht hatte, hatte sie recht.

,,Wenn du gehst, dann komme ich mit." bevor sie mich unterbrechen konnte, redete ich weiter. ,,Sie reden ja immer noch über mich, also wird sie meine Wiederkehr sicherlich freuen." ,,Oder sie werden dich umbringen." warf sie ein. ,,Warum denn das? Woher sollen sie wissen, dass ich bei den Leuten hier war?" ,,Erstens warst du ein paar Jahre weg und du hättest gar nicht anders überleben können. Zweitens stehe ich immer noch auf der Seite der Regierung!"

,,Nicht, wenn wir das Geheimnis öffentlich machen. Dann wirst du mir sicherlich helfen wollen, das alles zu verhindern." meinte ich.

Der Anfang des EndesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt