Epilog

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" Yunus!" rief ich laut und rannte ins Wohnzimmer wo der kleine Pampersscheißer mich angrinste und dann die Vase runterschmiss. Es krachte laut, er kicherte. Ich schloss meine Augen und massierte meine Schläfen. Ein Kind mit ADHS zu erziehen war schwerer als gedacht, doch auch ziemlich lustig. Malik kam lachend ins Wohnzimmer und half mir die Sachen aufzuheben. Ich hob Yunus hoch damit die Splitter nicht in seine Füße gelangten. Seine eisblauen kulleraugen bohrten sich in meine. Als ich sah dass er sich über meine Schulter ausstreckte um den Rahmen in der Vitrine runterzuschmeißen hielt ich seine Speckfinger und blickte ihn böse an.

" Nein yunus! O abla!" mahnte ich ihn und zog extra meine Augenbrauen zu einer strengen Mimik. Yunus streckte sich und fing an zu strampeln
( das ist deine Schwester!)

" Aaaaaaaaaaaabla " kreischte er und wollte runter. Als ich sah dass Malik fertig mit staubsaugen war setzte ich yunus auf die Couch ab. Natürlich blieb er nicht still sitzen und versuchte unser Fotoalbum aus der Schublade des kleinen Tisches zu fischen. Malik lächelte und half ihm es rauszuholen. Er setzte yunus in die Mitte zwischen uns und legte das Album auf seinen schoß. Schnell blätterte yunus die großen Pappigen Seiten und öffnete die erste Seite mit Kaders Bildern. Ich presste leicht meine Lippen aufeinander und versuchte zu lächeln, doch es gelang mir schwer. Yunus öffnete immer und immer wieder diese Bilder. Wenn er schlafenging schlief er mit Kaders Teddybären. Wenn ihm langweilig war öffnete er immer dieses Fotoalbum. Während er seinen Brei und alles aß, wollte er oft ein Foto von seiner Schwester bei sich haben, wieso wussten wir nicht. Er wusste, dass es seine Schwester war. Auch wenn er sie nie sehen konnte. Betrübt betrachtete ich die großen Grübchen und langen Wimpern meiner wunderschönen Tochter. Tränen stiegen mir erneut auf. 3 Jahre waren vergangen. Drei Jahre nach endlosen Suchen nach ihr. Drei Jahre nach Leonas tot. Zweieinhalb Jahre nachdem man erst Leonas verweste Leiche gefunden hatte.

Ich schluckte und strich über die hellen Haare von meinem Sohn. Er linderte halbwegs die Schmerzen, die Kaders Fehlen verursachten. Ortungen, Nachrichten... Nichts hatte dazu beigetragen Kader beziehungsweise Murat zu finden. War das nicht unglaublich? Wir lebten in so eine kleinen Welt doch man fand zwei Menschen nicht. Jeden Tag kam mir ein anderes Land in den Sinn, wo sie hingereist sein könnten. Man wusste nicht einmal, ob Murat nach dem sie in den Helikopter gestiegen waren, in ein Flugzeug stiegen denn in ganz Deutschland wurde nach einem check up für Kader Korkmaz und Murat Şimşek gesucht doch es wurden keine Tickets für diese Namen gekauft. Frustriert atmete ich auf und stand auf nachdem ich Yunus einen Kuss auf den Kopf gegeben hatte. Malik klappte das Album zu und nahm Yunus auf den Arm.

" Komm wir gehen jetzt schlafen" sprach er zu Yunus. Dieser fing an zu schmollen. Ich drehte mich zu ihnen um und sah wie er seine speckigen Arme nach mir ausstreckte. Ich schniefte und nahm ihn auf den Arm. Gemeinsam gingen wir drei ins bett und legten Yunus in die Mitte. Er kuschelte sich an mich nuckelte an seinem Schnuller, dass er nur Nachts benutzte zum einschlafen. Nachdem er schlief holte ich es raus da ich nicht wollte dass er einen krummen Kiefer, oder zu große Schneidezähne bekam. Maliks Finger strichen über meine nackten Arme. Seine Blicke waren das erste Jahr nach dem Vorfall ziemlich leer, er war ziemlich kalt und abgewandt von alles und jedem. Das einzige was er tat war sich jede Nacht in meine Arme zu kuscheln und seine Tränen freien Lauf zu lassen, dann war er am nächsten Morgen wieder kalt und abweisend. Seine Veränderung tat mir nicht gut, überhaupt nicht. Ich wurde noch schlecht gelaunter und kaputter als ich sonst war, doch ich versuchte es ihm nicht anmerken zu lassen, trotz dass ich Schwanger war. Was sollte ich denn sagen? Hör auf damit, mir mir geht's noch schlechter wenn ich dich so sehe... Nein, das konnte ich auf jeden gar keinen Fall tun und ich war auf froh darüber ihn darauf nicht angesprochen zu haben. Denn jeder hatte eine andere Art seine Trauer zu verarbeiten. Der andere hatte es nach paar Tagen vergessen, der andere hing daran noch wie am ersten Tag. Malik hatte seine Tochter und seine Schwester verloren. Beide waren nicht mehr bei uns.

Mitleid,Hass,Zwang oder doch Liebe?   (Elif und Okan Fortsetzung) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt