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Mit heftigen Kopfschmerzen kam ich wieder zu mir.
Verdammt, was war bloß passiert und wo war ich hier?
Schmerzerfüllt rieb ich meinen Kopf und blinzelte. Doch dann fiel es mir wieder ein. Rido schaffte es in Sekundenschnelle mir meine Lebensenergie zu rauben. Er hatte mir so schnell das Bewusstsein genommen, das hatte ich noch nie erlebt. Er musste wirklich sehr stark sein. Bevor ich allerdings weiter drüber nachdachte, spürte ich etwas kaltes an meinem Bein. Als ich entlang meines Körpers blickte, realisierte ich erst jetzt, dass ich in einem Berg von toten Mädchen lag.
Erschrocken konnte ich mir einen Aufschrei nicht verkneifen. Die armen Mädchen, Rido musste sie manipuliert haben. Ich hörte ein gehässiges Lachen, welches aus einer der dunklen Ecken zu kommen schien. Ich wusste sofort, wer sich in der Dunkelheit verbarg.
„Zeig dich du Feigling!" rief ich sauer, wollte den Arm des Mädchens von meinem Bein entfernen und riss ihr in meiner Wut aus Versehen den Arm aus. Kurz zuckte ich zusammen, aber dann war mir das total egal.
Und Rido tat sogar das, was man ihm sagte. Er trat ins Mondlicht, welches durch ein kleines Fenster schien.
„Wo bin ich und was soll ich hier?" rief ich ihm zu und versuchte dabei nicht ängstlich zu klingen.
Rido bewegte sich durch die Menge der ermordeten Mädchen.
„Das wirst du früh genug noch erfahren, Liebes" entgegnete er und zog seine Handschuhe straff.
Ich schwieg und musterte die Halle, in welcher ich festsaß genauer, um mir eventuell einen Fluchtweg zu ermöglichen.
„Hat Kaname dir sein Herz ausgeschüttet, ja?" lachte er.
„Er hat mir ein paar Sachen über meine Vergangenheit erzählt und über dich" sagte ich emotionslos.
Rido grinste abfällig.
„Dann weißt du bestimmt, dass ich deine Eltern ermordet habe."
Ich schluckte.
„Ja."
Dann fielen mir wieder die Bilder, im Wald, unserer ersten Begegnung ein. Und sofort warfen sich neue Fragen auf.
„Ist es wahr, was du mir jene Nacht über meine Adoptiveltern erzählt hast?"
Rido grinste und im Schein des Mondes kamen seine unterschiedlichen Augenfarben mehr denn je zur Geltung.
„Ist es wahr, dass sie ebenfalls Vampire waren und mich unmenschlich behandelt haben, indem sie Experimente an mir durchgeführt haben, welche dazu führten, dass ich ein Mensch wurde?"
Rido kam näher und sein Gesicht verschwand in der Dunkelheit.
„Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben gesehen, dass man aus einem reinblütigen Vampir einen ganz normalen Menschen machen kann. Das ist der Grund, warum sie sterben mussten. Du kannst dir bestimmt denken, wie gefährlich das für mich werden hätte können."
Wütend blickte ich ihn an.
„Warum hast du mich nicht auch getötet? Ich war doch ein Problem für dich" entgegnete ich ihm.
Nun stand Rido vor mir, groß und schlank. Er streckte seine Hand aus und strich mir eine Strähne hinters Ohr. Ich zuckte leicht in dem Moment, als er meine Haut berührte.
„Ohja das warst du. Aber das ist eine andere Geschichte. Für die bist du noch nicht bereit, kleine Lady."
Verwirrt verzog ich das Gesicht.
Was sollte denn nun noch kommen?
„Anstatt mich zu töten, hast du mich in einen Vampir verwandelt, der irgendwann die Kontrolle verlieren wird."
Rido lachte und mir stiegen die Tränen in die Augen.
„Ich ließ dich am Leben, damit ich dir beim Leiden zusehen kann" kam es aus seinem Mund, doch ich hörte die Worte schon nicht mehr.
Ich wusste einfach nicht mehr, wie ich meine Wut kontrollieren sollte. Sie strömte einfach so aus mir heraus.
Ich schloss meine Augen. Alle Qualen, jeder Schmerz und jedes Gefühl der Einsamkeit und Wut keimten in mir auf. Es war wie damals, als Lennox und seine Gruppe mich töten wollten. Ich war nicht ich selbst. Ein anderes Ich übernahm die Kontrolle und eine unglaublich enorme Energie durchfuhr meinen Körper. Als ich meine Augen wieder öffnete, spürte ich, wie sie die Kontrolle über meinen Körper übernehmen wollte. Jedoch unterdrückte ich sie.
Eine helle energiegeladene Kugel formte sich um meinen Körper. Sie flutete den ganzen Raum in weißes Licht. Ridos gehässiges Lächeln entging mir dabei nicht.
„Nur noch ein kleines bisschen, kleine Lady" sagte er und riss ein altes Schwert aus einer steinernen Ritterfigur. Dann kam er langsam auf mich zu. Aus der Energie, die mich umgab formte ich eine Art Lichtschwert und trat Rido wütend entgegen. Kurz blickten wir uns in die Augen, dann raste ich auf ihn zu und holte mit dem Schwert aus. Rido sprang zur Seite und parierte den Hieb. In Sekundenschnelle stach er mit seinem zu und ich konnte es gerade so abwehren. Laut und klirrend prallten unsere Schwerter aufeinander. Er hatte eine unglaubliche Kraft. Es fiel mir schwer ihn abzuwehren und ich gab nach. Sofort sprang ich zur Seite und er verfehlte mich nur knapp. Erneut entging ich nur um Haaresbreite dem nächsten Hieb. Er lachte und ich taumelte nach hinten.
„Du hast keine Chance gegen mich!"
Unsere Schwerter prallten wieder zusammen und ich spürte, dass ich ihm nicht gewachsen war. Mein Puls raste und ich fühlte Angst in mir hochkommen.
Was wenn er mich hier tötete?
Genau auf diesen unachtsamen Augenblick hatte Rido gewartet. In Windeseile parierte er meinen Angriff und stach mir in den Oberschenkel.
Wie ein Blitz durchfuhr mich der Schmerz und ich konnte mich kaum aufrecht halten. Das Blut quoll aus der Wunde, ich ließ mein Schwert fallen und presste meine Hände auf die Wunde. Der Schmerz pochte in mir und ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Die Energiekugel um mich herum wurde weniger. Rido kam auf mich zu. Sein Gesichtsausdruck war unverändert, emotionslos. Als er unmittelbar vor mir stand, hockte er sich zu mir runter und sah mich an. Nach einer gefühlten Ewigkeit zog er seinen Handschuh aus und rammte seine Hand in meinem Körper. Ich schrie auf und spuckte sogleich Blut. Er umfasste mein Herz und hielt es fest in seiner Hand.
„Ich dachte du wärst stärker" sagte er und blickte abfällig auf mich herunter.
Ich rang nach Atem und spürte wie mein Herzschlag sich verringerte, als Rido leichten Druck ausübte.
Suri, lass mich frei. Lass mich diesen Bastard in Stücke reißen!
Plötzlich hallte eine Stimme in meinem Kopf. Ich wusste wer sie war. Sie hatte bereits schon einmal Kontrolle über mich. Sie war brutal und ohne Gefühle. Sie konnte ihn besiegen. Sie war meine dunkle Seite.
Ich schloss meine Augen und spürte wie mein Überlebensdrang sich wieder an die Oberfläche kämpfte. Wenn ich ihr die Oberhand über meinen Körper überlassen würde, dann hatte ich definitiv keine Chance ins Geschehen einzugreifen. Rido drückte noch fester zu und zwang mich zu einem Aufschrei. Dann fiel meine Entscheidung, ich gab meiner dunkeln Seite die Kontrolle über meinen Körper.
Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich Rido und mich. Ich war wie damals ein Zuschauer meiner selbst. Ich überließ meinem anderen Ich die Kontrolle und konnte nichts mehr unternehmen, außer zuzusehen.
Sie packte Ridos Arm und holte ihn aus meinem Brustkorb.
„Schwach bist nur du" hörte ich sie sagen.
Rido wich zurück, sichtlich erschrocken. Dann wurde die Energiekugel um mich herum wieder größer und intensiver. Ein neues Lichtschwert formte sich in meiner Hand und sie stürmte auf ihn zu. Rido war zu langsam und kassierte einen Schnitt am Arm. Schnell hielt er sein Schwert dem nächsten Hieb entgegen und parierte ihre Hiebe. So ging es die nächsten Minuten hin und her, bis sie plötzlich einen Schlag verfehlte und Rido mit einer Wucht auf meinen Körper einschlug. Doch bevor das Schwert meinen Körper erreichte, durchdrang es die Energiekugel, welche angefangen hatte zu glühen und zerfiel zu Staub. Die gewaltige Kraft der Kugel zerstörte das Schwert und breitete sich über den ganzen Raum aus. Als Rido von dem Licht getroffen wurde, sah ich wie sich tiefe Wunden an den Stellen bildeten, welche das Licht berührte. Das Licht wurde greller und zerfetzte alles was sich in seiner unmittelbaren Nähe befand. Ich kniff meine Augen zusammen und hielt die Hände schützend vor mich. Als sich die gewaltige Kraft wieder legte, war Rido verschwunden und ich sah nur meinen Körper zu Boden gehen. Schnell rannte ich zu ihm und berührte ihn. Sofort spürte ich einen Sog und wir vereinten uns wieder. Sogleich tauschten wir Informationen, Gefühle und die Geschehnisse miteinander aus. Ein enormer Schmerz durchbohrte mich und eine gewaltige Kraft in meinem Inneren drängte mich dem Tod zu beugen. Ich schrie den Schmerz aus der Seele und konnte spüren wie mir die Luft zum Atmen wegblieb. Jeden Moment, dachte ich, dass mein Herz in alle Teile zersprang. Da fühlte ich wie etwas Kühles meinen Hals berührte und mit einem Mal floss der komplette Schmerz zu dieser Stelle bis er ganz verschwand. Verschwommen und erschöpft konnte ich eine schwarze Gestalt mit blauen Haaren wahrnehmen. Doch ich verlor mein Bewusstsein, bevor ich noch irgendwas sagen konnte.

„Suri. Mach die Augen auf" hörte ich eine Stimme sagen.
Langsam öffnete ich meine Augen und blickte in ein schwarzes Nichts.
War ich etwa tot?
Sah so das Jenseits aus? - Schwarz und ohne eine Spur auf Leben?
„Suri."
Verwirrt drehte ich mich in alle Richtungen.
Bildete ich mir etwa ein jemand rufe meinen Namen?
Nein.
Da war jemand.
Ein junges Mädchen mit blonden Haaren und einem weißen langen Kleid.
Sie hatte ihren Kopf gesenkt, sodass ich ihr Gesicht nicht erkennen konnte.
Vorsichtig lief ich auf sie zu.
„Hallo du, kannst du mir sagen wo ich hier bin?" fragte ich und versuchte einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen.
Plötzlich riss sie ihren Arm nach vorne und symbolisierte mir mit ihrer Hand: Bis hierhin und nicht weiter.
Abrupt blieb ich stehen.
Mein Herz klopfte.
Langsam hob mein Gegenüber den Kopf und ich erkannte ein Lächeln.
Von einer Sekunde zur anderen pochte mein Herz schneller und auch meine Nervenfasern zogen sich zusammen.
Das konnte doch nicht sein.
Das war sie.
Meine Augen weiteten sich und ich wich zwei Schritte zurück.
Sie stand mir gegenüber.
Das konnte doch nicht möglich sein.
Als mein anderes Ich mir direkt in die Augen blickte, erschrak ich erneut.
Sie hatte Blut unterlaufende Augen und bei ihrem mittlerweile gehässigen Grinsen tropften Blutreste an den Mundwinkeln hinunter.
„Das hier ist deine Welt" sprach sie und jagte mir damit einen Schauer über den Rücken.
„Das ist dein Leben, vergiss das nicht."
Was sollte das?
Ich lebte nicht in einem schwarzen Nichts.
„Ich verstehe nicht ganz.." stotterte ich etwas, dennoch versuchte ich ruhig zu bleiben.
Sie nahm ihren Arm herunter und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.
„Du bist ein Vampir, vergiss das nicht." sprach sie und grinste immer noch.
Ich schluckte und spürte wie sich meine Lunge zusammenzog und ich keine Luft mehr bekam.
„Du bist ein Level-E. Die Zeit rennt und wird dich einholen."
Noch bevor ich überhaupt etwas realisieren konnte, fing sie an laut zu schreien. Es wandelte sich in kreischen um, bis ich nur noch einen penetranten hohen Ton im Ohr hatte.
Also presste ich meine Hände auf die Ohren, schloss meine Augen und verzog das Gesicht.  

Vampire Knight - SuriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt