Das Medaillon

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Rido bewegte sich einen Schritt von mir weg. Trotzdem ließ ich meinen Kopf gesenkt. Mein Herz raste. Ich wusste nicht, wie ich es beruhigen konnte. Ich atmete tief ein und aus. Meine Familie, so wie ich sie noch in Erinnerung hatte, gab es nicht mehr. Sie existierte einfach nicht mehr. Aber auch wenn ich jetzt Klarheit über einen Teil meiner Vergangenheit hatte, musste ich mir eingestehen, dass ich Vampire immer noch über alles hasste. Ich musste an Marcus denken. Er lebte. Aber er war ein Vampir. Ich hob meinen Kopf und betrachtete den toten Menschen. Er hatte niemandem etwas getan und trotzdem musste er sterben.
Grauenvoll.
Hasserfüllt fiel mein Blick auf Rido, welcher mich immer noch beobachtete.
„Du bist jetzt sicherlich ziemlich durcheinander" seine Stimmer ließ mich kurz zusammenzucken. „Nein!" schoss es aus mir heraus.
Wieder setzte er sein gehässiges Lächeln auf.
„Du bist also nicht überrascht, dass du deine Eltern eigentlich gar nicht richtig kanntest?"
„Ich bin nicht überrascht. Ich bin enttäuscht."
Weiterhin lächelte er mich an.
„Warum so enttäuscht?" und ich wusste genau, dass er noch mehr Salz in die Wunde streuen wollte.
„Meine Eltern waren genau wie du und jeder andere Vampir" hörte ich mich eiskalt sagen.
„Wie bin ich denn ?" fragte er mich, mit einem merkwürdigem Unterton.
„Du bist schwach."
Er hob seine Augenbrauen.
„Ich bin schwach?"
„Jeder Vampir ist schwach. Jeder Vampir muss sich von Blut ernähren und wenn man am Verhungern ist, tötet er einfach unschuldige Menschen" kam es hasserfüllt aus mir heraus.
Er lachte kurz auf.
„Suri, bist du dir eigentlich im Klaren, dass du selber ein Vampir bist?" er sah mich herausfordernd an.
Ich kniff meine Augen zusammen und sah ihn wütend an.
„Außerdem hast du nicht mehr lange Zeit."
Wieder lachte er.
Ich erschrak und wollte es mir nicht anmerken lassen, doch ich befürchtete, dass Rido es bemerkte. „Wie meinst du das?" fragte ich.
„Du hast doch bestimmt schon einmal etwas von Vampiren gehört, die im Level- E Modus herumlaufen."
Klar hatte ich davon gehört und jetzt wusste ich auch worauf er hinaus wollte. Aber ich hielt mich zurück und nickte erst einmal nur.
„Du wurdest von mir zu einem Vampir gemacht, das heißt, deine Zeit läuft ab." Er musste lächeln und man konnte seine Boshaftigkeit sehr gut erkennen.
„Das weiß ich selber!" fauchte ich regelrecht. Aber das ließ Rido unbeeindruckt. Er kam einen Schritt auf mich zu. Ich sah ihm direkt in die Augen.
„Es gibt einen Weg, wie du es aufhalten und für einige Zeit herauszögern könntest."
Es klang wie ein Angebot von ihm.
Ich sah ihn nur finster an. Er fuhr einfach weiter fort.
„Ich habe dich zu einem Vampir gemacht. Also bin auch ich der, von dem du das Blut trinken musst, um kein Level- E Vampir zu werden. Fürs Erste."
Das klang wirklich logisch, aber ob ihm zu trauen war?
„Ich würde diesem Zustimmen, allerdings gibt es da auch etwas, was du für mich machen musst." Alles klar, ich wusste wo der Haken war, diese Sache beruhte auf Gegenseitigkeit.
„Was willst du?" fragte ich und war froh, dass mein Stimme stark klang.
Rido lächelte.
„Du bekommst mein Blut, wenn ich von deinem Blut trinken kann."
Er wollte mein Blut haben.
„So besonders, wie du mein Blut hinstellst, ist es nicht. Warum willst du mein Blut haben?"
„Du bist ziemlich neugierig."
Mehr sagte er nicht, er wartete nur auf meine Antwort.
Ich habe es schon geschafft, eine ganze Weile kein Blut mehr zu mir zu nehmen, da kann ich auf dieses lächerliche Angebot auch verzichten.
„Nein" mehr kam nicht aus mir heraus.
Überrascht lächelte er gehässig.
„Du siehst ziemlich hungrig aus" sagte er ruhig und gelassen.
Das war mir so egal, ich wollte nichts mit einem Vampir zu tun haben, vor allem nicht mit einem Vampir, der von den Huntern gesucht wird. Plötzlich raschelte es in einem Busch neben dem toten Menschen. Ich beobachtete den Busch. Ein bekanntes Geräusch kam aus diesem.
Ein Bellen, dachte ich und runzelte die Stirn. Ein Hund kam aus dem Busch und bellte uns an. Erst jetzt fiel mir die Leine auf, die der Mensch in der anderen Hand hatte. Es musste sein Hund gewesen sein. Immer wieder bellte der Hund was das Zeug hielt. Mein Herz schlug mit einem Mal schneller. Er war zu laut, ging es mir durch den Kopf. Auch Rido hatte es bemerkt, aber seine Miene veränderte sich nicht.
„Du kannst über das Angebot noch einmal nachdenken."
Dann strich er mir mit seinen kalten Fingern über den Hals und verschwand spurlos.

Ich wusste nicht was ich machen sollte, Rido hatte mich einfach überrumpelt. Mit seinem Angebot und meiner Vergangenheit. Ich wusste nur zu gut, dass es nur eine Frage der Zeit und Willensstärke war, bis sich der Level E in mir breit machte und mich zu einem unkontrollierbaren Monster verwandelte.
Der Hund bellte immer noch wie verrückt.
„Kommen Sie Rektor, das Geräusch kommt von dahinten irgendwo."
Ich erkannte Yukis Stimme. Außerdem konnte ich Zeros Aura wahrnehmen.
Ich musste weg. Aber ich war nur wie angewurzelt.
Warum wollte er nur, dass ich sein Blut trinke?
So besonders kann ich nicht sein. Der Hund hörte nicht auf zu Bellen. Ich musste jetzt weg und gerade noch rechtzeitig schaffte ich es mich auf einem dicken Ast des Baumes neben dem toten Menschen zu verstecken. Denn genau zwei Sekunden später erschien Kaname Kuran.
Was wollte er bloß hier?
Vorsichtig lugte ich noch ein Stückchen mehr um die Ecke. Jetzt konnte ich auch den Rektor, Yuki und Zero erkennen.
„Ach du meine Güte, was ist denn hier passiert?!"
Dieses etwas schrille Schreien, konnte ich sehr gut Yuki zuordnen.
„Yuki" hörte ich Zero rufen.
Sofort kehrte eine beunruhigende Stille zurück.
„War das ein wildes Tier?" hörte ich den Rektor fragen, welcher sich speziell an Kaname wandte. „Nein, sehen Sie diese Bissspuren dort am Hals. Das war kein Tier."
„Etwa ein Vampir?" fragte Yuki und beteiligte sich am Gespräch. Kaname nickte, sah sich um und mit einem Mal richtete er seinen Blick genau auf mich.

Erschrocken zuckte ich zurück. Hoffentlich hatte er mich nicht gesehen. Er darf mich nicht gesehen haben, ich habe schließlich die Day Class Uniform an und dann wäre ich geliefert. Mein Puls raste schon wieder und ich merkte, dass ich leicht zitterte.
Hatte er etwas gesehen oder vielleicht war es nur seine Einbildung gewesen. Ich versuchte ruhig und leise zu atmen. Ich wagte es nicht noch einmal einen Blick zu riskieren. Ich konnte auch nicht verschwinden, denn egal welchen Weg ich nehmen würde, sie würden es bemerken.
„Vielleicht befindet sich der Vampir noch hier in der Nähe." hörte ich Yuki sagen.
Noch mehr Angst braute sich in mir zusammen. Was ist, wenn sie jetzt nach dem Vampir suchten, mich finden und mich für den Mord verantwortlich machten?
Ich musste dort weg!
„Ich denke, ich werde mich noch einmal in der Nähe umsehen. Rektor, ich werde es alleine tun." sagte Kaname und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken.
Nun war klar, dass Kaname nach einem Vampir suchte. Außerdem symbolisierte er dem Rektor und Yuki, dass jemand hier irgendwo war und derjenige gefährlich sein könnte und Kaname deswegen alleine gehen wollte.
Ängstlich griff ich zu meinem Anhänger am Hals.
Er war golden und wenn man ihn aufmachte, waren dort zwei Bilder von Mädchen.
Das eine Mädchen hatte schwarze Haare und das andere hatte dunkel lila Haare.
Bei beiden Mädchen konnte man das Gesicht nicht mehr erkennen.
Ich konnte mich nur daran erinnern, dass ich das Amulett zu meiner Geburt bekommen hatte.
Von wem es allerdings genau war, wusste ich nicht mehr.
Also strich ich über das Medaillon und nur für einen Moment wünschte ich mir innig, ich könnte mit der Schwarzhaarigen den Platz tauschen.
„Wer bist du? Und was hast du hier zu suchen?"
Ich erschrak.
Kaname's Stimme ließ mich zusammenzucken.
„Ich..ich bin.."
Ich konnte nichts sagen, ich wusste nicht was ich sagen sollte.
Kaname musterte mich misstrauisch.
„Komm erst mal herunter!" forderte er.
Ich gehorchte und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Aber was.."
Mit einem Mal griff ich mir eine dicke Haarsträhne und konnte meinen Augen nicht trauen. Sie waren schwarz wie die Nacht.
Dann betrachtete ich meine Kleidung. Ich hatte definitiv keine Uniform mehr an.
Ich trug einen schwarzen Umhang und eine sportliche Uniform.
„Wie ist dein Name?!"
Kaname blickte mir tief in die Augen.
„Sa...Sadako!" vor lauter Panik wählte ich den Namen meiner toten Freundin.
Sie wurde damals von einem Killer aufgeschlitzt und ich konnte sie nicht mehr retten.
Damals wurde ich sehr oft von Huntern aufgesucht und befragt.
Hunter, so nennen sich die Menschen, die von Vampiren Bescheid wussten und ausgebildet wurden, die Gesetzeslosen unter den Vampiren in ihre Schranken zu verweisen.
„Und Sadako, was hast du hier zu suchen?"
Kaname richtete immer noch fest seinen Blick auf mich.
„Ich hatte diesen Blutgeruch in der Nase, ich bin ihm gefolgt und kam hierher."
Natürlich versuchte ich meine Stimme so gut es ging zu verstellen.
Kaname kam einige Schritte auf mich zu und ich erstarrte vor Angst. Er war so groß und irgendwo auch so gutaussehend.
Er musterte mich aber da er nicht länger auf die Sache einging, schloss ich daraus, dass er mir glaubte.
Er hatte sich schon wieder umgedreht, als er mit fester Stimme sagte: „Was hast du eigentlich so nah hier an der Academy zu suchen?"
Ich schluckte, aber ich wusste auch darauf eine Antwort.
„Ich hatte überlegt, ob ich der Night Class beitrete."
Kaname hatte seinen Kopf leicht nach hinten gedreht und nickte nur knapp.
Dann lief er zur Leiche, griff sie am Handgelenk und zog sie hinter sich her. Langsam entfernte er sich von der Lichtung.
„Glaub ja nicht, ich würde dir den Unsinn glauben!"
Seine laute Stimme ließ mich erschrecken und zusammenzucken.   

Vampire Knight - SuriWo Geschichten leben. Entdecke jetzt