Kapitel 1

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Die Dunkelheit war erdrückend. Wie eine Decke lag sie auf dem Waldboden und über den hochgewachsenen Bäumen. Selbst auf der Lichtung, an dessen Rand Tai stand. Dabei sah er ganz genau den Mond, der den Himmel über den Baumkronen zum Leuchten brachte.

Tais Aufmerksamkeit richtete sich auf die Mitte der Lichtung. Eine Person stand dort, ein dunkler Umriss, dessen Gesicht nicht erkennbar war. Die kurzen Haare, die noch schwärzer als die Nacht waren und sich auf dem Kopf der Person wellten, erinnerten Tai an jemanden. Er wusste nur nicht genau an wen.

Hinter den Bäumen bewegte sich etwas.

Zwischen den Stämmen, zwischen dunklen Abstufungen von Grau, Violett und Blau, huschten schwarze Schatten vorbei. Doch es waren nicht einfach nur Schatten, realisierte Tai, als die Wesen langsam und lautlos an den Rand der Lichtung schlichen. Es waren »Schatten«. Die finsteren Gestalten, welche die Wälder behausten.

Sie ähnelten einander, hatten aber dennoch unterschiedliche Formen. Einige klein und unscheinbar, andere so groß wie Tai selbst. Schmal, länglich, massig, breit, auf zwei Beinen laufend oder bis zu acht Beine besitzend. Schwarze Umrisse, wie die Person, die Tai gegenüber stand. Aber sie hatten eine bedrohliche Ausstrahlung.

Trotz dessen, dass ihre Augen nicht sichtbar waren, wusste Tai, dass sie nicht ihn anblickten, sondern diese Person. Sie umkreisten sie, glitten dabei um Tai herum oder durch ihn hindurch, als wäre er nicht da. In seinem Inneren breitete sich Kälte aus.

Die Schatten hielten plötzlich an, weiterhin fixiert auf die menschliche Gestalt, die sie umzingelt hatten. Diese machte keine Anstalten, zu fliehen. Sie wirkte nicht mal, als hätte sie Angst.

Aber Tai hatte Angst. Nicht um sich selbst, sondern vor dem, was gleich passieren würde. Es war offensichtlich, dass die Schatten es auf die Person abgesehen hatten. Jeden Augenblick hätten sie sich aus der geduckten Haltung gelöst und auf die Person gestürzt.

Tai konnte sich nicht erklären, woher es kam, aber das Grauen davor sammelte sich in ihm und schnürte ihm die Luft ab und machte es noch schwerer zu denken, als es eh schon war.

Er wollte es verhindern.

Mit diesem Gedanken lief er los, zu der Person mit den schwarzen Haaren, ohne einen Plan davon zu haben, was er überhaupt tun sollte.

Gleichzeitig sprangen die Schatten los, doch sie waren um ein vielfaches schneller als Tai. Während er nur in Zeitlupengeschwindigkeit voran kam, konnten sich diese Wesen ganz normal bewegen.

Handlungsunfähig musste er dabei zusehen, wie sie sich auf die Person warfen und wie diese in grauem Rauch verging. Im nu verteilte er sich in der Luft und verschwand.



Tai schlug die Augen auf. Sein Herzschlag war laut in seinen Ohren und sein Atem ging schnell. Er blickte starr und ohne zu blinzeln an die Decke.

Immer wieder hatte er diesen Albtraum und jedes Mal ging er gleich aus. Und obwohl Götter nicht schlafen mussten, tat Tai es so oft wie möglich, um zu träumen und zu versuchen, den Verlauf des Traums zu ändern.

Mit einem Seufzen richtete er sich auf und schwang die Beine über den Rand des Sofas, auf dem er geschlafen hatte. Der Raum, in dem es stand, sah so aus, wie der Rest des Mondschlosses. Wände und Boden aus grauem Stein, Pflanzen aller Arten, die in Erdfeldern und Lücken in den Wänden wuchsen und Wasser, welches durch in den Stein geschlagene Rinnen floss. Tageslicht fiel nicht hinein. Nur die fluoreszierenden Blumen erhellten den Raum ein wenig.

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt