Kapitel 6

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Die Versammlung endete mit einem Unentschieden und Tai war unzufrieden.

Erstens bedeutete es nämlich, dass es bald zu einer erneuten Zusammenkunft kommen würde, wenn sich die Gemüter etwas abgekühlt hatten, und dass Tai logischerweise noch länger bleiben musste. Aber bei der Vielzahl von Teilnehmern war es kein Wunder, dass sie immer noch nicht zu einer Entscheidung gekommen waren, mit der alle mehr oder weniger zufrieden waren.

Und zweitens hieß es natürlich, dass sie sich nicht auf eine Lösung einigen konnten. Tai konnte nicht verstehen, warum einige nichts gegen die Schatten tun wollten. Man musste blind sein, um zu denken, dass sie nicht gefährlich wären.

Zu gern wäre er jemand, dessen Worte Bedeutung hätten, damit er diese Meinung auch vor anderen vertreten und verteidigen könnte.

Als Tai den Raum gerade verlies, fing Aria ihn ab und wollte gleich wieder etwas anderes vorschlagen, was sie nun machen könnten, aber Tai vertröstete sie auf später. Jetzt war erstmal Mini dran.



Seine Helferin und er suchten sich einen versteckten Winkel im Palast.

Ebenso schweigend wie sie durch das Gebäude gegangen sind, saßen sie auf einem kleinen Mauervorsprung nebeneinander. Er war in die sandfarbene Wand eingearbeitet und von großen, leuchtend grünen Topfpflanzen umgeben.

Mini wirkte nicht, als würde sie dieses Gespräch für notwendig halten. Gelangweilt trommelte sie immer wieder leise mit den Fingerspitzen auf dem Vorsprung herum.

Schließlich seufzte sie schwer, nachdem sie realisiert hatte, dass Tai keine Initiative ergriff. »Du willst doch bestimmt wissen, warum ich dir nichts davon erzählt hab, oder?«

»Genau.«

»Da gibt's nicht viel zu sagen«, meinte sie abwehrend. »Ich kann sie nicht leiden, darum ist es mir egal, wenn sie mich nicht leiden können und ständig irgendwas Dummes erzählen. Und das geht nur mich und sie was an.«

Jedes Wort fühlte sich an, wie ein Mauerstand, der zwischen ihnen platziert wurde.

»Es ist trotzdem nicht in Ordnung. Ihr solltet respektvoll miteinander umgehen, so wie es festgelegt ist.« So wie es in den Verhaltensregeln stand, die ein friedliches Miteinander ermöglichten. Nicht jeder muss jeden mögen, das funktioniert nun mal nicht, denn jeder ist anders. Aber man sollte selbst denen, die man nicht leiden kann, Respekt entgegenbringen.

Behandel jeden so, wie du selbst auch behandelt werden möchtest. Diese Regel mochte Tai am liebsten. Sie war simpel.

Mini, Jenny und Marik waren ihr nicht sehr gewogen.

Seine Freundin schnaubte geringschätzend. »Das ist doch bescheuert. Ich muss mich nicht daran halten, wenn ich nicht will. Tai, vergiss das ganze einfach und lass es meine Sorge sein, okay? Tu einfach so, als ob du das nie mitbekommen hättest und wir lassen alles wieder normal werden. Ich hab keine Lust deswegen zu streiten.«

Tai blickt ihr stumm bittend in die Augen. Als er keine Reaktion bekam, nickte er niedergeschlagen. Er sah keinen anderen Ausweg mehr, außer zu zustimmen. Mini war viel zu stur, um sich seine Sicht der Dinge durch den Kopf gehen zu lassen.

»Danke.« Sie lächelte ihn gutmütig an, stand dann auf und ging weg.

Eine Mauer stand nun zwischen ihnen, das spürte Tai ganz genau. In ihr fehlten einige Steine, aber allein ihre Existenz machte ihn traurig. Mini wusste mehr über ihn, als irgendwer sonst und war immer verständnisvoll ihm gegenüber. Und jetzt stand da etwas zwischen ihnen.

Mina sagte, er soll vergessen, was er gesehen hatte. Das konnte er nicht. Aber für sie würde er versuchen, alles wieder normal werden zu lassen.



Tai öffnete die große, verzierte Doppeltür und betrat die Bibliothek, die er nach dem Vorfall mit Mini aufgesucht hat. Hier hatte er sich mit Aria verabredet.

Vorsichtig lugte er hinein und sah sich um. Wieder war niemand sonst da. Aber auch Aria konnte er nicht entdecken. Wahrscheinlich flog sie in einem der vielen Räume herum, die zu der Bibliothek gehörten. Hoffentlich hatte sie ihn nicht vergessen. Er überdachte diesen Gedanken nochmal.

Ein bisschen hoffte er schon darauf, dass sie ihn vergessen hatte. Gerade konnte er etwas Ruhe gut vertragen.

Leise trat er ein und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.

»Aria?«, fragte er laut in den Raum hinein.

»Ich bin hier!«, kam es gedämpft aus einem der Räume in den oberen Stockwerken. »Warte kurz!«

Nach einem Augenblick fegte ein Windstoß durch die Bibliothek und Aria kam zu ihm hinunter geflogen.

Kaum setzte sie zum Sprechen an, wurde die Bibliothekstür erneut geöffnet. Aria stockte und sie und Tai drehten ihre Köpfe in Richtung der Tür. Ziya stand dort und sah sie ebenso überrascht an.

Aria schlug begeistert die Hände zusammen und sprang in die Luft. »Perfekt, du kommst ja wie gerufen, Ziya!«

Der Angesprochene hob eine Augenbraue in die Höhe. »Okay... Warum?«

»Weil ihr beide jetzt Zeit miteinander verbringen werdet, damit ihr dieses peinliche erste Stadium einer Freundschaft schnell hinter euch bringen könnt und wir zusammen was unternehmen können, ohne dass es seltsam wird!« Warum war sie nur immer so voller Tatendrang.

»Oh wie schön«, meinte eine weitere Person daraufhin. Bell lehnte mit überlegenem Grinsen im Gesicht gegen der Wand neben der Tür. Sie musste wohl mit Ziya her gekommen sein, aber sie haben sie vorher nicht bemerkt.

»Dann kannst du ja jetzt mal deine Helfer zu Hause auf den neusten Stand bringen. Das ist nämlich nicht meine scheiß Aufgabe, weißt du?«, zischte sie. Danach wandte sie sich Tai und Ziya zu und meinte freundlich, fast wie ausgewechselt: »Es stört euch doch bestimmt nicht, wenn ich sie mir mal kurz ausleihe, oder?«

Bell richtete ihre Augen, die sich gleich wieder verdunkelten, auf Aria und zog sie dann mit einem schnellen »Ciao« hinter sich her.

Nach einem kurzen Augenblick brach Ziya das Schweigen: »Also, wohin gehen wir?«

»Moment, du willst jetzt wirklich was zusammen unternehmen?«

»Ja, ich meine, Aria hat ja Recht. So können wir schneller Freunde werden und ... das würde mir eigentlich gut gefallen«, murmelte er. Das Leuchten um ihn herum flackerte kurz.

Tai fuhr herum, von der Tür weg, und sah zu ihm hoch - und realisierte nebenbei, dass der Sonnengott ein kleines Stückchen größer als er selbst war, was ihn etwas ärgerte.

Meinte Ziya ernst, was er da gesagt hat? Tai konnte es fast nicht glauben... Er konnte nicht richtig nachvollziehen, warum er gern mit ihm befreundet wäre. Vielleicht war er auch nur einer dieser Menschen, die sich mit jedem anfreunden wollen, dem sie begegnen?

»Okay.« Er würde sich einfach mal darauf ein lassen. Ein bisschen neugierig darauf, wie Ziya so ist, war er ja auch. »Also... Was machen wir jetzt?«

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt