Kapitel 12

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Tai staunte nicht schlecht, als Ziya ihm Tage später eine Götterrose entgegenhielt. Seine Finger waren zerkratzt und an manchen Stellen verbunden, worüber Tai nur den Kopf schütteln konnte. Nur wegen einer Blume seine Finger so zu zerstören... In nächster Zeit dürfte ihm das Sortieren der Wünsche noch weniger Spaß machen.

»Ich hab die Stacheln entfernt, damit deine Hände nicht so enden, wie meine«, sagte er mit einem Grinsen, das in seinem Gesicht wie festgewachsen schien, und drehte die Rose so, dass Tai den Stängel besser sehen konnte. »Und keine Sorge, gepflückte Götterrosen sehen selbst nach Wochen noch genau so aus, deine Helfer werden sie also auch noch bewundern können!«

Ein bisschen überfordert von der Geste bedankte sich Tai schließlich dafür und griff vorsichtig nach der Pflanze mit der dunkelroten Blüte. Er fragte sich, ob das eine Art Wiedergutmachung war, dafür, dass Ziya so viel über Charon gefragt hat. Ihm ist bestimmt nicht entgangen, wie ungern Tai dieses Thema ansprach.

In den letzen Tagen hatte Tai sich wieder ein wenig von Ziya distanziert. Er hatte ihm für seinen Geschmack schon zu viel erzählt und sich zu sehr geöffnet, selbst wenn das nur ein Kratzen an der Oberfläche war.

Aber jetzt ermahnte er sich selbst dafür. Vermutlich jeder, der Charon kannte, war verwundert über sein Verbleiben, und Ziyas Neugier war noch größer, da sich die beiden anscheinend sehr gut kannten und Freunde waren. Es war schon fast ein Wunder, dass er nicht früher danach gefragt hatte. Außerdem konnte Ziya nichts dafür, was passiert ist.

Tai hielt die Blume behutsam mit seinen beiden Händen und löste den Blick von ihr, um Ziya anzusehen. »Wollen wir zusammen in die Bibliothek? Ich könnte ein paar Büchertipps gebrauchen.«

Ziyas Grinsen wurde noch breiter und strahlender - falls das überhaupt möglich war - und er nickte so wild, dass seine Haare durcheinander kamen.

Kurz standen sie einfach nur so da und lächelten sich an - Außenstehende hätten sie mit schrägem Blick betrachtet - und zum ersten Mal empfand Tai das nicht als unangenehm.

»Ah, ganz vergessen, ich hab ja was zu tun! Das mit der Bibliothek verschieben wir auf später, ja?«, meinte Ziya und machte auf dem Absatz kehrt.

Tai setzte langsam seinen Weg fort, wobei er nicht mal mitbekam, wo genau er hinlief, weil er so auf die Rose fixiert war. Er dreht sie zwischen seinen Fingern und spürte die Stellen, an denen Ziya die Stacheln entfernt hat.

Kurzerhand beschloss er, Mini die Götterrose zu zeigen. Er war sowieso auf der Suche nach ihr, da er seine Helfer im Mondreich fragen wollte, wie die Dinge so laufen, und Mini bestimmt gern dabei wäre, um mit ihren Freunden zu reden.



Es dauerte nicht lang, da hatte Tai sie auch schon gefunden. Und sie war nicht allein - Yanil saß neben ihr und sie waren in ein Gespräch vertieft.

Tai wusste noch nie so richtig, was er von Yanil halten sollte. Er war der Gott der Illusion und Täuschung, man konnte auch sagen Lüge und List, es gab viele Bezeichnungen für ihn. Seine Fähigkeit war es, Illusionen zu erzeugen, aber das war noch nicht alles. Es lag in seiner eigenen Natur, listig zu sein, das konnte man auch an seiner Ausstrahlung erkennen.

Yanil besaß schmale Augen, die Tai an die eines Fuchses erinnerten und vor Raffinesse funkelten. So, als wisse er zu jeder Zeit mehr als alle anderen - allerdings tat er das auch häufig, denn er spürte, wenn jemand etwas zu verbergen hat, hatte Mini ihm einmal erzählt. Seine Lippen hatte Yanil immer, aber auch wirklich immer zu einem Lächeln verzogen, das oft nicht sehr echt aussah.

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt