Kapitel 11

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Mein Sieb-Gehirn hat vergessen, am Mittwoch ein Kapitel hochzuladen -_-

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Ziya ließ schnaufend den Blätterstapel, den er eben geholt hatte, vor sich auf den Tisch fallen. Einige Bögen wurden aufgewirbelt und flogen auf den Boden. Nachdem sie vorhin etwas geredet haben meinte er, dass es für ihn mal wieder Zeit wäre, seiner Arbeit nachzugehen, denn den Zeitraum, der dafür gedacht war, hatte er mit Tai, Aria und Mini verbracht.

Ziya sammelte die herumfliegenden Blätter wieder ein und setzte sich gegenüber von Tai auf den Boden. Der Glastisch war niedrig, deswegen konnte Ziya das Kinn darauf ablegen und noch bequem an alles heran kommen. Er hob die Hand, die flach neben seinem Kopf lag, und ließ die Lichtfunken an der Zimmerdecke etwas heller strahlen.

Die Größe des Stapels war nicht sonderlich überraschend für Tai, denn der Sonnengott war der gefragteste und bekannteste in der Welt der Sterblichen. Und Tai war davon überzeugt, dass das noch längst nicht alles war, was sich in den letzten Tagen angesammelt hat.

Er hingegen bekam deutlich weniger Wünsche von den Sterblichen. Er war nicht sehr bekannt, man wendete sich selten an ihn. Deswegen war das bisschen an Arbeit, was er mitgenommen hatte, auch schon nach wenigen Stunden erledigt. Aber in dieser Situation empfand er das als weniger schlecht, denn so würde er keine Hunderttausend Papiere vorfinden, wenn er wieder ins Mondreich könnte.

»Soll ich dir vielleicht helfen?«, bot er an. Er wollte diesen Raum noch nicht verlassen, aber nur herum sitzen und Ziya beim Arbeiten zusehen wollte er auch nicht. Er entdeckte jetzt schon Stress und Erschöpfung in Ziyas Gesicht, obwohl er noch nicht mal begonnen hatte. Ziya war selbst daran schuld, weil er sich vor seinen Pflichten gedrückt hat, aber das wusste er wahrscheinlich selbst.

»Ja, bitte! Das wäre toll.« Ziya riss den Kopf hoch und hatte ein hoffnungsvolles Leuchten in den Augen. Dann ließ er den Kopf wieder fallen und seine Stirn kam geräuschvoll auf dem Glas auf. Er jammerte: »Warum hab ich bloß nicht früher damit angefangen?«

Ja, Ziya wusste definitiv, dass es selbst dafür verantwortlich war.

»Kannst du die bitte sortieren?« Er hob ungefähr die Hälfte des Stapels hoch und platzierte sie vor Tai. »Du weißt ja bestimmt, wie das funktioniert.«

Tai nickte. Wüsste er das nicht, hätte er zu Hause ein ziemlich gewaltiges Problem.

Jeder Zettel stellte einen Wunsch dar, der an einen Gott gerichtet war. Man ordnete sie nach den Orten, die darauf vermerkt waren und entschied dann, wie man am besten helfen könnte.

Das System war relativ kompliziert, da sie an den Verlauf der Natur, die Bewegung von Planeten gebunden waren. Andere Götter, wie zum Beispiel Yanil, der Gott der Lüge und List, hatten es einfacher, da sie so etwas nicht berücksichtigen mussten.

Und Ziya musste es wohl besonders schwer haben, da so viele Wünsche an ihn gingen.



Auf dem Tisch, dem Sofa und dem Boden waren schon unzählige kleine Stapel verteilt, die Tai und Ziya mühselig zusammen gestellt haben. Zwischendurch bedankte sich Ziya immer wieder, aber Tai machte es nichts aus, ihm zur Hand zu gehen, obwohl er ab und zu durcheinander kam. Er bekam einen Eindruck davon, was Ziya leisten musste, auch wenn seine Helfer wahrscheinlich einen Teil seiner Aufgaben übernahmen.

»Charon hat mir auch immer geholfen, wenn er Zeit hatte«, meinte Ziya plötzlich und in seiner Stimme lag Melancholie. »Er hat mir dabei viel über dich erzählt! Zum Beispiel, dass du ungeschickt bist, ständig stolperst, gegen irgendwas gegen läufst oder in die Wasserrinnen im Schloss trittst«, lachte er. »Das kann ich mir irgendwie gar nicht so richtig vorstellen. Stimmt das?«

»Ja, leider.« Natürlich musste Charon das ausplaudern. »Aber so wirklich extrem ist es nur im Mondschloss, weil ich mich da nicht darauf konzentriere, vorsichtiger zu sein.«

»Ach, hier kannst du auch ruhig unvorsichtig sein, ich glaube, das wäre ganz witzig.« Ziya sah ihn belustig über das Blatt, das er hielt, hinweg an.

Tai legte kopfschüttelnd ein Blatt Papier auf den Stapel neben sich. Ziya erinnerte ihn schon wieder an Charon. Charon fand es auch immer unfassbar amüsant, wenn Tais Tollpatschigkeit zum Vorschein kam.

Tai atmete schwer aus und ließ die Schultern hängen. Musste er schon wieder an ihn denken? Warum holten ihn die Erinnerungen an ihn ständig wieder ein? Er wollte sie am liebsten aus seinem Kopf aussperren, aber selbst dann würden sie wieder und wieder einen Weg in sein Bewusstsein finden.

Gegenüber von ihm legte Ziya einige Blätter ab. Sein Blick ging ins nichts und er rutschte nervös hin und her. Für einen Moment war es ganz still. Als kein Rascheln von Papier mehr zu hören war, sah Tai zu ihm hinüber. Er wollte sich gerade erkunden, was los war, da kam Ziya eine leise Frage über die Lippen. »Weißt du, warum Charon weggelaufen ist?« Das Licht, das ihn umgab, flackerte und wurde dunkler. Zur Abwechslung zierte kein Lächeln sein Gesicht.

Das ganze spiegelte sich bei Tai. Er selbst sah, wie sein Leuchten an Kraft verlor, obwohl seine Augen das normalerweise nicht mehr wahr nahmen.

Das war es. Das war der Grund, warum Tai die Versammlungen in den letzten Jahren noch mehr gemieden hat als sonst. Natürlich wollte man wissen, was mit Charon passiert ist, und Mini hatte aufgrund von Tais Wunsch keine Details dazu preisgegeben.

Aber Tai wollte sich nicht daran erinnern, was passiert ist. Immer wenn er es tat, fühlte er sich in den Augenblick zurück versetzt, als er Charon zum letzten Mal gesehen hat. Es tat weh, es tat so unfassbar weh und zerriss ihn und zerschmetterte ihn. Es ließ ihn eine Klippe hinunter stürzen und in tiefster Finsternis auf dem Boden aufprallen.

All dem war er hier im Sonnenreich immer wieder ausgesetzt.

Er spürte Ziyas fragenden Blick auf ihm. Irgendwie musste er regieren, die Pause zwischen Frage und Antwort war jetzt schon viel zu lang, um normal zu wirken. Was sollte er sagen? Für einen Moment hatte er das Verlangen, einfach das Thema zu wechseln, aber das würde Ziyas Neugier nur noch mehr schüren.

»Es war meine Schuld.« Tais Stimme war rau und kratzig. Er räusperte sich und sprach weiter: »Ich hab ihm einen ... Ratschlag gegeben. Charon...«, seinen Namen auszusprechen, war schwerer, als ihn zu denken. »Charon hat ihn befolgt und irgendwann hat das dazu geführt.« Die Aussage war nicht die genauste, aber zumindest war es keine Lüge. Tais Augen begannen zu brennen. Er senkte den Kopf und versuchte es wegzublinzeln.

Ziya klang, als versuche er sich selbst zu überzeugen, als er sagte: »Vielleicht kommt er ja irgendwann wieder.«

»Nein. Glaub mir, das wird er nicht.«

Ziya seufzte leise und legte seinen Kopf wieder auf den Tisch, seinen Arm nutzte er als Unterlage. Seine Fingernägel klackerten auf dem Glastisch und schienen unnatürlich laut in Tais Ohren.

»Ich vermisse ihn«, murmelte Ziya.

Tai starrte mit leerem Blick vor sich hin. Ich vermisse ihn auch, dachte er. So sehr.

Er wollte seinen besten Freund wieder haben, die Person, die jede seiner Macken kannte und wusste, wie er dachte und fühlte. Und gleichzeitig wünschte er sich, er würde ihn und alles, was mit ihm zu tun hatte, vergessen.

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt