Kapitel 9

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Tai stand dicht an dicht neben anderen Göttern und Helfern, die noch nicht wieder in ihre Heimat zurück gereist waren. Kurz nachdem Ziya Jenny gefolgt war, sollten sie sich alle zusammen finden. Auf den Gesichtern der Anwesenden spiegelte sich Ratlosigkeit deswegen.

Dann hörte man plötzlich eilige Schritte.

Ziya und einige seiner Helfer trafen ein und Tai sah, wie sich Ziyas Mund bewegte, konnte aber nichts verstehen, da noch zu viel durcheinander geredet wurde. Der Sonnengott winkte hilflos und wendete sich kopfschüttelnd an seine Begleiter, die ihn dann flink zum Brunnen scheuchten. Dadurch, dass er auf den schmalen Rand stieg, überragte er die Masse nun um knapp zwei Köpfe. »Ich bitte um Ruhe!«, rief er.

Das Getuschel versiegte und nach und nach richteten sich alle Blicke auf Ziya.

»Danke. Also...« Er lachte nervös und richtete sein Shirt. »Die Situation ist grad diese, dass die Portale nicht mehr funktionieren.«

Tai zuckte erschrocken zusammen, als einige temperamentvolle Personen aus der Menge in aufgebrachte Ausrufe ausbrachen. Viel Was, Wie bitte und Das kann doch nicht sein – es war nicht das erste Mal, dass Portale nicht funktionierten, aber zum ersten Mal wurden dadurch viele Götter in einem anderen Reich festgehalten.

»Es tut uns Leid, dass wir nicht früher von der Instabilität erfahren haben und ihr jetzt für eine ungewisse Zeit hier bleiben müsst. Am besten kontaktiert ihr gleich eure Helfer zu Hause, damit sie sich nicht wundert, wo ihr bleibt und dort nichts aus dem Ruder läuft. Wir wissen wirklich nicht, wann die Portale wieder funktionieren, aber bisher hat es immer nur ein paar Tage gedauert. Der Palast steht euch wie immer komplett zur Verfügung.« Damit beendete Ziya die Ansage und stieg vom Brunnen herunter.

Es wurde wieder laut, alle redeten durcheinander und Tai verließ den Raum, da es für ihn zu chaotisch wurde. Mini wetterte neben ihm wild herum, wie wenig ihr das passte und dass sie so viel Arbeit durch die lange Versammlung zu Hause herum liegen hatten, und sie sich das hier jetzt gar nicht leisten könnten und so weiter und so fort...

Tai hingegen überwand den ersten Schock relativ schnell und freundete sich schon mit dem Gedanken an, seiner Arbeit noch etwas länger aus dem Weg gehen zu können. Nachdem er ewig nicht anderes getan hatte, als planmäßig seiner Arbeit nachzugehen, musste er dieses Jahr zur Versammlung. Es war ein Stückchen Abwechslung, nur eine Kostprobe, von der langsam immer mehr haben wollte – auch wenn die eigentliche Versammlung ihm immer noch zuwider war. Das, was in den Pausen dazwischen passierte, daran fand er langsam Gefallen.



Einige Tage waren vergangen und Tai hatte sich tatsächlich dazu überreden lassen, Verstecken und Fangen zu spielen. Ein Unding, der Mondgott tat sowas eigentlich aus Prinzip nicht und wenn er sich fragte, warum genau nochmal er sich dazu bereit erklärt hatte, kam ihm nur ein leuchtender rot-blonder Haarschopf in den Sinn.

Und eine gewisse Helferin im Miniformat.

Und ein unaufhaltsamer Wirbelsturm.

Merkwürdigerweise sogar ... ihm fiel keine wirklich passende Umschreibung für Bell ein, sie war einfach zu sehr ... Bell.

Gewissermaßen wurde er von allen Seiten attackiert, dafür war seine Verteidigung dann doch zu schwach.

Weil er jedoch normalerweise nicht bei solchen Spielen mitmachte, war er dementsprechend schlecht darin. Zusätzlich war Aria in dieser Runde Sucherin und Fängerin und so kam es, dass Tai nach ein paar mickrigen Sekunden ausschied und nun im Garten herum wanderte.

»Na, wurdest du auch schon erwischt?«

Tai blieb stehen und drehte sich um. Er wartete, bis Ziya springend bei ihm ankam, dann folgten sie gemeinsam dem Weg mit gemächlichem Schritttempo.

»Wie soll man bei Aria auch eine Chance haben«, seufzte er und beschwerte sich nachtragend. Sein kräftiges Leuchten verriet aber, dass ihm das im Grunde egal war und er trotzdem Spaß daran hatte. »Man sollte ihr verbieten, ihre Fähigkeiten zu benutzen.«

»Das haben wir ja auch eigentlich«, lachte Tai trocken und schüttelte den Kopf.

Ein süßer Duft stieg ihm plötzlich in die Nase und verbreitete ein warmes, beruhigendes Gefühl in seinem ganzen Körper. Er hatte seinen Ursprung in den Rosen, die Wegesrand in Beeten schmückten.

Tai betrachtete die Blumen aus verengten Augen. Sie kamen ihm nicht bekannt vor, er konnte ihnen keinen Namen zuordnen. Im Mondschloss gab es viele Pflanzen und es beherbergte auch viele Rosenarten, die er alle unterscheiden konnte. Die hier hatte er noch nie vorher gesehen.

Er ging vor ihnen in die Hocke und lehnte sich weit vor. Die Blütenblätter sahen dick und stabil aus und besaßen einen gewellten Rand. Sie hatten den dunkelsten Rotton, den Tai je gesehen hatte, nur ein wenig dunkler und sie wären schwarz wie die Nacht gewesen. Zwischen den Pflanzen befanden sich fast keine Lücken, und die Stängel waren dick, dunkelgrün und mit unzähligen dünnen Stacheln und feinen Blättern gespickt.

Tai fand sie wunderschön.

»Was sind das für Rosen?«

»Hm? Ach so, die kannst du ja gar nicht kennen. Das sind Götterrosen.« Er kniete sich neben Tai auf den Boden und strich mit dem Zeigefinger über eine Blüte. »Die gibt es nur hier in diesem Garten.«

Deswegen kannte er sie also nicht. Tai würde zu gern eine pflücken, um sie seinen Helfern daheim zu zeigen. Alle im Mondreich liebten Pflanzen, und diese Rose würde sie bestimmt begeistern. Er streckte die Hand nach einer Rose aus, aber auf einmal schnellte Ziya vor und stoppte seine Bewegung, indem er sein Handgelenk schnappte.

»Nicht!«, warnte Ziya atemlos.

Sie starrten einander kurz wie eingefroren an, dann zog sich Tai langsam zurück. Durfte man die Götterrosen nicht pflücken? Hatte er irgendwas Dummes, Respektloses versucht?

»Tut mir leid, tut mir leid!« Ziya entschuldigte sich fast panisch und schlug die Handflächen zusammen. »Es ist nur so, dass Götterrosen, also ihre Stacheln, das einzige sind, was unsere Körper verletzten kann. Ich wollte nicht, dass du dich stichst«, erklärte er schnell.

»Ach so.« Tai war erleichtert, dass es nicht so war, wie er dachte. Dann kam die eigentliche Botschaft dessen, was Ziya gesagt hatte, in seinem Kopf an. »Moment, was?! Sie können uns verletzten, also ... du meinst, da könnte wirklich Blut fließen?«

Ziya nickte zur Bestätigung.

»Wie kann das sein?« Normalerweise konnte sie nichts verletzten, wovon Sterbliche Wunden davon tragen würden. Nur Schatten waren für sie gefährlich, aber sie fügten ihnen keine physischen Verletzungen zu, sondern entzogen ihnen ihre gesamte Magie, bis sie sich in Rauch auflösten und aufhörten zu existieren.

»Ich weiß nicht. Das weiß niemand. Aber genauso wenig wissen wir, warum die Schatten das tun, was sie tun.« Ziya ließ den Blick über das lange Beet schweifen.

»Aber ... ist es nicht riskant, dass sie ausgerechnet hier wachsen, in deiner Nähe?«, hinterfragte Tai. Er konnte sich vorstellen, dass, wenn ein Gott oder Helfer zu sehr von den Stacheln der Götterrosen verletzt werden würde, daran sterben könnte.

»Kann schon sein... Aber wer hätte Interesse daran, sich selbst zu vernichten? Ich würde es keinem einzigen Gott zutrauen, mich oder irgendwen zu verletzen. Einige sind impulsiv«, grinste er, »aber sie sind alle von Grund auf gute Personen. Und würde man es so betrachten, wäre es auch direkt für alle anderen Götter gefährlich, weil sich oft viele von uns im Sonnenreich treffen. Deswegen waren die Götterrosen für mich immer schon eine Art ... Zeichen des Vertrauens. Unter allen Göttern.«

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt