Kapitel 16

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Tage später saß Tai im Schneidersitz draußen vor dem Schloss auf einer Bank. Neben ihm stand ein Baum, an dessen Stamm sich eine Ranke mit hellen weißen Blüten hoch schlängelte.

Das Buch, welches er von Ziya ausgeliehen hatte, lag neben ihm. Mittlerweile hat er es schon ein zweites Mal gelesen.

Seit dem Streit mit Ziya steckte Tai wieder im Alltagstrott fest. Früher hat er es nie so empfunden, aber jetzt kam ihm sein Alltag monoton vor. Jeden Tag das gleiche sehen und tun. Ihm fehlte die Abwechslung – etwas, das er früher nie vermisst hat, weil er es nicht kannte.

Kurz nach dem Vorfall mit Charon hatte Tai sich durch und durch miserabel gefühlt. In der Zeit hat der immer gleich ablaufende Alltag ihm geholfen, das zu verarbeiten. Es gab ihm etwas zu tun, sodass er abgelenkt war. Die Konstanz hat ihn aufrecht gehalten.

Und nun war all das kaum auszuhalten.

Fast wünschte er sich, er hätte sich damals geweigert, bei der Versammlung zu erscheinen. Aber dann hätte er Ziya, Aria und Bell nicht kennen gelernt und hätte nie erfahren, wie es außerhalb des Mondreichs aussah und hätte nie entdeckt, dass sein Leben auch anders sein könnte. Dann hätte er noch immer sein tristes Leben geführt, ohne zu bemerken, dass es trist war.

Nur was nützte ihm dieses Wissen jetzt, wo er sich mit Mini und Ziya gestritten hatte? Er bereute es, sich mit ihnen gestritten zu haben, aber er wusste nicht, wie er das wieder gerade biegen sollte. Tai hatte keine Erfahrung damit – Streitsituationen wusste er bisher immer geschickt zu umgehen. Und in seinem inneren herrschte nachwievor ein Konflikt, der ihm zusätzlich im Weg stand.

Bei Ziya hatte er überreagiert, das war ihm mittlerweile klar – trotzdem war es falsch, dass er alle angelogen hat und sich weggeschlichen hat.

Und wenn Mina die Sache mit Jenny und Marik so unbedingt selbst klären wollte, hätte er ihr das vielleicht doch überlassen sollen? Dann wäre es nicht zum Streit gekommen, doch so etwas zu ignorieren, wäre ihm nicht möglich gewesen.

Es brachte ihn zum verzweifeln.

Schritte auf der Treppe neben ihn ließen ihn hochschrecken. Er drehte den Kopf, um in Erfahrung zu bringen, wer da war – und wendete sich gleich wieder ab und blickte wie erstarrt auf den Boden. Mini ging dort hinunter.

Tai hörte, wie die Schritte kurz stoppten. Dann bewegte sich Mini weiter, ging schweigend an ihm vorbei und setzte sich auf die andere Seite der Bank.

Mina seufzte. »Ich hab Ziya hier letztens gesehen«, meinte sie mit gedämpfter Stimme. »Er sah aufgewühlt aus. Was ist da passiert?«

Tai blinzelte stutzig. Er hat nicht damit gerechnet, dass sie überhaupt mit ihm reden würde, geschweige denn ausgerechnet über dieses Thema. »Wir ... haben uns gestritten«, gab er widerwillig zu. Einer Person, mit der man selbst eigentlich noch zerstritten war, von einem Streit mit einer anderen Person zu erzählen war seltsam.

»Oh.«

Tai spürte, dass Mina gern weiter nachgefragt hätte. Vermutlich wüsste sie gern, warum Ziya überhaupt das Sonnenreich verlassen hat. Glücklicherweise hielt sie sich mit Fragen dieser Art zurück.

»Das war nicht das einzige, worüber ich mit dir reden wollte«, brachte sie dann übereilt hervor.

Tai nickte. »Das dachte ich mir schon.«

»Ich möchte immer noch nicht, dass du dich in ... das zwischen Ziyas Helfern und mir einmischst«, stellte sie klar. Der Ton ihrer Stimme verriet, dass sie es ernst meinte. »Aber können wir uns trotzdem wieder vertragen?«

»Ich weiß nicht, ob ich das akzeptieren kann.«

»Warum?«

»Denkst du wirklich, ich könnte es einfach so hinnehmen, wenn ich mitbekomme, wie die so mit dir reden?«, fragte er und sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

Mini kaute auf ihrer Unterlippe herum und sah angestrengt zur Seite. »Wir müssen doch wahrscheinlich eh nicht so bald wieder ins Sonnenreich. Und wenn du doch nochmal zu einer Versammlung musst, dann nimmst du einfach einen anderen Helfer mit. Okay?«

Was sollte er daraufhin antworten? So würde er trotzdem mit dem Wissen leben müssen, dass Mini und Ziyas Helfer sich fast jedes Mal, wenn sie sich sahen, nicht gerade harmlose Dinge an den Kopf warfen. Allerdings ... wenn Mini irgendwann nicht mehr allein damit zurechtkommen würde, würde sie ihn bestimmt letztendlich doch um Hilfe bitten. Mit diesem Gedanken beruhigte er sich.

Tai nickte. »Okay.«

Mina grinste ihn glücklich an und sprang dann auf. »So, ich muss dann auch schon wieder los.« Sie stand schon auf der untersten Treppenstufe, da drehte sie sich nochmal zu ihm. »Du solltest versuchen, das mit Ziya zu klären. Ich weiß nicht, was da bei euch los war, aber ich hab ihn vorher noch nie so unglücklich gesehen.«



Tai zog sich in die Bibliothek zurück, nachdem Mina das Mondreich kurz verlassen hatte, um Yanil zu besuchen. Zur Abwechslung kam er dort mal nicht hin, um zu lesen, sondern um sich um die Pflanzen zu kümmern. Manchmal bekamen sie seltsame Wachstumsschübe und dann wuchsen Ranken quer über Bücherregale oder es öffneten sich zu viele Blütenknospen, sodass es zu hell wurde.

Mit einem Lächeln im Gesicht machte Tai sich an die Arbeit.



Als die störenden Pflanzenteile und überflüssigen Blumen entfernt waren, ließ Tai sich seufzend auf einen weichen Sessel fallen und den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken.

Er atmete tief aus. Sein Körper fühlte sich leichter an. Das kam wohl davon, dass der Streit mit Mina aus der Welt geschafft war. Trotzdem konnte er noch nicht ganz unbeschwert atmen.

Tai legte den Kopf zur Seite und öffnete die Augen spaltbreit. Neben ihm stand ein kleiner Holztisch, auf dessen Oberfläche sich die Lichter der Blumen spiegelten. Auf ihm ruhte eine schmale Vase aus Glas, in ihr die Götterrose, die Ziya ihm geschenkt hat. Sie war noch so schön, wie an dem Tag, an dem Ziya sie ihm mit seinen zerkratzten Händen entgegen hielt. Wie lang würde sie wohl noch dieses Aussehen beibehalten?

Tai beugte sich vor und strich vorsichtig an einem Blütenblatt entlang.

Er hatte nun eine ungefähre Vorstellung davon, wie man mit einem Streit umgeht, wenn man ihn beenden möchte.

Der Schlüssel zu allem war, miteinander zu reden. Und vielleicht sollte er den ersten Schritt machen und das Gespräch mit Ziya beginnen.

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt