Kapitel 5

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In Gedanken war Tai immer noch bei Mini und hatte die Augenbrauen zusammengezogen.

Das Foyer, das er durchquerte, besaß einen großen weißen Springbrunnen, der ihn an zu Hause erinnerte. Leider war das die einzige Form von Wasser im Palast, und solche Brunnen standen nur in wenigen Räumen. Anders als im Mondschloss, in dem beinahe jeder Raum mit dem weit verzweigten Rinnennetz verbunden war.

Das Plätschern des türkisfarbenen Wassers vermischte sich mit dem leisen Geplauder der Götter und Helfer, die auf Bänken, dem Brunnenrand oder dem Boden saßen.

Die vielen neugierigen Augenpaare, die auf ihm lagen, nahm er gar nicht richtig war.

In seinem Inneren kämpften zwei Wünsche miteinander. Einerseits war da der Wunsch, Mini irgendwie zu helfen und sich gemeinsam mit ihr diesem Problem zu stellen, andererseits wünschte er sich Ablenkung, damit er nicht mehr darüber nachdenken müsste.

Die Entscheidung wurde ihm durch Aria abgenommen, die wie aus dem Nichts vor ihm auftauchte. Schwebend. Und über Kopf.

Tai legte den Kopf schief. »Was machst du da...?«

»Ähm, vor dir schweben?«, lachte sie, als könnte sie nicht verstehen, warum Tai so eine Frage stellt. »Bist du vielleicht blind, oder so?«

Tai konnte sich ein Augenrollen und ein angestrengtes Seufzen nicht verkneifen. An Aria würde er sich nicht so schnell gewöhnen.

»Den Palast kennst du auch noch nicht so gut, oder?«, plapperte sie weiter und ließ den Wind so wehen, dass sie sich drehte und ihre Füße auf dem Boden aufkamen. »Wir könnten die Tour einfach hier fortführen! Was hältst du davon?«

Über dieses Angebot musste Tai nicht lang nachdenken. Zwar hieß das, er musste noch mehr Zeit mit Aria verbringen, aber es war die perfekte Gelegenheit, um sich abzulenken. Aria war natürlich nett, besaß aber für Tais Verhältnisse zu viel Energie. Und sie hatte eine Spontanität und Kindlichkeit inne, mit der er nicht so ganz umzugehen wusste.

Allerdings hatte er einen kleinen Einwand.

»Ich denke, den ganzen Palast muss ich nicht kennen, das wäre zu viel des Guten. Es gibt hier doch bestimm eine Bibliothek, oder? Wie wäre es, wenn die zu unserem Ziel machen und zeigst mir alles wichtige, was auf dem Weg dahin liegt?« Damit würde er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

»Klar, wenn du das willst«, meinte Aria. »In welche Bibliothek willst du denn?«

Die Frage verwirrte ihn. »Ihr habt ... mehrere?«

Aria nickte wild. »Zwei um genau zu sein. Eine für Bücher aus der Götterwelt und eine andere für Bücher aus der Welt der Sterblichen.«

Tai sah sie ungläubig an und öffnete unbewusst den Mund ein kleines Stück. Noch nie in der gesamten Zeit seiner Existenz hat er ein von Menschen geschriebenes Buch in den Händen gehalten. Seine Fingerspitzen kribbelten bei dem Gedanken daran. Bisher konnte er nur davon träumen, zu wissen, was die Sterblichen für Geschichten schreiben und wie sich ihre Erzählungen von denen aus der Götter unterscheiden.

»Ich möchte die Bücher der Sterblichen sehen!«, sagte er vor Aufregung etwas zu laut.



Die Bibliothek war größer, als er je vermutet hätte, mindestens zehnmal so groß wie seine eigene im Mondschloss.

In ihr standen meterhohe Regale aus hellem Holz, dicht an dicht gestellt, die lückenlos abertausende Buchrücken präsentierten. Es gab viele verschiedene Räume und Stockwerke, die jeweils verschiedene Genres und Themen beherbergten und selbst das Alter der Werke berücksichtigten. Von antiken Schriftrollen bis zu modernen Romanen gab es alles nur Denkbare.

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt