Kapitel 2

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Nach nur einem Schritt war es, als wäre Tai in einer ganz anderen Welt gelandet. Gut, in gewisser Weise war er das ja auch.

Hinter der spiegelähnlichen Oberfläche wartete eine hohe, lichtdurchflutete Halle auf ihn. In dieser gab es nicht nur ein Portal, sondern es waren unzählige, die auf mehreren Etagen angebracht waren. Wo Tai im Erdgeschoss angekommen war und direkt zum Flur laufen konnte, mussten andere erst mehrere Treppen hinunter steigen.

Tai drehte sich zu dem Portal um, aus dem er eben gekommen war. Kein Spiegelbild sah ihm dort entgegen, sondern nur ein Abbild des Mondschlosses. Diese Portale schienen jeweils nur ein Ziel zu haben, damit es kein Gedränge gab, wenn alle Götter fast zeitgleich an- und abreisten.

Auch wenn Tais Laune nicht die beste war, musste er zugeben, dass es hier beeindruckend aussah. Trotzdem bevorzugte er das dunkle Thema seines Schlosses. Die Helligkeit hier stach in seinen Augen. Als würde das Gebäude selbst, die Wände und der Boden wie eine Sonne strahlen.

Der Flur außerhalb des Portalraums, welcher sie zur Versammlungshalle führte, war genauso gestaltet. Auf dem Boden lagen lange, beigefarbene Teppiche, die ihre Schritte dämpften.

Ein kühler Luftzug erwischte Tai im Rücken und verpasste ihm Gänsehaut auf den Armen. Verwirrt davon - denn es gab keine offenen Fenster oder ähnliches in der Nähe - verlangsamte er seine Schritte und warf einen Blick über seine Schulter. Mit dem Ergebnis dass er vor Schreck kurz zusammenzuckte und ausweichend einen Stück zur Seite sprang.

Eine Frau flog scheinbar vom Wind getragen auf ihn und Mini zu. Ein weites Grinsen zierte ihr Gesicht und ihr langer, luftiger Mantel flatterte wild hinter ihr her, ebenso wie ihre geflochtenen Zöpfe.

Kurz vor einem Zusammenstoß kam sie in eine senkrechte Position und ließ sich eher weniger elegant auf den Boden fallen. Ohne die Geschwindigkeit groß zu drosseln lief sie zwischen ihnen hindurch, drehte sich und stoppte sich selbst, indem sie direkt vor Minis Füße sprang. »Mini!«

Tais Helferin hielt mit einem überraschten Quietschen an, das sie nicht unterdrücken konnte und zog die Arme schützend an ihren Körper. Dann erkannte sie jedoch, von wem sie da überfallen wurde und entspannte sich wieder.

Während Tai nur wie vom Blitz getroffen daneben stand, umfasste die ihm fremde Person Minis Gesicht und drehte es aufgeregt von der einen zur anderen Seite. »Ah, du bist genauso süß wie letztes Jahr!«

»Freut mich auch, dich wieder zu sehen...« Die Hände der Frau entfernte sie aus ihrem Gesicht.

»Ja, das ist einfach wundervoll! Lass uns später auf jeden Fall was zusammen unternehmen«, rief sie und griff nach Minis Händen. Ein starker Wind kam auf und die Frau beförderte sich selbst und Mini in die Luft, um sich mit ihr zu drehen.

»Aria!«, kreischte Mini panisch, als ihre Füße unfreiwillig den Boden verließen.

Tai sah dem Treiben derweil stirnrunzelnd zu. Nebenbei fragte er sich, warum es niemanden sonst interessierte, was hier vorging. All die anderen Götter und Helfer um sie herum gingen einfach weiter und beachteten sie nicht besonders. Vielleicht hatten sie sich schon daran gewöhnt.

Wieder auf dem Boden angekommen richtete sich die Aufmerksamkeit der Fremden zu Tais Bedauern auf ihn selbst.

»Du musst der Mondgott sein...« Ihr Mund formte sich zu einem »O« und sie starrte ihn aus großen, mit Neugier gefüllten Augen an.

Unsicherheit begann an Tai zu nagen. Seit Ewigkeiten musste er sich nicht mit dem Kennenlernen von Göttern oder Helfern befassen und jetzt stand diese Frau vor ihm, die mehr Energie in sich trug, als jeder, den Tai kannte.

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt