Kapitel 15

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Tai und Ziya lagen nebeneinander auf den weichen Decken und Kissen, die überall im Raum verteilt waren. Aus den wenigen Minuten, die vorgesehen waren, wurden eine halbe Stunde, vielleicht auch schon mehr, keiner von beiden konnte es so richtig einschätzen.

Ursprünglich hatte Tai geplant, nach ein paar Minuten das Buch holen zu gehen und Ziya dann nach Hause zu schicken. Das Buch lag auch neben ihm, aber er hat es einfach nicht übers Herz gebracht, Ziya schon weg zu schicken. Er wollte sein Lächeln noch ein wenig länger sehen, seine Stimme noch etwas mehr hören - er wollte ihn noch länger in seiner Nähe haben.

»Und, haben sich deine Augen schon an die Dunkelheit gewöhnt, oder brauchen sie noch ein paar Tage?«

»Ja, haben sie«, lachte Ziya. »Zum Glück, sonst könnte ich das Schloss gar nicht richtig sehen!«

»Aber zumindest die Blumen hättest du gesehen.«

»Schon, aber ich würde den Rest vermissen, das, was im Dunkeln liegt und kaum Licht abbekommt, das macht das alles hier doch erst aus«, schwärmte Ziya vor sich hin und deutete auf die gewölbte Decke und die Pflanzen, die an ihr wuchsen. Sie waren selbst für Tai gerade so erkennbar. Nur wenige Blumen blühten dort.

»Und trotzdem warst du meiste Zeit über nur hier und hast kaum andere Teile vom Schloss gesehen.« Er tastete ohne hinzusehen nach einem Kissen und schob es unter seinen Kopf. Dann sah er zu Ziya hinüber. »Du musst bald zurück.« Tai dachte an das, was Ziya ihm erzählt hatte. Nur ein einziges Mal wollte er das Sonnenreich verlassen und dann für immer dort bleiben. Er würde den Rest des Schlosses nie mit eigenen Augen sehen können.

Ziya war kurz still. »Wenn ich mir so viel auf einmal ansehen würde, könnte ich mir doch nichts davon merken. Da bleibe ich lieber die ganze Zeit hier und kann mich später an jedes Detail von diesem Raum erinnern.«

»Hm.« Tai verschränkte die Arme hinter dem Kopf und richtete den Blick wieder auf die Decke. »Weißt du, ich bin immer noch ein bisschen überrascht davon, dass dir deine Helfer wirklich die Erlaubnis gegeben haben, hierher zu kommen. Und das auch noch allein.«

Wieder kehrte Stille ein. Nur das Plätschern von Wasser war zu hören. Dann das Rascheln von Stoff. » Ja...«

Tai stockte. »Ziya...?« Ihm gefiel der Ton von Ziyas sonst so heller Stimme nicht. Er war von Zögern und Unsicherheit getrübt.

Er bekam keine Reaktion.

Tai richtete sich auf und suchte Ziyas Blick, aber der Sonnengott sah angestrengt in eine andere Richtung. »Ziya, sie haben es doch erlaubt, oder? Du hast doch ihre Zustimmung?«

»Nicht direkt, also...«, murmelte er und richtete sich auf. »...eigentlich gar nicht.« Erst da wagte er es, Tai anzusehen.

Tai spürte, wie sein Blut anfing zu kochen. Es kostete ihn viel Mühe, seine Stimme ruhig zu halten. »Hast du überhaupt mit jemandem darüber geredet?«

Noch leiser, sodass Tai es kaum hören konnte, meinte Ziya: »Nein. Niemand weiß, dass ich hier bin.«

»Wie... Wie kannst du sowas tun?!«, verlangte Tai fassungslos zu wissen und schlug mit geballter Faust auf den Boden. Die Decken dämpften seinen Schlag.

»Wenn ich mit ihnen gesprochen hätte, dann hätten sie so lang auf mich eingeredet, bis ich nicht mehr von diesem Plan überzeugt gewesen wäre. Das weiß ich, ich kenne sie doch! Ich wollte doch nur einmal die Welt außerhalb vom Sonnenreich sehen«, verteidigte Ziya sich zurückhaltend.

»Toll, das hast du auch geschafft, aber jetzt wirst du definitiv nie wieder etwas anderes als das Sonnenreich sehen! Du warst so lang weg, deine Helfer haben mit Sicherheit schon gemerkt dass etwas nicht stimmt. Sie werden erfahren, was du getan hast und dann bist du wirklich dort eingesperrt, ob du willst oder nicht.« Tai schüttelte den Kopf und sah ihn ernst an. »Du hättest das nicht tun sollen.«

Ziya schnappte nach Luft. Er öffnete und schloss den Mund immer wieder. Er wirkte entmutigt. »Warum... Ich dachte du würdest mich verstehen.«

Tai lachte auf. So gern er ihn auch hatte, er konnte in diesem Moment einfach nicht verstehen, wie er sich zu dieser Tat entscheiden konnte. Und die Tatsache, dass Ziya ihn angelogen hat, verletzte ihn mehr als er zugeben wollte. »Wie soll ausgerechnet ich dich denn verstehen? Ich wollte nie von hier weg, nur diese verdammte Versammlung hat mich dazu gezwungen. Und du konntest nie weg, du hast es dir sogar selbst verboten!« Und Ziya war der wichtigste Gott und Tai einer der unwichtigsten. Diesen Gedanken behielt er für sich.

Nun wurde Ziya auch laut: »Aber was ist so schlimm daran, dass ich hier her gekommen bin?! Ich wollte doch sowieso nur einmal weg, mir ist es egal, ob ich danach nie wieder das Sonnenreich verlassen kann, oder nicht.«

»Was so schlimm daran ist?« Tai sah ihn ungläubig an. Er konnte nicht länger still sitzen, also sprang er auf und stampfte hin und her, während er weiter redete. »Du bist ganz allein her gekommen, niemand weiß, dass du hier bist, dir hätte sonstwas passieren können! Wir sind geschützt durch den Wall, aber wer sagt, dass die Schatten nicht doch plötzlich einen Weg hier rein finden?!«

Ziya sah aus, als wollte er etwas sagen, aber Tai war so in Rage, dass er sich nicht unterbrechen ließ. Selbst wenn er wollt hätte, wäre es ihm nicht möglich gewesen, seine Zunge jetzt noch zu zügeln. »Du hast dich selbst und alle anderen in Gefahr gebracht! Das war einfach nur dumm.« Und du hast mich angelogen, fügte er im Geiste hinzu.

Ziyas Augen verengten sich und er zog die Augenbrauen zusammen. Entschlossen stand er auf und sah ihn verärgert an. Seine Hände zitterten. »Warum hab ich nur gedacht, du könntest das verstehen«, schnaubte er bitter. »Ich sollte jetzt wohl besser gehen.« Er wandte sich ab und ging mit festen Schritten auf den Ausgang zu. »Auf Wiedersehen, falls wir uns überhaupt nochmal wieder sehen, wenn dich nur Versammlungen dazu bringen können, hier weg zu gehen.« Er klang traurig, wütend und enttäuscht zugleich.

Tai sah ihm hinterher, bis Ziya hinter einer Ecke verschwand.

Er brauchte ein paar Minuten, um sich wieder etwas zu beruhigen und den finsteren Blick aus seinem Gesicht zu verscheuchen. Aber er spürte noch immer, wie die Wut in ihm köchelte. Für einen Moment fragte er sich, was eben in ihn gefahren ist. Eigentlich war er nicht so temperamentvoll und behielt sonst einen kühlen Kopf.

Vielleicht lag es daran, dass er es insbesondere Ziya niemals zugetraut hätte, so etwas zu tun. Er konnte es immer noch nicht ganz fassen.

Langsam wurde ihm auch bewusst, in was für einer Situation er selbst sich jetzt befand. Er hatte sich nicht nur mit seiner besten Freundin gestritten, sondern nun auch mit Ziya. Er stand mit den Personen, die ihm im Moment am wichtigsten waren, auf Kriegsfuß. Aber er war nicht bereit dazu, auch nur mit einem von ihnen zu reden.

Grimmig setzte er sich. Sein Blick fällt neben sich auf den Boden. Das Buch, das Ziya als Vorwand genutzt hat, um ins Mondreich zu kommen, lag immer noch dort.

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt