Kapitel 22

27 1 0
                                    

Ziya versuchte still zu sitzen, während er die Blätter überflog und sie einem der Stapel zuordnete, er versuchte es wirklich. Aber es gelang ihm nicht. Mal saß er auf seinen Beinen, die er unter sich gefaltete hatte, dann lag er auf dem Bauch, rollte sich auf den Rücken, saß sich im Schneidersitz hin, mal das eine, mal das andere Bein aufgestützt. Vernünftig sitzen ging nicht, also stand er stattdessen auf, lehnte an der Wand, stieß sich ab, schwankte hin und her, trat auf der Stelle herum-

»Ziya!«, rief Jenny plötzlich und schlug mit der flachen Hand auf den Boden. Dann atmete sie tief durch und blinzelte ihn mit einem gestressten Lächeln an. »Hättest du wohl die Güte, dich wenigstens für ein paar Minuten nicht zu bewegen?«

»Hm? Oh, ja, 'tschuldigung...«, sagte Ziya verlegen und setzte sich wieder auf den Boden. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er sich so viel bewegt hat. Jetzt musste er sich noch etwas mehr anstrengen, sonst würde er am Ende allein mit den ganzen Wünschen sein, die den Boden des ganzen Raums einnahmen.

Hinter sich hörte er Marik, der an der Wand gelehnt saß, leise lachen.

»Hey hey, Klappe halten! Tu nicht so, als würde dich das nicht nerven«, beschwerte sich Jenny und strich sich die krausen roten Haare aus dem Gesicht. »Zwerg«, warf sie noch hinterher.

»Nicht jeder ist so empfindlich wie du und bekommt immer gleich einen Nervenzusammenbruch«, zog Marik sie auf.

»Empfindlich?!«

Ziya unterbrach sie und wandte sich an Jenny: »Warum nennst du Marik Zwerg?« Er fand es unpassend, allein wegen dem Aspekt, dass Marik sogar Ziya überragte, und Ziya konnte man auch nicht unbedingt als klein bezeichnen.

Jenny beendete den Starrwettkampf mit Marik und grinste Ziya hämisch an. »Soll ich ihm etwas unter die Nase reiben, dass er Riese ist? Oh nein, das kommt nicht in Frage.«

Auflachend sah Ziya zu Marik hinüber, aber der sah nicht aus, als hätte ihn das Gesagte gestört. Er sortierte weiterhin seelenruhig die Wünsche, die Ziya im Laufe des Tages noch so gut wie möglich erfüllen musste.

»Hey, beschwer dich gefälligst...«, grummelte Jenny.

»Damit würde ich dir einen Gefallen tun, also werde ich das definitiv nicht tun.«

Selbst wenn er Jenny damit nicht in Karten spielen würde, würde Marik niemals die Wut von sich Besitz ergreifen lassen. Von außen wirkte er grob, temperamentvoll, hitzköpfig, aber in Wirklichkeit war er die Ruhe selbst. Das hatte Ziya schon immer an ihm bewundert.

Jetzt, nachdem wieder Ruhe in den Raum eingekehrt war und alle sich ihrer Arbeit widmeten, geisterte Ziya erneut der gestrige Tag im Kopf herum. Es ließ ihn nicht los, was Tai ihm offenbart hatte. Ziyas gute Laune wurde etwas gedämpft. Er konnte noch nicht ganz fassen, wie Tai von sich dachte. Noch dazu hatte der Mondgott so darüber geredet, als wäre ihm dieser Fakt sonnenklar und als hätte er es ohne jeden Zweifel und jedes Hinterfragen akzeptiert.

Am Ende reflektiert der Mond doch nur das Licht der Sonne, hatte Tai gestern gemeint. Ziya war zu erschüttert gewesen, um darauf noch etwas erwidern zu können. Aber mittlerweile hatte er hunderte Punkte zusammen gesammelt, mit denen er Tai widersprechen könnte.

Tai leuchtete innerlich, ebenso wie äußerlich. Und das würde er auch, wenn er nicht der Mondgott wäre und sowieso immer von Licht umgeben. Tais Augen waren hell, die Farbe ebenso silbern-gelblich wie der Vollmond und seine Lichtmagie. Ziya liebte diesen sanften Blick, den sie inne hatten, wenn sie nicht von Sorgen getrübt waren und Tai fröhlich war und lächelte.

Die Ruhe und Eleganz, die er ausstrahlte, war unfassbar – wenn er ging, wenn er redete, egal was, wann, wie. Da war auch noch etwas Mysteriöses um ihn herum, als gäbe es noch Geheimnisse, die im Dunklen versteckt sind.

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt