Kapitel 8

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»Die Debatte zum Thema Schatten ist jetzt nach einigen Diskussionen abgeschlossen. Ich verkünde nun das Ergebnis. Es steht fest und ist nicht zu widerrufen.« Ziya senkte den Kopf für einen Augenblick.

Der Sonnengott stand als einziger im Versammlungsraum und alle weiteren Anwesenden hielten die Augen auf ihn gerichtet. Die Spannung war fast greifbar - jeder wollte wissen, wie das Resultat aussieht. Jeder wollte wissen, ob er sich freuen konnte oder nicht.

»Es war ein langes hin und her«, fuhr Ziya fort. Man konnte einen seltsam trägen und monotonen Unterton aus seiner Stimmer heraushören. Das, was er sagen sollte, widerstrebte ihm, und das wollte er verstecken. »Die Argumente und die Stimmen dafür und dagegen wurden ausgewertet und es wurde beschlossen, die Untersuchungen bezüglich der Schatten zu verstärken, um ihren Ursprung zu finden. Aufgrund fehlender Nachweise von Übergriffen auf Helfer oder Götter wird jedoch nichts aktiv gegen die Schatten unternommen.« Der Sonnengott ließ sich auf den Stuhl hinter sich fallen und fuhr mit den Händen durch seine rot-blonden Haare.

Tai drückte seine Fingernägel in die Handflächen. Er spürte, wie sein Gesicht bleich wurde - noch bleicher als sonst - und sein Leuchten schwächer wurde. Es war nicht richtig. Dieses Ergebnis war einfach nicht richtig. Der Kompromiss schloss beide Interessengruppen ein, aber es war zu wenig. Beinahe lächerlich, wie viele sich gegen den Gedanken wehrten, dass die Schatten eine ernstzunehmende Bedrohung waren.

Fast eine Woche hatten sie auf das Ergebnis warten müssen, so lang waren die Portale nicht benutzbar, und jetzt diese Nachricht. Es war im Grunde nichts, was sie gegen die Schatten unternahmen.

Tai zwang sich dazu, seinen Kopf zu heben und sah sich die Reaktionen der anderen an. Er erblickte viele zufriedene Gesichter, einige unzufriedene, aber derjenige, der am unglücklichsten darüber war, war wohl Ziya. Die große Distanz zwischen ihnen konnte Tai nicht daran hindern, das wahrzunehmen. Die Trauer und Verzweiflung schwappten in Wellen zu ihm hinüber und ließen Tais Herz noch schwerer werden.

Die Sonne sollte strahlen und nicht von Wolken verdeckt werden.



Ziyas bitterlich verzogenes Gesicht wollte Tai einfach nicht aus dem Kopf gehen, noch lange nachdem er den Versammlungsraum verlassen hatte. Darum beschloss er, den Sonnengott zu suchen, um zu versuchen, ihn aufzuheitern. Ihm war noch nicht ganz klar, wie er das bewerkstelligen sollte, wenn er sich selbst schon nicht aufheitern konnte, aber irgendwas würde ihm schon einfallen. Vielleicht. Wahrscheinlich nicht...

Als sie den Raum verlassen hatten, war Ziya den Weg entlang gegangen, der unter anderem zum Garten führte. Dort würde er ihn zuerst suchen.



Lang brauchte er auch nicht, um ihn zu finden. Ziya war nicht weit in die Gartenanlage hinein gelaufen und saß auf einer schmucklosen, massiven Bank aus Stein. Seine Unterarme waren auf die Beine gestützt und sein Kopf gesenkt. Mit dem gekrümmten Rücken und schlaff herunter hängenden Händen sah er kraftlos aus, so viel kleiner als sonst.

Tai setzte sich nach seiner Entdeckung wieder in Bewegung, da flatterte ein kleiner, grün gemusterter Schmetterling auf den Sonnengott zu und setzte sich auf seine Hand. Davon aufgeschreckt sprang Ziya auf und verjagte damit den Schmetterling. Dann erhellte sich plötzlich sein Gesicht und sah dem Insekt begeistert nach und lief ihm ein paar Schritte im Kreis hinter. Der Trübsinn, der ihn bis eben noch gefangen hielt, war verschwunden.

Ziya steckte wirklich voller Überraschungen, stellte Tai fest, der den raschen Stimmungswechsel verwundert beobachtet hat. Bis er alle Eigenarten des Sonnengottes kennen könnte, müsste viel Zeit vergehen. Bisher hat er wahrscheinlich nur an der Oberfläche gekratzt.

»Tai, was machst du denn hier?« Ziya entdeckte ihn und lief auf ihn zu. Seine goldenen Augen verloren wieder etwas an Glanz.

Ja, was wollte Tai eigentlich hier? Er wollte Ziya aufheitern, aber das konnte er jetzt nicht einfach so sagen, oder? Zögernd begann er zu sprechen: »Ich ... wollte sehen, wie es dir geht? Du sahst niedergeschlagen aus.«

»Ach das...« Er ließ die Arme neben seinem Körper schwingen und richtete verlegen die Augen auf den Boden. »Mir hat das Ergebnis nicht gefallen. Ich wollte es eigentlich nicht so sehr zeigen, aber das hat wohl nicht so gut geklappt...«

Kurz herrschte Stille, da Tai endgültig nicht mehr wusste, was er sagen sollte oder konnte. Verflucht seien seine nicht vorhandenen sozialen Fähigkeiten. Mussten sie ihn immer in solche Situationen bringen?

Da fragte Ziya hoffnungsvoll: »Wollen wir spazieren gehen?«

»Was?« In letzter Zeit war Tai seiner Meinung nach genug umher gewandert. »Äh, ich weiß nicht, wir könnten doch einfach hier sitzen...«

»Komm schon, du hast mich gesucht, weil du gesehen hast, dass ich traurig war, also kümmerst du dich logischerweise um mein Wohlergehen«, schlussfolgerte Ziya mit einem Fünkchen List in der Stimme. »Gehst du mit mir spazieren, dann geht es mir bestimmt gleich besser!«

Tai spürte, wie seine Ohren warm wurden, denn es war die Wahrheit. Sonst wäre er ihm schließlich nicht gefolgt. »Okay«, grummelte er, unzufrieden darüber, wie leicht Ziya ihn eben manipulieren konnte.



Also gingen sie zusammen spazieren. Sie redeten über dieses und jenes, genau wie zu dem Zeitpunkt, als sie am Wall waren. Mit dem Unterschied, dass sie diesmal gingen und nicht saßen oder lagen.

Dann fiel Tai erneut die Barriere auf, die Ziyas Privatgarten vom restlichen Grundstück trennte. Seine Zunge war schneller als sein Kopf und er fragte: »Warum hast du einen privaten Garten?«

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Ziya kurz stoppte und danach mit schnellen Schritten wieder zu ihm aufschloss.

Ein wehmütiges Lächeln lag auf seinen Lippen als er antwortete: »Ich weiß nicht, ob du das schon wusstest, aber ich darf das Sonnenreich nicht verlassen. Selbst mit den Portalen darf ich keine anderen Reiche besuchen. Diese Bestimmung haben meine Helfer und ich mir vor sehr langer Zeit auferlegt. Für das Wohl aller, für das der Sterblichen und sogenannten Unterblichen, darf ich nichts riskieren. Wenn ich vernichtete werde, brechen unsere beiden Welten zusammen. Einfach so.« Er schnipste mit den Fingern. »Weg. Deswegen habe ich mich selbst hier eingesperrt«, lachte er leise.

Ziya fühlte sich nicht imstande ihn zu unterbrechen oder auch nur ein Wort hervor zu bringen.

»Hier werde ich eigentlich immer überwacht, aus der Ferne oder Nähe, man könnte sagen, egal wohin ich gehe, es liegen fast immer Blicke auf mir. Versteh das nicht falsch, ich habe ganz und gar nichts gegen Aufmerksamkeit«, warf Ziya eilig dazwischen, »aber manchmal wird es zu viel und ich will mich zurück ziehen. Im öffentlichen Garten geht das nicht wirklich gut, weil hier oft viele meiner Helfer oder andere Götter sind. Dann hab ich mir den Privatgarten bauen lassen. Damit ich - ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll - einen Ort habe, zu dem zurück kehren kann. Ein Rückzugsort, etwas, das nur mir gehört.«

Diese Informationen konnte Tai nur schwer verarbeiten. Zusammen mit dem Gedanken, dass Ziya ihm das ohne viel Zögern preis gegeben hat, überwältigte es ihn.

Ziya war hier eingesperrt. In gewisser Weise zumindest. Er befand sich in einem großen, schönen Käfig, doch dessen Tür war nicht abgeschlossen, sie stand sogar einen Spalt breit offen. Der Schlüssel lag am Boden neben dem Sonnengott.

Nicht die Gitterstäbe waren es, die ihn daran hinderten zu entkommen, sondern er selbst.

Es war unheimlich. Wie konnte er sich augenscheinlich so wenig daran stören, dass er das einfach so erzählt? Wie konnte Ziya nach Millionen von Jahren immer noch lächeln und beinahe ohne Pause fröhlich und ausgelassen sein und sich nicht dieser selbst aufgestellten Regel widersetzen?

Zu gern hätte er diese Fragen beantworten lassen, aber er wollte Ziya damit nicht bedrängen. Und außerdem kam in diesem Moment Jenny auf sie zugelaufen und blieb vor Ziya stehen. Ihr Gesichtsausdruck blieb neutral wie immer, als sie sprach: »Es gibt da gerade ein winziges Problem...«

Silver Light [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt