Kapitel 6

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Auf dem ganzen Weg nach Hause wusste ich nicht was ich denken, was ich fühlen sollte. Im Grunde genommen fühlte ich eigentlich gar nichts, war ein bisschen wie betäubt.

Ich hatte gerade ernsthaft meinen Exfreund wieder gesehen. Seit einem Jahr hatte ich dieses Schwein nicht mehr zu Gesicht bekommen - erfreulicherweise. Ihn jetzt hier wieder zu sehen, bereitete mir einen unheimlichen Schock.

Klar wusste ich, dass er wahrscheinlich immer noch in Hamburg lebte, schließlich hatte ich vor nicht allzu langer Zeit hier mit ihm zusammen gewohnt. Dennoch war ich nicht davon ausgegangen, ihn jemals wieder zu sehen. In einer Stadt wie Hamburg. In einer Welt, die meiner eigentlich so unterschiedlich war.

Normalerweise hätte ich ihn auch von hinten erkennen müssen. Doch wie hätte ich in dem Moment damit rechnen sollen, dass mein Exfreund in einem Supermarkt arbeitete. Warum er das tat wusste ich nicht, denn vor einem Jahr hatte er noch einen angesehenen Job in einer der größten Firmen Deutschlands. Ob er nur in seiner Freizeit im Supermarkt arbeitete?

Ich konnte und wollte mir gar keine Gedanken über Jonas machen. So schnell es ging rannte ich nach Hause und schaffte den Weg in gerade mal der Hälfte der Zeit.

"Danke, du bist ein Engel", sagte Sophia und nahm mir sogleich die Milch aus der Hand. Immerhin hier hatte sich alles wieder beruhigt. Immerhin eine gute Sache an dieser ganzen Situation. Seufzend setzte ich mich an den Küchentisch. Nach dieser Begegnung war mir der Appetit total vergangen. Im Gegenteil - mir war kotzübel, wenn ich auch nur an Jonas dachte.

Lustlos schlürfte ich an meinem schwarzen Kaffee in der Hoffnung sowohl die Übelkeit als auch sämtliche Gefühle loszuwerden. Doch natürlich blieb meine Laune nicht unentdeckt. "Was ist los?", fragte mein Vater, als ich gerade den Kopf auf den Tisch legen wollte.

"Nichts, nichts", schreckte ich auf und lächelte ihn an. "Was soll sein?" Damit war das Gespräch beendet und wir fingen an zu frühstücken.

Minuten kamen mir vor wie Stunden. Die letzten Male hatte ich diese Frühstücke immer geliebt, doch gerade wollte ich einfach nur allein sein. Mir schwirrte der Kopf, hatte keine Kontrolle mehr über meine Gedanken. Was machte Jonas im Supermarkt? Wieso musste er genau zu der Zeit, an dem Ort arbeiten, als ich eine einfache Tüte Milch kaufen wollte? Was hatte er das ganze Jahr über gemacht? Hatte er eine Freundin? Lebte er immer noch in unserer Wohnung? Nein, in seiner Wohnung?

Während ich so in Gedanken verrannt war, merkte ich gar nicht, wie mein Vater mit mir sprach. "Was?", fragte ich erschrocken, weil er mich nur fragend angeschaut hatte. "Ich habe gefragt, ob du Lust hast heute ein bisschen mit uns shoppen zu gehen?", wiederholte er seine Frage. "Oder hast du schon andere Pläne?", fragte er, als ich einen Moment zögerte.

Um ehrlich zu sein hatte ich alles andere als Lust mit meinem Vater, seiner Freundin und ihrem Kind in einer völlig überfüllten Mall einkaufen zu gehen. Alles was ich eigentlich wollte war es, mich in meinem Zimmer einzuschließen und mich im Bett zu verkriechen. Doch wie um alles in der Welt konnte ich meinem Vater das antun? Ich war den ganzen weiten Weg hierher geflogen, jetzt musste ich auch etwas mit ihm unternehmen. Zumindest an dem einen richtigen Tag, den ich mit ihm hatte.

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