Bestandsaufnahme

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Irgendwann kam die Nacht und mit ihr alles Dunkle in mir. Allein und ohne die Möglichkeit, irgendetwas zu tun blieben mir nur meine unkontrollierbaren Gedanken und Gefühle.

Noch immer fühlte sich das alles so surreal an und doch hatte mich längst die eiskalte Erkenntnis getroffen, dass das hier echt war. Ich hatte so große Angst, wie noch nie in meinem Leben. Ich fühlte mich so hilflos und einsam. Und ich realisierte mehr und mehr, dass ich in mir selbst gefangen war. Gefangen in einem unbrauchbaren Körper.

Mein altes Leben, so realisierte ich, war für immer zerstört. Das einzige, was blieb, war die Angst.

Ab und zu kam in der Nacht eine Schwester vorbei und riss mich aus dem Strudel meiner Gedanken. Die Schwestern versorgten mich, nestelten an den Maschinen herum und manche sprachen ein wenig mit mir. Ich war für jede Abwechslung dankbar, auch wenn es sich sehr komisch und unangenehm anfühlte, so sehr auf fremde Pflege angewiesen zu sein.

Es war die schlimmste Nacht meines Lebens und ich fieberte auf den Morgen hin. Dieser erlöste mich dann aber auch nicht wirklich. Zwar legte mein Inneres seine Horrorgedanken etwas auf Eis, da ich jedoch keine Möglichkeit hatte, zu kommunizieren blieb mir wieder nichts anderes übrig, als dazuliegen und an die Wand zu schauen.

Und so war ich mehr als erleichtert, als plötzlich Dr Pirosa mit wehendem Kittel in mein Zimmer rauschte. Er schaute mich an, lächelte leicht, nahm sich einen Hocker und setzte sich an meine Seite, während ich ihn nicht aus den Augen ließ.

"Guten Morgen", sagte er, "Wie war die Nacht?" Bescheuerte Frage. Dr. Pirosa schien dies auch zu bemerken, denn er räusperte sich ein wenig unsicher und schaute in die Akten, welche er mitgebracht hatte.

Erst jetzt hatte ich die Möglichkeit, ihn ein wenig genauer zu betrachten. Er war schlank und für einen Arzt sehr jung. Sein Gesicht zierte ein Dreitagebart und Brille und seine Augen, welche gelegentlich kurz zu mir aufschauten, faszinierten mich. Ich musste zugeben, dass ich ihn schon attraktiv fand. Naja. Wenn ich schon nichts anderes tun konnte, als irgendwelche Dinge anzustarren, so würde ich bei ihm wenigstens Spaß dabei haben.

Nun schaute er auf und blickte mir in die Augen. Schließlich schüttelte er leicht seinen Kopf und meinte "Wie auch immer... Ich wollte dir noch sagen, dass du mich ruhig Toni nennen kannst... Also in deinen Gedanken natürlich und hoffentlich bald in Wirklichkeit", fügte er schnell hinzu. Die anschließende Stille schien ihn aus dem Konzept zu bringen. "Äh... Ich dachte das ist vielleicht ein bisschen besser für die Atmosphäre und so. Ich könnte mir zumindest vorstellen, dass es sich besser anfühlt, wenn man einfach so tut, als wäre man Kumpel oder so. Wir werden nämlich wohl oder übel noch einige Zeit miteinander zu tun haben", erklärte er und kratzte sich den Kopf. War er tatsächlich verlegen? Hätte ich gekonnt, hätte ich gegrinst.

"Wie auch immer", sagte Dr Pi... Toni und kam endlich wieder auf eine sichere Bahn zurück. Der verlegene... Kumpel? verschwand und der selbstsichere Arzt gewann wieder die Überhand. "Also. Ich wollte mich mit dir besprechen. Zum Einen was deine Diagnose und zum Anderen was deine Behandlung betrifft."

Ich schluckte. In Gedanken natürlich.

Toni fuhr fort: "Also wie du weißt hattest du einen schweren Autounfall und warst dann lange im Koma. Glücklicherweise hast du von diesem Unfall soweit keine bleibenden körperlichen Schäden zurückbehalten, außer, dass du dich noch nicht bewegen kannst. Das sind die Spätfolgen deiner Hirnblutung und des Komas selbst. Dein Gehirn scheint soweit wir es sehen konnten in Takt, doch du musst nun alle Bewegungsabläufe neu lernen. Auch deine Muskeln müssen gestärkt werden, damit sie sich überhaupt wieder dehnen und strecken können. Ob du wieder vollständig gesund wirst, kann man nicht sagen, aber mit viel Willen und Übung haben schon viele Fälle deiner Art tolle Ergebnisse erzielt."

Kurz schaute Toni mir in die Augen, um eine Reaktion abzuwarten, doch da war nichts. Also sagte er: "Okay. Dann sehen wir uns heute Nachmittag. Du hast jetzt noch Massagetermin, um deine Muskeln zu lockern und Nerven anzureizen. Schau, ob du Gefühl in deinem Körper oder sogar schon Ansätze von Bewegungsmöglichkeiten spürst."

Daraufhin verabschiedete sich mein Arzt und verließ rasch mein Zimmer.

You Restore Me - Tonia Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt