Massage

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Schon bald wurde ich zu meinem nächsten Termin abgeholt. Eine füllige Schwester fuhr mich mitsamt Bett zum Massageraum. Ich hätte nie gedacht, dass ein Leben im Krankenhaus so geschäftigen sein könnte...

Dort angekommen erwartete mich schon ein junger Mann mit asiatischen Zügen. Seine eher kleine Statur machte er mit Muskeln wett und seine Oberarme und Brust waren über und über mit Tattoos bedeckt.

"Hi Nia!", sagte er lächelnd, als ich bei ihm abgegeben wurde. "Ich bin Julien Bam, aber nenn mich Ju. Ich bin dein persönlicher Masseur." Ich blinzelte ihm zur Begrüßung zu. Es frustrierte mich schon wieder unglaublich, nicht einmal 'Hallo' sagen zu können.

Doch Ju machte sich nicht viel aus meiner Stummheit, begab sich aus meinem Blickfeld und machte sich an die Arbeit. Was hatte Toni gesagt? Ich solle gucken, ob ich schon etwas bewegen konnte? Guter Witz. Ich konnte absolut nichts davon spüren, was Ju machte.

"Wahrscheinlich weißt du es nicht, aber ich bin schon ziemlich lange dein Masseur beziehungsweise Physiotherapeut. Aber da lagst du noch im Koma und dass du jetzt wach bist finde ich schon ziemlich... fresh" redete Ju weiter.

Fresh... Wie lange war ich bitte im Koma, dass man dieses Wort sagte? Ich wollte es gar nicht wissen.

Ju fuhr fort: "Physiotherapie übernimmt jetzt zwar hauptsächlich Doktor Pirosa, aber zur Massage und einigen Einheiten wirst du noch öfter zu mir oder meiner Freundin kommen."

Plötzlich hörte ich ein Kreischen. "Neeee!", rief eine offensichtlich weibliche Person, welche sich daraufhin in mein Blickfeld schob. Es war eine zierliche junge Frau, welche über beide Ohren grinste.

Sie wandte sich aufgeregt an Ju: "Mensch, warum hast du mir nichts erzählt?"

Ju lachte. "Ich dachte du wüsstest es!"

Das Mädchen schaute mich wieder an und sagte in einem schrillen Ton: "Nia! Das gibt's nicht, dass du wach bist! Viele hatten ja keine Hoffnung mehr, aber ich wusste immer, dass du es schaffen würdest!"

Sie streckte ihre Hand aus und berührte fasziniert meine Wange, während ihr Grinsen noch breiter wurde. Dann sprang sie wie von einer Nadel gestochen auf und sagte zu Ju: "Eigentlich wollte ich mir nur dein Massageöl für meinen Patienten ausleihen, Schatz." Daraufhin  schnappte sie sich eine Tube mit Öl, gab Julien einen Kuss auf die Wange und verschwand, jedoch nicht, ohne mich ein weiteres Mal anzugrinsen.

Ju blieb bei mir zurück und schaute der Frau nach. "Ähm ja...", sagte er dann zu mir. "Das ist Anni, meine Freundin. Sie ist... bezaubernd."

Ich dachte noch verwundert über meine zwei Masseure, oder was auch immer sie waren, nach, als Ju weitermachte und dabei leise vor sich her summte. "Fly me to the moon..."

Plötzlich spürte ich ein Kribbeln in meinem Nacken, das immer heftiger wurde. Langsam breitete es sich aus und zog in meinen Kopf und mein Gesicht, bevor es auf meinen Rücken und meinen linken Arm überkroch. Es wurde stärker und stärker, bis schließlich alles unerträglich unter meiner Haut prickelte und blitzte. Ich rollte mit den Augen, doch Ju bemerkte es nicht. Er war viel zu vertieft in seine Arbeit.

Kurz hielt das Prickeln an und wurde zu einem Stechen und Brennen, doch so plötzlich wie es gekommen war, so plötzlich ebbte es auch wieder ab. Zurück blieb nur ein regelmäßiges Ziehen und Drücken in meinem Arm.

Ein Blick auf Ju verriet mir, dass dies  keine Phantomschmerzen waren. Er war gerade dabei, meinen Arm kräftig durchzukneten und parallel dazu spürte ich wieder dieses Ziehen. Fasziniert beobachtete ich, was Ju machte, um genau parallel das Zugehörige in meinem Arm zu fühlen. Es fühlte sich seltsam an, ein wenig dumpf und verzerrt, aber es war ein Gefühl! Keine Frage, ich spürte, was Ju machte! Ich hatte Gefühl in meinem Arm!!!

Man kann nicht beschreiben, wie glücklich man in so einer Situation ist.

Dieses dumpfe Gefühl in meinem Arm, das noch nicht einmal angenehm war, bedeutete für mich alle Hoffnung, die ich hatte.
Der erste Lichtblick in den schrecklichen Tagen meines neuen Lebens.
Der erste Beweis, dass es vielleicht doch nicht so hoffnungslos war, wie es sich anfühlte.
Und so ergriff mich ein seltsames Hochgefühl.
Toni hatte Recht.
Alles würde wieder gut werden.

You Restore Me - Tonia Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt