Ich fühlte mich wie gerädert, als ich am nächsten Morgen von einer Schwester abgeholt und zu Dr. Lee gebracht wurde.
Dieser nahm mich in einem der unteren Räume des Krankenhauses in Empfang. Er wirkte anders als bei unserer ersten Begegnung. Gestern hatte er noch viel Wert darauf gelegt, wie er wirkte, nun konnte ich nur pure Konzentration aus seinem Gesicht lesen.
"Guten Morgen, Herr Cavaon", sagte er und gab mir schnell die Hand. "Willkommen in unseren Räumen."
Mit einer ausladenden Bewegung deutete er auf den Raum: Es war ein riesiger Saal, der vollgestopft mit irgendwelchen Gerätschaften war. Einige Männer und Frauen, offensichtlich Mitarbeiter von Dr. Lee, rannten geschäftig herum, stellten Geräte ein, schrieben Dinge auf und räumten Dinge von einem Ort zum nächsten.
Bei dem Anblick dieser ganzen Technik und der Leute konnte ich nicht anders, als das irgendwie spannend zu finden. Trotzdem hatte ich ein mulmiges Gefühl bei der Sache, denn das alles sah irgendwie mehr wie ein Labor aus, als ein Behandlungsraum, außerdem hatte ich ja im Grunde keine Ahnung, was die ganzen Leute hier mit mir vorhatten.
Aber man kann es ja auch so sehen: Ich bin Teil der Medizingeschichte, versuchte ich, mich selbst aufzumuntern.
Doch so viel Zeit, um zu entscheiden, ob ich den Raum spannend oder gruselig finden sollte, hatte ich sowieso nicht. Oder besser gesagt: Doktor Lee hatte nicht viel Zeit, denn er hastete bereits ans andere Ende des Raums, nahm sich eine Akte von einem Stapel und sprach mit einem Mann, der dort arbeitete. Dieser ließ sofort alles stehen und liegen und begleitete Dr. Lee zu mir.
Während der andere Mann Hand anlegte und mich zu einer Maschine schob, durchsuchte Dr. Lee die Akte und meinte nebenbei zu mir: "Offiziell müssen wir jetzt erst einmal eine Stunde damit verschwenden, Ihnen das alles klein in klein zu erklären, aber ich halte das für unwichtig. Wichtig ist, dass es funktioniert und nicht, dass der Patient weiß, warum."
Sofort wurde mir das alles wieder suspekt. Wie konnte Dr. Lee einfach entscheiden, dass ich nicht zu wissen brauche, was mit mir passiert?
Doch ich sagte nichts. Wahrscheinlich hätte mich Lee sowieso nicht mehr gehört, denn er war bereits weg und der andere Mann begann schweigend, mich mithilfe eines anderen Mannes auf eine Trage zu verfrachten und festzuschnüren. Beide gingen dabei höchst präzise und routiniert vor. Jeder Handgriff saß perfekt, doch keiner der beiden Männer schaute mir dabei nur einmal ins Gesicht, geschweige denn, dass sie mit mir sprachen.
Als ich schließlich fertig gefesselt war, konnte ich mich keinen Zentimeter mehr bewegen. Zwar hatte ich keine Platzangst oder so, trotzdem war das ein wirklich komisches Gefühl. Nun wurde ich in eine röhrenartige Maschine geschoben, in der laut summend kleine Laser um mich herum fuhren und irgendetwas auszumessen schienen. Dortdrin musste ich wohl erst einmal einige Zeit warten. Zumindest ging ich davon aus, gesagt hatte mir das natürlich keiner.
Ich atmete tief durch. Das alles hier ging so schnell und es war so... mechanisch. Ich fühlte mich irgendwie benutzt. Wie ein Gegenstand, mit dem man machen konnte, was man wollte, ohne zu beachten, dass da Gedanken und Gefühle drin steckten.
Unwillkürlich musste ich an Toni denken und wie die Behandlungen mit ihm gewesen waren. Zwar waren sie im Grunde auch sehr eintönig gewesen, aber sie hatten trotzdem immer Spaß gemacht, weil Toni sich Mühe gegeben hatte, sie mir angenehm zu gestalten. Außerdem hatten wir die ganze Zeit miteinander geredet und sind dabei sogar oft in tiefgründige und gute Gespräche verfallen.
So etwas konnte ich hier wohl nicht erwarten.
Toni... Was er jetzt gerade wohl tat?
Das Surren schien lauter und lauter zu werden und plötzlich und ohne Vorwarnung kam Panik in mir auf. Vielleicht lag es an den Gedanken an Toni, vielleicht am Gefühl des Ausgeliefert-seins oder auch einfach an der Enge und dem Lärm in der Röhre, doch plötzlich wollte ich nur noch raus. Mir wurde heiß und Schweiß brach mir aus, während ich meine Hände in die Unterlage krallte. Mein Herz pochte laut und schnell und ich begann, schwer zu atmen und mich gegen die Riemen an meinem Körper zu wehren, doch es brachte nichts. Ich war bombenfest an die Liege gekettet. Ich war ausgeliefert. Ich war wieder gelähmt.
Meine Gedanken rasten und ich konnte sie nicht mehr fassen, kein klarer Gedanke war mehr in meinem Kopf, da war nur noch dieses beklemmende Gefühl der Panik.
Beinahe hätte ich laut geschrien, doch ich konnte mich gerade noch so beherrschen. Und so schloss ich die Augen, konzentrierte mich auf meine Atmung und versuchte, ruhig zu bleiben.
Alles wird gut, Nia, sagte ich mir, Jeder hier will dir helfen. Die Leute wissen, was sie tun und vielleicht klappt das alles ja doch. Bestimmt klappt das. Einatmen. Ausatmen.
Langsam ebbte die Panik ab.
Doch auf einmal gab die Röhre einen schrillen Piepton von sich und ich zuckte vor Schreck zusammen, was mir sicher böse Striemen an den Stellen der Riemen bescherte. Ehe ich mich versah, wurde ich mit einem Ruck aus der Maschine gezogen, von mehreren Händen gepackt und einmal quer durch den Raum getragen und auf einer weiteren Liege abgelegt.
Dort schnappte ich erstmal nach Luft und versuchte, mich neu zu orientieren, doch schon fiel mir eine Frau ins Blickfeld. Sie hielt ein Gerät bereit, das verdächtig nach einer Tätowiermaschine aussah und nachdem sie kurz auf ein Tablet geschaut hatte, welches ihr hingehalten wurde, schaltete sie es ein. Ein schiller Ton drang in mein Ohr und ich sah, wie sich die Frau über mein rechtes Bein beugte.
Erneut packte mich die Panik. Sie wollte mich doch nicht tatsächlich tätowieren? Wo war ich hier bitte gelandet?
Kurz bevor sie meine Haut berührte, konnte ich nicht mehr. Mit aller Kraft rief ich: "Halt!"
Die Frau warf ihren Kopf nach oben und schaute mich abschätzig an. Auch andere Mitarbeiter hatten sich umgedreht, um zu schauen, wer hier ihre Arbeit störte.
Dr. Lee eilte herbei. "Was ist los?", fragte er harsch. Die Frau zuckte nur mit den Schultern und deutete mit einer Bewegung des Kopfes auf mich. Lee stemmte nur die Hände in die Hüften und schaute mich auffordernd an.
Mir war klar, ich musste jetzt eine Erklärung für die störende Unterbrechung abgeben, doch mir fehlten die Worte. Ich war noch immer geschockt von dem allen hier.
Was taten sie mit mir?
Hatten sie vergessen, dass ich ein Mensch war und kein Versuchsobjekt?Dr. Lee riss mich aus meinen Gedanken. "Was ist los?", fragte er ungeduldig.
"Ich... Äh...", stammelte ich und versuchte, mich zu erinnern, was gerade passiert war. Plötzlich war ich wieder ganz kleinlaut und verschüchtert. "Wollen... Wollen Sie mich etwa tätowieren?", fragte ich mit leiser Stimme.
Die Frau verdrehte leicht die Augen, während Dr. Lee nur tonlos von sich gab: "Nein, die Farbe geht nach einigen Wochen wieder ab. Weiter machen."
Ich ließ meinen Kopf auf die Liege fallen und schloss die Augen, während das Geräusch der Tätowiermaschine erklang, deren Nadel wohl in diesem Moment in meine Haut stach...
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You Restore Me - Tonia
Fanfiction"Hallo! Mein Name ist Nia Cavaon und ich möchte euch gerne meine Geschichte erzählen..." Ein schlimmer Unfall reißt Nia aus seinem alten Leben und ins Koma. Nach fünf Jahren hat schließlich keiner mehr Hoffnung, dass er je wieder aufwachen könnte, d...