Natürlich übten wir an diesem Tag nicht mehr und ich muss sagen, dass ich froh darüber war. Toni blieb aber noch einige Zeit bei mir und lag einfach nur still mit seinem Kopf auf meinem Bett. Dann raffte er sich schließlich auf, wischte sich mit einem Ärmel über das Gesicht, lächelte mich schwach an und ging.
Ich blieb wieder allein in meinem Zimmer und meine Gedanken fuhren mal wieder Achterbahn. Ich versuchte, mich abzulenken, doch es klappte nicht. Ich musste die ganze Zeit an Toni denken. Daran, was passiert war. Es ging mir noch immer durch Mark und Bein, Toni so gesehen zu haben und dann erst der Gedanke an die Familie, die jetzt ihre Tochter verloren hatte...
Plötzlich musste ich an meinen Vater denken. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es sein musste, jahrelang einen Sohn zu haben, der im Koma liegt und vielleicht nie wieder aufwacht. Und das, nachdem man seine Frau verloren hat und selbst schlimm verletzt worden war... Bisher war ich wütend auf meinen Vater gewesen, weil ich das Gefühl gehabt hatte, er hätte mir eine Unterstützung verweigert, die er mir hätte geben können und müssen. Doch jetzt empfand ich einfach nur Mitleid mit ihm. Sollte ich gesund werden, musste ich ihn unbedingt besuchen und für ihn da sein.
Doch plötzlich regte sich Traurigkeit in mir. Würde ich denn überhaupt jemals gesund werden? Natürlich gab sich jeder hier in meiner Anwesenheit zuversichtlich, aber was, wenn das alles Heuchelei war? Immerhin konnte ich von der Hüfte abwärts noch immer nichts spüren und auch meine Beweglichkeit in Händen und Armen ließ deutlich zu wünschen übrig. Vielleicht würde ich ja für immer hier bleiben. Vielleicht würde ich nie aufstehen und aus dem Fenster schauen können. Und vielleicht ja schon, aber das würde bedeuten, dass ich in eine fremde Welt entlassen werden würde und dann würde ich Toni nie mehr wieder sehen.
Toni... Eigentlich war er ja nur mein Arzt. Doch gleichzeitig war er viel mehr für mich geworden, das konnte ich nicht leugnen. Schon länger hatte ich es immer wieder gespürt. Dieses Kribbeln, wenn ich ihn sah, das Herzklopfen, wenn er mich berührte. Die Gedanken, die Tag und Nacht nur zu ihm flogen. Ich hatte es mir nie so wirklich eingestehen wollen, aber es wurde deutlicher und deutlicher.
Vielleicht, ganz vielleicht, so dachte ich, konnte es tatsächlich sein, dass ich mich in Dr. Toni Pirosa verliebt hatte.
Dieser Gedanke kam mir so ungeheuerlich und so falsch vor und gleichzeitig so rein und gut.
Und plötzlich hatte ich das Gefühl noch nie so voller Sehnsucht gewesen zu sein.
Das Öffnen der Tür riss mich schließlich aus meinen Gedanken und sofort waren alle Fantasien vergessen, denn Toni stand dort und ließ das Blut in meinen Adern pulsieren.
Er wirkte ein wenig unsicher, als er mich anschaute und er zögerte kurz, bevor er ansetzte: "Nia, das wegen heute Nachmittag..." Kurz stockte er, sog die Luft ein und hielt sie kurz an, bevor er es schließlich herausbrachte:
"... Danke."Ich lächelte ihn ein wenig schief an und er lächelte zurück, wirkte dann aber wieder betrübter und trat schließlich zu mir. Wie zufällig berührten sich dabei unsere Finger. Einen Herzschlag lang ließ Toni die Berührung zu, zog dann jedoch seine Hand zurück.
Nach einem kurzen Moment der Stille sagte er dann leise: "Weißt du, Nia, irgendwie ist alles so krass im Moment. Also ich weiß nicht ob du das auch kennst, aber manchmal hab ich das Gefühl, dass so viel auf einmal passiert. Und dann hab ich so viele Gefühle in mir drin und weiß gar nicht... naja... was jetzt los ist..." Er brach ab und zuckte mit den Schultern, bevor er sich plötzlich versteifte und räusperte.
Frustriert erkannte ich, was los war. Toni war wieder einmal dabei, sich in seiner Ärzte-Rolle zu verstecken. Ich hasste das. Er versuchte doch nur, sich zu verstellen, warum auch immer. Den echten Toni mochte ich viel lieber. Den lustigen, gutherzigen und verletzlichen Toni und nicht den ernsten, berechnenden Arzt.
Und so streckte ich wieder unter Anstrengung meine Hand aus und stupste ihn leicht an, bevor ich ihn flehend anschaute und den Kopf schüttelte. Sei bitte du!
Und zu meiner Überraschung seufzte Toni und entspannte sich schließlich tatsächlich ein wenig."Also, was ich jetzt eigentlich sagen wollte", setzte er nun an, "Der Tod dieser Frau hat mich irgendwie sehr mitgenommen und... danke, dass du für mich da warst."
Ich blinzelte ihn an und einen kurzen Moment schauten wir uns einfach in die Augen. Dann fragte Toni hoffnungsvoll: "Willst du vielleicht nochmal meinen Namen sagen?"
"To...ni..."
"Wow. Danke. Danke, Nia, du... bist echt unglaublich. Danke..."
Unvermittelt griff Toni nach meiner Hand und diesmal hielt er sie fest. Endlich konnte man wieder das ehrliche, strahlende Lächeln auf seinem Gesicht sehen und so wurde auch mir warm ums Herz.
Ich betrachtete ihn bewundernd. Da war so viel, was ich ihm sagen wollte und nun, da ich ihn vor mir sah, so wunderschön, gütig und warmherzig wie eh und je und jetzt, wo er meine Hand hielt, da konnte ich es mir nicht mehr verleugnen.
Ich liebte diesen Mann.
DU LIEST GERADE
You Restore Me - Tonia
Fanfiction"Hallo! Mein Name ist Nia Cavaon und ich möchte euch gerne meine Geschichte erzählen..." Ein schlimmer Unfall reißt Nia aus seinem alten Leben und ins Koma. Nach fünf Jahren hat schließlich keiner mehr Hoffnung, dass er je wieder aufwachen könnte, d...